Frauenort NRW
Dank dem Projekt „Frauenorte NRW“ des Frauenrates NRW, gefördert vom Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen wird Maria von Linden mit einer Gedenkstele im Park des Ernst-Moritz-Arndt-Hauses in Bonn gewürdigt. Die insgesamt vier Frauenorte in Bonn, die durch das Engagement von Haus der Frauengeschichte Bonn und Gleichstellungsstelle entstanden sind, sollen das Wirken von Frauen im öffentlichen Raum sichtbarer machen und ihre Geschichten erzählen. Weitere Informationen unter https://www.frauenorte-nrw.de/ (Öffnet in einem neuen Tab).
„Wenn ich heute sehe, wie Männlein und Weiblein einträchtiglich Seite an Seite in Hörsaal, Laboratorium und Seminar Wissenschaft schöpfen, erscheint es mir unglaublich, welche Summe von Arbeit, Ausdauer und diplomatischer Kunst nötig war, um die Geburtsstunde der ersten Tochter der Alma mater Eberhardina Carolina zur Tatsache zu machen. […] An Schatten hat es freilich nicht gefehlt auf meinem Werdegang, aber zum Schluß hat doch immer mein strahlender Tagesregent, die Sonne, gesiegt; und heute, wo ich Professor […] in Bonn bin, denke ich oft und gern zurück, an die Kämpfe und Freuden der ‚Ersten Studentin von Tübingen‘.“ (1929)
Das „Maria-von-Linden-Trainingsprogramm“ wird an der Universität Bonn für (Nachwuchs-)Wissenschaftlerinnen angeboten. Es ist nach der ersten Professorin Deutschlands benannt, die an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität von 1899 bis 1933 tätig war und der 1910 der Titel Professorin verliehen wurde.
Über Maria von Linden heißt es dort: „Sie gehörte zu der Generation von Wissenschaftlerinnen, die sich ihr Recht auf Bildung – trotz ihrer privilegierten Herkunft – noch hart erkämpfen mussten. Aufgrund ihrer herausragenden Begabung und Zielstrebigkeit, aber auch ihres außergewöhnlichen Auftretens, mit dem sie sich zeitlebens gegen konventionelle Rollenzuschreibungen und Geschlechterstereotype auflehnte, zählt sie zu den großen weiblichen Vorbildern und Pionierinnen in der Wissenschaft. Sie hatte Esprit und Humor, war durchsetzungsstark und schlagfertig und in vielem ihrer Zeit voraus“.
Auf dem Weg zur akademischen Ausbildung (1869 bis 1891)
Maria Gräfin von Linden wuchs in der ländlichen Abgeschiedenheit des Familiensitzes Burgberg am Rand der Schwäbischen Alb mit ähnlichen Freiheiten wie ihr älterer Bruder auf. Sie spielte als Kind lieber mit Tieren als mit Puppen, ging auf botanische Erkundungstour und sammelte Gesteinsproben in der Umgebung.
Auch im Karlsruher Victoria-Pensionat, in das sie 1883 eintrat, ließ sie sich nicht zur „höheren Tochter“ erziehen. Ihr besonderes Interesse galt den „männlichen“ Fächern Physik und Sport. In beiden Fächern war sie nach kurzer Zeit „hors de concurrence“ und hatte immer die beste Note „vorzüglich“ auf ihrem Zeugnis. Sie erkundigte sich auf eigene Faust beim Polytechnikum in Zürich nach den Vorbedingungen für ein naturwissenschaftliches Studium, lernte aus eigenem Antrieb aus Büchern ihres Bruders, einem Lehrbuch der Geometrie und einer lateinischen Grammatik. Schließlich erhielt sie Privatunterricht in Mathematik, als in der Schule auffiel, dass ihre „absonderlichen Neigungen“ sie „auch absonderliche Wege führen würden“.
Die damalige Frauenkleidung behinderte sie sehr beim Turnen, aber dadurch ließ sie sich den Spaß nicht verderben. „Was haben wir uns mit den langen Röcken und den anliegenden Taillen gequält! […] Wenn wir bei Übungen am Barren zum Beispiel über das Holz sprangen, so mußte man besonders darauf achten, daß der Rock mitkam und nicht hängen blieb, denn sonst lag man totsicher auf dem Boden. Und wenn wir an den Ringen oder am Reck turnten, so stülpte sich unser fürchterlicher Rock leicht über den Kopf, so daß die Lage sehr unbequem und der Anblick sehr unästhetisch wurde. Es kam aber keiner Aufsichtsdame, die sich darüber schockierte, in den Sinn, vorzuschlagen, wir sollten nur in Hosen turnen, diese Erleuchtung blieb einer späteren Generation vorbehalten.“ Wie sie in ihren Erinnerungen schildert, argwöhnten ihre Mitschülerinnen wegen ihrer Wildheit und ihrer „bubigen Allüren“, sie sei ein verkleideter Junge, und ihre langen Haare seien falsch.
Maria von Linden liebte die Bewegung in der freien Natur wie Bergsteigen, Kanu- und Fahrradfahren sowie Wandern. Ihren Eltern hatte sie nach Abschluss der Schule 1888 die Erlaubnis abgerungen, allein eine mehrtägige Wanderung durch den Schwarzwald zu machen. Für dieses für ein Fräulein außergewöhnliche Unterfangen schickten ihre Eltern ihr eine Hausangestellte als Begleiterin. In Ihren Erinnerungen erzählt Maria von Linden ausführlich von ihren Erfahrungen, den Komplikationen und ihrem Gefühl von Freiheit auf dieser Tour, ihrem „ersten Flug“. Mit diesen sportlichen Aktivitäten nahm sich Maria von Linden Freiheiten, die für Frauen ihrer Zeit noch nicht existierten.
