Bette DavisWenn Sie wollen, dass etwas gut gemacht wird, lassen Sie es von ein paar gestandenen Weibsbildern erledigen.
Die Feministin Brigitta Lange war über ein Jahrzehnt eine tragende Säule im Nora-Frauenbuchladen in Bonn. Sie mischte darüber hinaus in mehreren anderen Projekten der autonomen Bonner Frauenbewegung mit und stellte bis heute unzählige kulturelle Veranstaltungen auf die Beine.
Ihr Lesbischsein lebt sie schon seit den 1980er Jahren offen, selbstbewusst und mit einer gewissen Nonchalance. Witz, britisches Understatement und Höflichkeit sind untrennbar mit ihr verbunden.
Frauen wie sie, mit dieser Begeisterung, diesem Einfallsreichtum, diesem Engagement und dieser Beharrlichkeit, haben die Frauenemanzipation beflügelt!
Feministisches Erwachen in Gummersbach
Brigitta Lange stammt aus Gummersbach, wo sie 1977 ihr Abitur machte. Jürgen Domian und Hella von Sinnen, mit denen sie in eine Klasse ging und zusammen Theater spielte, gehörten zu ihrer festen Clique. Mit Hella von Sinnen engagierte sich Brigitta Lange in einer Frauengruppe an ihrer Schule, die z.B. durchsetzte, dass im Literaturunterricht der 1975 erschienene feministische Klassiker „Häutungen“ von Verena Stefan gelesen wurde.
Im Klappentext heißt es:
„Mit unübertroffener Genauigkeit analysiert die Autorin heterosexuelle Herrschaftsverhältnisse und die Aufenthaltsbedingungen, die für Frauen als Kolonisierte in der Welt der Männer gelten. Zu einem Mann zu gehören definiert sie als angelerntes Suchtverhalten, das den Interessen der Männer dient. Frauen bleiben sich selbst und einander fremd. Etappenweise schildert Verena Stefan ihren Ausbruch aus der Abhängigkeit und den Beginn einer lesbischen Liebe.“
Bestimmt hatte dieses Buch auch seinen Anteil an Brigitta Langes feministischer Bewusstwerdung.
Neue Frauenbewegung
Die Neue Frauenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland begann Anfang der 1970er Jahre mit dem Kampf gegen das Abtreibungsverbot. Charakteristisch für ihren weiteren Verlauf war das Aufkommen verschiedener autonomer Projekte. Ziele waren eine konsequentere Durchsetzung des Gleichberechtigungsprinzips, die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, die Beseitigung der geschlechtsspezifischen Rollen in Erziehung, Medien und Beruf, die Beendigung der männlichen Autorität und Vorherrschaft über die Frau, die Abschaffung repressiver Gesetze sowie die Ermöglichung der persönlichen Selbstverwirklichung.
Ende der 1970er Jahre schufen sich Frauen zunehmend eigene Räume wie Frauenzentren, Beratungsstellen, Frauenhäuser, Frauenbuchläden, Frauencafés und Gesundheitszentren. Sie brachten eigene Zeitungen und Zeitschriften heraus, gründeten eigene Verlage und Archive, veranstalteten eigene Ausstellungen, Konzerte sowie Filmfestivals.
Im kulturellen Bereich wurde eingefordert, konsequent die Perspektive von Frauen einzubringen. Neben den Frauenbuchläden entstanden zahlreiche Frauenverlage. Mitte der 1990er Jahre gab es insgesamt etwa 25 Frauenverlage und 30 Frauenbuchläden in der Bundesrepublik. Feministische und lesbische Literatur der neuen Frauenverlage war bis dahin im üblichen Buchhandel kaum vertreten. Schriftstellerinnen waren im Literaturbetrieb gnadenlos unterrepräsentiert.
Das Sortiment der Frauenbuchläden umfasste Sachbücher und Belletristik überwiegend von Autorinnen sowie feministische Zeitschriften. Themenschwerpunkte waren feministische Theorie, Biografien, Lesben, Frauengeschichte, Frauen und Arbeit, Mädchen, Psychologie, Gesundheit, Spiritualität, Sexualität, Gewalt gegen Frauen, Rassismus, Nationalsozialismus und internationale Frauenbewegung. Die Frauenbuchläden dienten darüber hinaus als Informations- und Vernetzungsstellen. Sie waren Orte, wo feministische Diskussionen und Autorinnen-Lesungen stattfanden.
Nora-Frauenbuchladen: Bornheimer Straße 92
Im Herbst 1977 begann Brigitta Lange in Bonn ein Jura-Studium. Beim Herausgehen aus dem Juridicum hätte sie sich einmal fast beide Füße gebrochen, was sie als schlechtes Omen interpretierte. Nach zwei Semestern gab sie das Studium auf, weil sie die Atmosphäre nicht mehr ertrug. Sie wollte nicht mehr von Professoren hören, dass es „Verschwendung von Humankapital sei, wenn man Frauen studieren lasse, weil die ja sowieso hinterher nur heiraten und die Kinder großziehen“.