Wieder zu Hause plante Maria von Linden ihren weiteren Lebensweg. Der Drang, „Wissen zu erwerben, vielleicht um Wissen zu schaffen, […] war so mächtig, so unwiderstehlich, daß ich ihm alles andere zu opfern bereit war. […] Unsere pekuniäre Lage war auch nicht derart, daß ich, ohne meine Selbständigkeit zu verlieren, ein Drohnenleben führen konnte, ich wollte weder heiraten noch von meinen Verwandten abhängig sein, auch diesem zu entrinnen, half nur die Arbeit. Es traf sich also, daß meine Neigung mich in dieselbe Bahn lenkte wie die verstandesmäßige Überlegung.“
Allerdings brachte sie nicht einmal die notwendigen Voraussetzungen für eine Hochschulzulassung mit. Gymnasien für Mädchen gab es noch nicht und ihr Besuch der weit und breit besten Erziehungsanstalt für „höhere Töchter“ qualifizierte sie nicht für ein Studium. Unterstützung kam in dieser Situation von ihrem Großonkel, dem einstigen württembergischen Minister Josef Freiherr von Linden, der sich beim Kultusministerium, der Universität und nicht zuletzt bei ihrem Vater für sie einsetzte. Trotz dieser Protektion durch „Onkel Bebi“ war das erste Schreiben der Universität ernüchternd, in dem der Kanzler zudem empfahl, „daß für ein Fräulein, das Lust hat, Doktorin genannt zu werden, das Mittel, einem Doktor die Hand zu bieten, jedenfalls viel leichter und bequemer wäre, als ein Examen rigorosum zu bestehen.“
Während die Verhandlungen mit der Tübinger Universität weiterliefen, erarbeitete sich Maria von Linden eigenständig, angeleitet durch ihre früheren Karlsruher Lehrer, das fehlende Wissen in Mathematik, Physik und Latein mit beeindruckender Disziplin. 1891 bestand sie als Externe und erste Frau Württembergs an einem Stuttgarter Jungengymnasium ihr Abitur. Dass damit noch nicht alle Hindernisse ausgeräumt waren, schätzte sie richtig ein. „Ich hatte nun wohl das Maturitätszeugnis, damit war aber keineswegs meine Zulassung zu den Vorlesungen verbunden, denn mit der geistigen Reife war noch nicht mein Geschlecht verändert worden. Diese Metamorphose […] war zu meinem Leidwesen ausgeblieben, und mit dieser Tatsache und dem höchst unmännlichen Zopf der Akademiker mußte gerechnet werden.“ Auf Rat ihres Großonkels nahm sie persönlichen Kontakt zu entscheidenden Professoren in Tübingen auf.
Während der Vorbereitung auf die Abiturprüfung führten von ihr unternommene geologische Exkursionen zu ihrer ersten wissenschaftlichen Veröffentlichung. In ihrer 1890 erschienenen Studie „Die Indusienkalke der Hürbe“ konnte sie die Entstehung bestimmter Kalkablagerungen erklären.
Bruch mit traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit
Das Frauenbild Ende des 19. Jahrhunderts war gemäß der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur von der Vorstellung der naturbedingten, geistigen und körperlichen Unterlegenheit der Frau gegenüber dem Mann gekennzeichnet. Maria von Linden mochte sich mit den eingeschränkten Handlungsspielräumen einer Frau ihrer Zeit nicht abfinden. Vor die Wahl gestellt, eine anspruchslose Existenz als Ehefrau oder eine noch abhängigere als geduldete ledige Verwandte zu führen, entschied sie sich für eine Drittes: eine Karriere als Wissenschaftlerin.
Unbeeindruckt von den Anfechtungen in ihrem Umfeld, ließ sie sich von ihrem Weg nicht abbringen. „Selbstverständlich fanden meine Bestrebungen auch im Kreise meiner näheren und weiteren Familie und Bekannten vielfach Kopfschütteln und allerhand Einwände […]. Schon in den Versen, die von Mitschülerinnen, Lehrern und Lehrerinnen in mein Stammbuch eigetragen worden waren, hatten sich die verschiedenen Meinungen Bahn gebrochen. Die Frau war eben für die Mehrzahl der Menschen noch ausschließlich die himmlische Rosenflechterin.“
Ihrem Bruder schreibt sie: „Ich […] danke Dir für Deine Mühe, auch ein Körnchen in den mit Belehrungsversuchen von allen Seiten her gefüllten Korb geworfen zu haben. Diese verschiedenen Zeichen des Interesses und der Teilnahme amüsieren mich sehr, die einen durch ihre Unschuld, die anderen durch mißlungenen Spott, wieder andere durch ihre vergeblichen Anstrengungen, mich durch einen logischen Schluß von der Bestimmung des Weibes zu überzeugen. […] Bisher war die Frau gewohnt, lächerlich zu werden, sobald sie sich auf dem Gebiet der Wissenschaft mit dem Mann in die Schranken stellte. Diese Vorurteile haben namentlich dazu beigetragen, daß nur wenige sich in die Öffentlichkeit gewagt haben. […] Die Beobachtung lehrt, daß die Frau mit dem Manne in die Arena treten kann“.
Maria von Linden stellte mit der Wahl ihres Weges nicht, wie Ulrike Just meint, ihr „Frausein zur Disposition“, sondern wandte sich rigoros von einer Weiblichkeitsvorstellung ab, die die Frau nicht aus ihrer traditionellen Geschlechterrolle entlässt. Es ging ihr um eine Befreiung der Frau aus den ihr auferlegten Zwängen. Damit erweiterte sie das Spektrum an Rollenvorbildern für Frauen. Indem sie sich eher „männlich“ inszenierte, signalisierte sie, dass sie sich nicht als traditionelle Frau versteht, dass sie aus der für sie vorbestimmten Rolle ausbricht und auch „männliche“ Qualitäten zu bieten hat. Das ist nicht zu verwechseln mit einer Anpassung an die Männergesellschaft, um als Frau nicht aufzufallen. Denn worum geht es eigentlich bei der Emanzipation? Doch um die Aufhebung der sozialen Geschlechterrollen und das freie Menschsein aller. Es ist die Festlegung auf die eine Rolle, die einengend ist. Auch eine betont „weibliche“ Inszenierung als Frau kann eine Einschränkung der eigenen Möglichkeiten sein, wenn sie auf Zwängen beruht, die durch die Geschlechterstereotypen vorgegeben sind.
Sogar gegenüber der sie unterstützenden und ihr wohlgesonnenen Frauenrechtlerin Mathilde Weber, bei der sie regelmäßig einmal pro Woche zum Essen eingeladen war, musste Maria von Linden sich rechtfertigen. „Sie wollte nur eine gerechtere Verteilung des Sonnenlichts zwischen den Geschlechtern, und daß namentlich auch die akademische Sonne weibliche Wesen bescheinen sollte. Die Frau, die in das öffentliche Leben eintrat, sollte aber um Gotteswillen nichts vom ‚Blütenstaube‘ verlieren und Urbild der Weiblichkeit bleiben. So sehr Frau Weber nun meine Pionierarbeit anerkannte, so konnte sie sich nicht damit abfinden, daß ich, die ich doch so lange auf meine Bubwerdung gewartet hatte, eben doch stark zur Verkörperung des ‚dritten Geschlechts‘ neigte. Ich trug Jackenkleider mit steifem Kragen, Männerhüte, Schuhe, die in ihrer Massivität, Form und Größe ebenfalls an das Männliche grenzten, stand in bester Kameradschaft mit den Kommilitonen, errötete nicht, wenn in der Vorlesung von Männlein und Weiblein die Rede, kurz – aus meinen Staubbeuteln war der Blütenstaub schon verflogen oder nie in denselben gebildet worden. Reden um Reden über dieses Thema ließ ich bei bestem Appetit über mich ergehen, denn alles dies entsprang ja einer ideal gerichteten, grundgütigen Seele; aber an mir war Hopfen und Malz verloren.“
Marianne Weber – auch Frauenrechtlerin der ersten Frauenbewegung – bezeichnet die Frauen, die sich mancherorts als Einzelne und aus eigener Kraft auf mühevollen Privatwegen Zutritt zu den Hörsälen erzwungen hatten, als „heroische Kämpferinnen“. Diese Frauen hatten „die chinesische Mauer eines jahrtausendealten überlieferten Weiblichkeitsideals“ zu durchbrechen, „den stacheligen Zaun einer Familientradition“ zu überwinden und „einer öffentlichen Meinung“ zu widerstehen, die sie „als lächerliche Figuren verspottete“. Für die „männliche“ Selbststilisierung dieser ersten Studentinnen gibt sie als triftigsten Grund an, dass sie unter der bloßen Tatsache als Frauen geboren zu sein, stark gelitten hatten.
„Die Geschlechtsbestimmtheit war dem Regen der geistigen Flügel und aller Bewegungsfreiheit eine grausame Fessel gewesen; sie zu durchreißen hatte solche Kämpfe und Schmerzen gekostet, daß geistig begabte Naturen ihr Frausein wahrhaftig nicht als Eigenwert ergründen konnten […]. Nun war es schließlich doch geglückt, die verschlossenen Pforten zu öffnen. Deshalb schien es endlich an der Zeit, sich selbst und anderen das Menschsein zu unterstreichen, dagegen das Weibsein als dessen unwesentliche Abwandlung in den Hintergrund zu drängen.“ Genau diesen Eindruck machte Maria von Linden auf Wladimir Lindenberg, der von 1921 bis 1926 in Bonn Medizin studierte und sie verehrte. Er sei bisher keiner Dame begegnet, schreibt er, „die nicht Frau und nicht Mann, sondern einfach Mensch war“.
Ob Maria von Linden tatsächlich ihr Geschlecht wechseln und ein Mann werden wollte oder „einfach Mensch“ sein wollte, wissen wir nicht. Entscheidend ist, was sie durch ihr Leben bewiesen hat, nämlich dass vieles mit dem Frausein vereinbar ist, was vorher als undenkbar galt.
Studium an der Universität Tübingen (1892 bis 1895)
„In Tübingen gab es im Jahre des Heils 1892 an Kultursensationen: einen Gepäckträger, eine Droschke und, nachdem ich nun glücklich in die Universitätsstadt eingezogen war, auch noch eine Studentin. Der guten Dinge waren also drei geworden, und ich darf wohl diese letzte Sensation ohne Überhebung als die fürnehmste bezeichnen, denn Gepäckträger und Droschken gab es damals in vielen größeren Städten des Schwabenlandes, aber Studentin war ich die erste und einzige im ganzen Königreich.“ Nach einem Jahr Wartezeit wurde sie durch eine Sondererlaubnis 1892 vom Senat mit zehn zu acht Stimmen zum Studium der Zoologie, Botanik und Physik an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen zugelassen. Erst 1904 wurde Frauen in Württemberg allgemein der Zugang zum Studium eröffnet, in Baden als erstem Land in Deutschland 1900, in Preußen sogar erst 1908.
Die ihr erteilte Ausnahmegenehmigung erlaubte ihr nur den Status einer Gasthörerin, sie konnte sich nicht als ordentliche Studentin einschreiben. „Allein […] gehörte ich genau besehen doch nicht zu den legitimen Kindern der Alma mater Eberhardina Carolina, denn es fehlte die standesamtliche Eintragung, die Immatriculation. Im Grund genommen war dies ein jeder Gerechtigkeit hohnsprechendes Messen mit zweierlei Maß.“ Doch dank ihrer Dickfelligkeit ließ sie sich über diese weitere Diskriminierung „keine grauen Haare wachsen“.
Mit Feuereifer ging sie ihr Studium an, hörte Vorlesungen, arbeitete im Labor, präparierte. Zum Glück war sie selbstbewusst genug, entsprechend zu parieren, wenn sich ein Professor über sie lustig machte. In ihrem ersten histologischen Kurs, erinnert sie in ihrer Autobiographie, sagte Prof. Eimer zu ihr: „‚Nicht wahr, Gräfle, der Mensch ist aus Dreck beschaffen?‘“, worauf sie entgegnete: „‚Jawohl, Herr Professor, aber nur der Mann‘“. Nach kurzer Zeit gelang es ihr, sogar in die ihr zunächst verschlossene medizinische Fakultät einzudringen. 1895, nach nur sechs Semestern, bekam sie den Dr. rer. nat. für ihre Dissertation in Zoologie „Die Entwicklung der Skulptur und der Zeichnung der Gehäuseschnecken des Meeres“.
Neben den grundsätzlichen Schwierigkeiten als Frau an der Universität hatte Maria von Linden während ihres gesamten Studiums mit finanziellen Engpässen zu kämpfen. Schon vorher hatte sie Geld angespart, um ihre Pläne verwirklichen zu können, da sie mit einer Förderung durch ihren Vater nicht rechnen konnte. „Mein Vater hatte weder große Lust dazu, noch verfügte er über überflüssige Mittel, außerdem war ihm kaum zuzumuten, für eine Sache Opfer zu bringen, die er in keiner Weise billigte. Ich hatte nun schon seit Jahren in aller Heimlichkeit Schätze gesammelt, um sie einst für meine Zwecke verwenden zu können. Durch Schreibarbeiten, gelegentliche Geschenke, Verkauf von Heilkräutern an die Apotheke, Erntearbeiten, Verkauf alter Briefmarken, die ich überall, wo ich sie fand, mir aneignete, hatte ich mir allmählich 1000 Mark gespart. Mit diesem Betrag konnte ich, zur damaligen Zeit, fast ein Jahr studieren“. Angetan von ihrem Eifer, gewährte ihr anfangs auch ihr Onkel Karl Graf von Linden einen monatlichen Zuschuss.
Nach dem Tod ihres Vaters 1893 verschärfte sich ihre pekuniäre Lage, aber sie erhielt auch Hilfe von verschiedenen Seiten. „Ich selbst war auch in eine schwierige Lage versetzt, da mein Onkel mir in Folge der Erbschaftsstreitigkeiten seine Unterstützung zu meinen Studien entzog. Als die Professoren in Tübingen erfuhren, daß mir der Brotkorb so hoch gehängt worden war, sandten sie mir in großzügiger Weise die Kollegiengelder zurück, und Frau Professor Weber verschaffte mir sofort ein ansehnliches Studienstipendium beim Allgemeine Deutschen Frauenverein […] Alle meine Bekannten übertrafen sich in dem Bestreben, mir zu helfen, so daß ich wieder die Sicherheit bekam, daß mein Studium nicht in Frage gestellt sei“.
Kurz darauf erkrankte Maria von Linden an einer schweren Lungenentzündung und nahm immer weiter ab. Die Ärzte rieten ihr, unbedingt für ein Jahr zur Kur nach Davos zu gehen, sonst habe sie vielleicht nur noch zwei Jahre zu leben. Sie erwiderte: „‚Zwei Jahre reichen gerade noch, um meinen Doktor zu machen, das ist zunächst mein Ziel, also bleibe ich hier.‘“ Es dauerte Monate, bis sie sich erholte, und sie behielt einen „Lungenknacks“ zurück.
Beeinträchtigt war Maria von Linden auch durch die Sorge um ihre Mutter, die sie „zärtlich liebte“. Deren Wohnrecht in Burgberg wurde von den Erben in Zweifel gezogen und sie war finanziell nicht abgesichert. 1893 holte sie die Mutter nach Tübingen und bezog mit ihr zusammen eine neue kleine Wohnung. Sie verstand sich gut mit ihrer Mutter, blieb ihretwegen in den Ferien in Tübingen, nahm sie mit zu Ausflügen und freute sich mit ihr „vergnügt“ über die bestandene Doktorprüfung.
Assistentin, Abteilungsleiterin, Professorin an der Universität Bonn (1899 bis 1933)
Nach ihrer Promotion vertrat Maria von Linden im Wintersemester 1896/97 einen Assistenten am Zoologischen Institut in Halle, danach war sie für zwei Jahre als Assistentin am Institut von Prof. Eimer in Tübingen tätig. Nach dem Tod Eimers wechselte sie nach Bonn, wo sie von 1899 bis 1906 als Assistentin am Zoologischen Institut angestellt war. Prof. Ludwig, der Direktor des Instituts, hatte jedes Jahr die Verlängerung ihres Vertrages beantragt, Ende 1905 allerdings nicht mehr. Die Gründe dafür gehen aus den Akten nicht hervor. 1906 trat von Linden eine neue Stelle als Assistentin am Anatomischen Institut von Prof. Freiherr von la Valette St. George an, womit ein Wechsel von der philosophischen zur medizinischen Fakultät verbunden war.
1906 reichte Maria von Linden ein Habilitationsgesuch in Vergleichender Biologie bei der Philosophischen Fakultät der Bonner Universität ein. Ihre Anfrage löste intensive Verhandlungen aus. Den ersten Antrag auf Habilitation einer Frau, Adeline Rittershaus-Bjarnason, hatte die Fakultät 1901 mit 16 zu 14 Stimmen abgelehnt. Im Fall von Lindens sprach sie sich 1906 mit 17 zu 13 Stimmen für eine Zulassung aus. Auf Betreiben Prof. Ludwigs, einem Gegner der Habilitation von Frauen, wurde die Angelegenheit aber zur Grundsatzentscheidung an den preußischen Kultusminister weitergeleitet. Dieser lehnte am 25. Mai 1908 das Gesuch von Lindens ab und verweigerte Frauen allgemein das Recht auf Habilitation mit folgender Begründung: „Die von mir zur Sache gehörten Akademischen Senate und Fakultäten aller diesseitigen Universitäten haben sich […] mit ganz überwiegender Mehrheit dahin ausgesprochen, dass die Zulassung von Frauen zur akademischen Laufbahn weder mit der gegenwärtigen Verfassung noch mit den Interessen der Universitäten vereinbar sei.“
Stattdessen wurde Maria von Linden vom Minister an das Hygienische Institut versetzt und als „Abteilungsvorsteher“ – nicht wie üblich als „Direktor“ – beauftragt, eine neue Parasitologische Abteilung einzurichten. Während der gesamten 25 Jahre ihrer Tätigkeit in dieser Abteilung hatte von Linden mit der finanziellen Ausstattung ihres Instituts, einer für sie angemessenen Besoldung und räumlichen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Hier nur als ein Beispiel dieser skandalösen Geschichte ihre gehaltsmäßige Degradierung zur Assistentin 1921 in ihren eigenen Worten: „Im Jahre 1920 wurde zum viertenmal der Versuch gemacht, die Anstalt in den Staatshaushalt einzustellen. Diesmal war der Antrag vom Landtag angenommen worden, fand aber nun Widerstand im Unterrichtsministerium selbst, das die Frage der Verstaatlichung und der Sicherung des Vorstehers der Anstalt in der Weise lösen zu müssen glaubte, daß der Etat für das Laboratorium unter dem Titel ‚Hygienisches Institut‘ zu bewilligen und für die Leiterin der Anstalt statt der erbetenen Abteilungsvorsteherstelle, die sie seit 1908 außeretatsmäßig inne hatte, eine etatsmäßige Assistentenstelle an dem Hygienischen Institut zu schaffen sei […]. Die Amtsbezeichnung der Leiterin blieb ‚Vorsteher des Parasitologischen Laboratoriums‘. Mit dem Ausscheiden der Leiterin sollten beide Positionen (Ausgabenetat für Laboratorium und Renumeration des Leiters) in Wegfall kommen.“ Damit wurde ihr auch eine Aufwertung ihrer Parasitologischen Abteilung zum eigenständigen Institut verweigert.
Am 3. Mai 1910 ernannte der Kultusminister Maria von Linden zur Professorin „in Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistungen“. Die Venia legendi, die öffentliche Lehrerlaubnis, erhielt sie allerdings nicht. Dass eine Frau männlichen Studenten naturwissenschaftliches und medizinisches Wissen beibringen sollte, war für männliche Köpfe unvorstellbar. Im Verborgenen konnte eine Frau dagegen gerne ihren wissenschaftlichen Beitrag leisten. Von Linden musste sich auf Demonstrationen im Anschluss an die Vorlesungen des Direktors des Hygiene-Instituts beschränken.
Nach der Trennung des Parasitologischen Laboratoriums vom Hygiene-Institut und dem Umzug in ein neues Gebäude 1913 widmete sie sich ganz der Forschung. Ihre Schwerpunkte waren neben der Bekämpfung und Erforschung von Parasiten bei Mensch und Tier die Bakteriologie und Chemotherapie bei Infektionskrankheiten, insbesondere der Tuberkulose.
Sie entdeckte die antiseptische Wirkung von Kupfer, die von der Firma Paul Hartmann in Heidenheim zur Herstellung von sterilem Verbandsmaterial genutzt wurde. Die Liste ihrer Veröffentlichungen umfasst mehr als einhundert Titel. 1900 wurde ihr ein Preis der französischen Akademie der Wissenschaften verliehen für ihre Untersuchung „Die Farben der Schmetterlinge und ihre Ursachen“.
NS-Zeit und Exil in Liechtenstein (1933 bis 1936)
Maria von Linden erkannte schon frühzeitig die Gefahr, die durch den Nationalsozialismus drohte. Wie anfällig sie die Deutschen für diese Ideologie hielt, hatte sie nach dem Hitlerputsch 1923 gegenüber Wladimir Lindenberg geäußert: „Du wirst es erleben: Arbeiter, Bürger und Adelige werden diesem Schreihals nachlaufen und Hurra rufen. Das ist nicht zu verwundern: Jahrhundertelang waren die Menschen Gehorchautomaten, wurden von den Fürsten als Söldner verschachert und zu Kanonenfutter mißbraucht. Die Menschenwürde wurde mit Füßen getreten. […] Es bedarf sicher eines ungeheuer langen Prozesses, um die Menschen zu denkenden, gewissenhaften und verantwortlichen Bürgern heranzubilden.“ Ihr Cousin Friedrich Freiherr von Linden bestätigte ihre antinationalsozialistische Haltung, „aus der sie nie einen Hehl machte“.
Zum 1. Oktober 1933 wurde Maria von Linden mit Berufung auf § 6 des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ zwangspensioniert. Sie emigrierte nach Schaan ins Fürstentum Liechtenstein. Es wurde ihr ein „Gnadenruhegehalt“ zugesprochen, das alle zwei Jahre verlängert werden musste. Auch die Genehmigung ihres Wohnsitzes im Ausland wurde immer nur befristet erteilt. Die Aberkennung ihrer deutschen Staatsangehörigkeit wurde in Erwägung gezogen.
Als sie 1934 für einen Besuch in Deutschland einen Heimatschein beantragte, wurde ihre politische Gesinnung überprüft. Das deutsche Konsulat in Liechtenstein berichtet dem Oberbürgermeister in Bonn: „Nachteiliges im eigentlichen Sinne ist bisher nicht bekannt geworden, es ist aber festzustellen, daß Gräfin von Linden an allen deutschen Veranstaltungen, auch an dem Winterhilfswerk, uninteressiert war. Sie gilt als eine Gegnerin des heutigen Deutschlands, ohne daß Beweise dafür vorhanden sind, daß sie sich dagegen betätigt und pflegt auch Verkehr mit Emigranten.“ Der stellvertretende Dekan der medizinischen Fakultät, der in dieser Angelegenheit befragt wurde, spielte die Meldung des Konsulats herunter, vielleicht um von Linden nicht in Schwierigkeiten zu bringen, doch es bleibt festzuhalten, dass sie eine Gegnerin des NS-Regimes war.
In Bonn lebte Maria von Linden 34 Jahre im Haus der Witwe des Physikers jüdischer Herkunft Heinrich Hertz und ihrer beiden Töchter. 1935 bemühte sie sich um Ausreisemöglichkeiten für die mit ihr befreundete Familie, indem sie einen ehemaligen Schüler von Hertz, einen Professor in Norwegen, um Hilfe bat, um der Familie „außerhalb des III. Reiches ein menschenwürdiges Dasein zu schaffen".
In Liechtenstein widmete sich Maria von Linden wissenschaftlichen Studien im Bereich der Krebsforschung. 1936 starb sie 67-jährig an den Folgen einer Lungenentzündung.
Lebensfreundschaft
Über Maria von Lindens Privatleben ist wenig bekannt. Daher ist es aufschlussreich, dass sich 1953 Gabriele Gräfin von Wartensleben im Grab Maria von Lindens in Schaan/Liechtenstein als deren Lebensfreundin beerdigen lässt.
Die 1870 in Ansbach/Bayern geborene Gabriele Freiin von Andrian-Werburg heiratete 1890 Konrad Graf von Wartensleben. 1891 brachte sie einen Sohn zur Welt, der im Alter von zwanzig Jahren verstarb. Die Ehe wurde 1895 geschieden. 1895 legte sie ihre Matura in Zürich ab und studierte im Anschluss klassische Philologie und Archäologie in Zürich und Heidelberg. 1900 wurde sie an der Universität Wien als erste Frau zum Dr. phil. promoviert. Von 1900 bis 1925 lebte sie in Frankfurt/Main mit kurzen Unterbrechungen in München 1911/12 und 1922/23.
Sie engagierte sich im Verein „Frauenbildung – Frauenstudium“. Dort lernte sie die Gynäkologin Elisabeth Winterhalter, die im Vorstand des Vereins war, kennen. Mit Hilfe dieses Vereins starteten ab 1901 die ersten privat organisierten Realgymnasialkurse für Mädchen in Frankfurt. Ab 1905 unterrichtete von Wartensleben an der Elisabethenschule in diesen Gymnasialkursen Mädchen, denen der normale Zugang zum Abitur noch immer versperrt war.
Zwischen 1911 und 1921 leitete sie die Lehrerinnenfortbildung. 1908 begann sie ein Studium am Psychologischen Institut der Frankfurter Akademie für Sozialwissenschaften – die Universität Frankfurt nahm erst 1914/15 ihren Betrieb auf.
Sie stand in engem Kontakt zu Max Wertheimer und gilt aufgrund ihrer Veröffentlichungen 1914 und 1925 als Pionierin der Gestalttheorie. Von 1925 bis 1933 hatte sie ihren Wohnsitz in Schaan/Liechtenstein. Von 1933 bis 1953 war sie in Basel als Lehrerin und Autorin tätig. 1938 fand im Frankfurter Kunstverein eine umfassende Retrospektive der Werke Ottilie W. Roedersteins statt auf Initiative von ihr und von Elisabeth Winterhalter, der Lebensgefährtin Roedersteins. 1920 wurde von Wartensleben Staatsbürgerin Liechtensteins, 1939 Staatsbürgerin der Schweiz.
Maria von Linden und Gabriele von Andrian-Werburg hatten sich 1883 im Victoria-Pensionat angefreundet. In ihren Erinnerungen 1929 schreibt von Linden, die auch von einer Lebensfreundschaft spricht: „Im zweiten Halbjahr freundete ich mich mit Gabriele von Andrian an. Die Ursache unserer Freundschaft, die für das Leben geschlossen wurde, war eigentümlich. Gabriele war ein mehr reservierter Charakter. Sie hatte deswegen nicht viele Freunde, weil sie als hochmütig galt. Eines Morgens kam sie durch unser Dortoire, um in den Garten zu gehen, und sagte im Vorbeigehen mit nicht sehr lauter Stimme Guten Morgen. Außer mir antwortete ihr keines der Mädchen. Als ich ihnen Vorhaltungen machte, sagten sie, die Gabriele sei hochmütig und bekäme keine Antwort, wenn sie nicht laut Guten Morgen sagte. Darüber war ich empört und begab mich sofort zu der Boykottierten, und von diesem Tag an waren wir Freunde.“
Von August bis November 1888 besuchte von Linden ihre Freundin in ihrem Elternhaus in Bad Aussee. Sie schreibt: „Ich verbrachte nun die genußreichsten Wochen in der schönen Steiermark unter dem gastlichen Dach der Villa Andrian. Nicht nur, daß ich mich außerordentlich freute, mit meiner Freundin zusammen zu sein, auch meine geistigen Bestrebungen fanden in diesem ganz besonders hochstehenden und anregendem Milieu die ersehnte Nahrung. […] Aus den Wochen, die ich anfangs bleiben sollte, waren bereits Monate geworden. Meine Freundin wollte mich gern bei sich haben, und ich fühlte mich so wohl in ihrer Umgebung […], daß es auch mir nicht pressierte, nach Burgberg zurückzukehren.“
1890 fuhr von Linden zur Hochzeit ihrer Freundin nach Karlsruhe. Von Tübingen aus besuchte sie ihre Freundin, die ab 1895 in Zürich und Heidelberg studierte. Dass die beiden Freundinnen Kontakt hatten, als von Wartensleben in Frankfurt lebte, ist anzunehmen. Ab 1925 verbrachte von Linden häufig ihre Ferien in Schaan bei ihrer Freundin, wohin sie 1933 auch emigrierte.
Fazit
Für das Frauenstudium war die Schweiz Vorreiterin. 1840 besuchten die ersten Gasthörerinnen die Züricher Universität, 1867 als ordentliche Studentinnen. In England, Russland und Skandinavien konnten Frauen sich seit den 1870er Jahren regulär einschreiben. Ein Jahrzehnt später war das auch an den Universitäten in Spanien, Belgien und Serbien möglich. In Italien standen einzelne Universitäten Frauen sogar seit dem Mittelalter offen. In Frankreich waren die Hochschulen den Frauen nie ganz verschlossen, seit 1860 konnten sie bereits Universitätsgrade erwerben. Und in den USA gab es ab 1850 immerhin Frauencolleges.
Eines der Schlusslichter in Europa war Deutschland, das erst 1900 begann, seine Universitäten für Frauen zu öffnen. Maria von Linden, die trotz aller Widrigkeiten 1888 ihren Antrag auf Promotion an der Universität Tübingen stellte, machte sich Hedwig Dohms Aussage zu eigen: „Die Frau soll studiren, weil jeglicher Mensch Anspruch hat auf die individuelle Freiheit, ein seiner Neigung entsprechendes Geschäft zu treiben. […] Freiheit in der Berufswahl ist die unerläßlichste Bedingung für individuelles Glück.“
1929 blickt Maria von Linden gelassen auf ihr Leben zurück: „Von meinem heutigen Standpunkt aus gesehen, waren zwei Dinge symptomatisch für mein späteres Leben: der Kampf mit dem Portemonnaie und die Fähigkeit, aus diesem Ringen mit den Verhältnissen ohne Einbuße an Lebensfreude hervorzugehen“. Ihr optimistisches Naturell war sicher eine Grundvoraussetzung, um den lebenslangen Kampf mit den rückständigen Bedingungen in Deutschland zu bestehen. Gegenüber Wladimir Lindenberg verbarg sie um 1923 aber auch nicht ihre Resignation. „Als der unselige Krieg endlich zu Ende ging – und verzeih mir, aber ich war froh, daß wir ihn verloren haben […] –, da glaubte ich, wir würden vielleicht einer neuen Zeit […] entgegengehen. Ich habe mich bitter geirrt: die Menschen blieben die gleichen, und niemand […] hatte die Absicht oder den Mut, alles zu reformieren, denn in dieser Welt ist alles reformbedürftig. Ich bin tief enttäuscht. Ich habe als Frau erbittert gegen die Welt der Männer gekämpft, um das Recht zu bekommen, akademischer Lehrer zu sein. Wieviel Kraft hat das gekostet und durch wie viele Demütigungen mußte ich hindurch! Und heute […] gibt es außer mir nur eine einzige Frau, die Professorin geworden ist. Ich glaubte, in der neuen Demokratie würde das anders; nichts ist anders geworden.“
Maria von Linden blieb isoliert im Universitätsbetrieb, die Kollegen lehnten das Eindringen einer Frau in ihre Welt ab. Als ihr der Rektor 1915 nahelegte, nicht mehr an den Festlichkeiten der Universität teilzunehmen, weil ihre Gegenwart als weiblicher Professor protokollarische Probleme verursache, verlangte sie, diesen Vorschlag doch schriftlich festzuhalten. „Der Rektor stutzte: ‚Sie sind doch eine kluge Person, warum bestehen Sie darauf, dieses Gespräch zu protokollieren?‘ – ‚Ich zweifle nicht an meiner Klugheit, Magnifizienz. Aber ich glaube, dieses Protokoll wäre ein interessantes Dokument für die Zukunft. Es würde demonstrieren, womit die deutschen Professoren […] sich im Krieg beschäftigen.‘ – Der Rektor schwieg, das Dokument wurde nicht abgefaßt und Maria Linden nahm weiterhin an den feierlichen Treffen der Professoren teil.“
Auch wenn Maria von Linden es als Pionierin der Wissenschaft weit brachte, konnte sie die Gesetze einer patriarchalen Gesellschaft nicht außer Kraft setzen. Ute Planert schreibt 1993: „Sie erkämpfte Ungewöhnliches, stieß zuguterletzt jedoch endgültig an die Grenzen einer bornierten Männergesellschaft“.
Text: Ulrike Klens
Quellenangaben
Die Rechte an dem oben stehenden Text liegen beim Haus der FrauenGeschichte Bonn e.V. (Öffnet in einem neuen Tab)
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Susanne Flecken-Büttner: Maria Gräfin von Linden (1869-1936). Erste Titularprofessorin in Bonn, in: Ursula Mättig [u.a.] (Hg.): Vor-Bilder. Wissenschaftlerinnen der Universität Bonn. Bonn 2003, S. 46-54.
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Christina Klausmann: Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich. Das Beispiel Frankfurt am Main. Frankfurt/New York 1997.
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Susanne Flecken: Maria Gräfin von Linden (1869-1936), in: Annette Kuhn [u.a.] (Hg.): 100 Jahre Frauenstudium. Frauen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Dortmund 1996, S. 117-125.
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Ulrike Just: Frauen an der Universität. Gräfin von Linden, erste Bonner Professorin, in: Bettina Bab [u.a.]: Auf den Spuren der Bonnerinnen. Lesebuch zur Bonner Frauengeschichte. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Bonn 1995, S. 54-58.
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Ute Planert: Die erste deutsche Biologin, in: EMMA Nr.1/1993, S. 92-94.
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Ulrike Just: „Sie wird kein ganzer Mann und ist keine rechte Frau mehr“. Maria Gräfin von Linden, die erste Tübinger Studentin und erste Professorin in Bonn, in: Anne Schlüter (Hg.): Pionierinnen, Feministinnen, Karrierefrauen?. Zur Geschichte des Frauenstudiums in Deutschland. Pfaffenweiler 1992, S. 87-92.
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Gabriele Junginger (Hg.): Maria Gräfin von Linden. Erinnerungen der ersten Tübinger Studentin. Tübingen 1991, darin: Maria Gräfin von Linden: Erlebtes und Erstrebtes eines Sonntagskindes. 1929, S. 21-141.
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Wladimir Lindenberg: Bobik in der Fremde. Ein junger Russe in der Emigration. München/Basel 1971.
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Maria Gräfin von Linden – Ein Leben für die Wissenschaft, in: Gleichstellung der Universität Bonn. https://www.gleichstellung.uni-bonn.de/angebote-und-beratung/unterstuetzungsmassnahmen-und-programme/biografie-maria-von-linden (Abruf 17. Januar 2023).
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Christian George: Maria von Linden, in: Internetportal Rheinische Geschichte.
https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/maria-von-linden/DE-2086/lido/57c941968584e2.87691865 (Öffnet in einem neuen Tab) (Abruf am 17. Januar 2023). -
Thomas Ernst Wanger: Wartensleben, Gabriele Gräfin von. Stand 31.12.2011, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein online.
https://historisches-lexikon.li/Wartensleben,_Gabriele_Gräfin_von (Öffnet in einem neuen Tab)(Abruf 17. Januar 2023). -
Eine Pionierin der Gestaltpsychologie: In memoriam: Vor 150 Jahren wurde die Psychologin Gabriele von Wartensleben geboren. Begraben ist sie in Schaan, in: Lichtensteiner Vaterland E-Paper. 24. Mai 2020. https://www.vaterland.li/liechtenstein/gesellschaft/vermischtes/eine-pionierin-der-gestaltpsychologie-art-419401.
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Personalakte Maria von Lindens im Universitätsarchiv Bonn.