Voller Tatendrang und mit großer Lust, sich feministisch zu engagieren, stürmte Brigitta gleich an ihrem ersten Tag in Bonn in den Nora-Frauenbuchladen, der sich zu dieser Zeit auf der Bornheimer Straße 92 befand. Sie hoffte, dadurch in Kontakt zur Bonner Frauenbewegung zu kommen. Nora war im Juni 1977 von Trudel Hesseler (Buchhändlerin) und Tina Pfeiffer (Rechtsanwaltsgehilfin) gegründet worden, die sich damit selbstständig machen wollten.
Der erste deutsche Frauenbuchladen Lillemore’s wurde 1975 in München eröffnet, mit Labrys kam zwei Wochen später in Berlin der zweite Frauenbuchladen dazu. 1977 gab es einschließlich Nora bereits zwölf Frauenbuchläden in der Bundesrepublik.
Eine lose „Frauenliteraturgruppe“, der u.a. Herrad Schenk, Agnes Dudler, Heidi Baumann angehörten, unterstützte die Anfänge Noras im Hintergrund ideell und auch finanziell. Dieser „Frauenliteraturgruppe“ trat auch Brigitta Lange bei. Zusätzlich gab es noch einen Kreis von Unterstützerinnen, die einsprangen, wenn eine der beiden hauptamtlichen Noras verhindert war. Innerhalb eines Monats verließ Brigitta Lange ihre unbehagliche Studentenbude und zog in die Frauenwohngemeinschaft einer der beiden Nora-Frauen. Dadurch ergab sich, dass sie öfter bei Nora aushalf.
Von Anfang an war im Nora Frauenbuchladen im Gegensatz zu anderen Frauenbuchläden z.B. in Berlin oder Frankfurt auch Männern der Zutritt gestattet. Das widersprach zwar dem Grundsatz der Neuen Frauenbewegung, sich durch ihre Projekte eigene Frauenräume aufzubauen, war aber der Tatsache geschuldet, dass ein Frauenbuchladen in einer mittleren Stadt wie Bonn fürs Überleben auch auf männliche Kunden angewiesen war. An diesem pragmatischen Prinzip hielt Nora trotz einiger bizarrer Auftritte von Männern im Buchladen fest.
Im März 1978 mussten sich die beiden Frauen, die sich mit Nora selbst Arbeitsplätze hatten schaffen wollen, eingestehen, dass der Frauenbuchladen ihre wirtschaftliche Existenz nicht sichern konnte. Daraufhin bildete sich ein „Kollektiv“ aus ca. zehn Frauen, viele von ihnen Studentinnen, die einen halben Tag in der Woche unbezahlt bei Nora arbeiteten. Es war schwierig, die Abläufe so zu gestalten, dass sie für die vielen Mitarbeitenden durchschaubar blieben. Einmal wöchentlich traf sich das „Kollektiv“, um die Besetzung der Ladendienste, den laufenden Betrieb und Anfragen anderer Frauenprojekte zu besprechen. In einem Flyer beschrieben die Nora-Frauen sich und ihren Laden so: „Unser Selbstverständnis schwankt zwischen ‚Avantgarde‘ der autonomen Frauenbewegung und Dienstleistungsbetrieb mit unbezahlter weiblicher Arbeitskraft! Wir versuchen mehr als ‚nur‘ ein Buchladen zu sein, sind vor allem Anlaufstelle für Frauen mit allen möglichen Fragen und Problemen.“
Das Ladenlokal in der Bornheimer Straße war ziemlich klein. Mangels finanzieller Ressourcen und einem beschränkten Angebot an Frauenliteratur auf dem Markt waren die Regale anfangs so leer, dass die Bücher quergestellt wurden, damit es voller aussah. Als nach und nach mehr Bücher ins Sortiment aufgenommen wurden, wurde es zu eng. Auch das Heizen mit einem Kohleofen war für die Bücher nicht gerade ideal. Es wurde beschlossen, ein neues Ladenlokal zu suchen.
Nora-Frauenbuchladen: Wolfstraße 30
Im Juni 1980 zog Nora in die Wolfstraße 30. Das „Kollektiv“ versprach sich von diesem Standort mitten in der Altstadt, der günstiger war als die bisherige Randlage, auch einen höheren Umsatz. Zusätzlich war es von Vorteil, dass es in der ehemaligen Bäckerei neben dem Verkaufsraum eine dahinter liegende Backstube gab. In diesem Raum wurde kurz darauf das Frauencafé Lila Backstube eröffnet. Dadurch wurde ein Raum für private Treffen von Frauen geschaffen. Mangels anderer Angebote hatten sich viele Frauen oft bei Nora eingefunden, Nora quasi als ihr „zweites Wohnzimmer“ in Beschlag genommen, was neue Kundinnen zum Teil irritierte.
Frauenliteratur war in den 1980er Jahren angesagt. Für viele Bonner Frauen war es attraktiv, bei Nora mitzuarbeiten. Um den Ansturm bewältigen zu können, wurde für Neue sogar ein Vorstellungsgespräch vor dem gesamten „Kollektiv“ eingeführt. Dabei fielen manche Bewerberinnen durch. Zeitweise galt auch ein Aufnahmestopp.
Brigitta Lange war seit 1978 Mitglied des „Nora-Kollektivs“. Sie studierte inzwischen Kunst und Englisch auf Lehramt an der Pädagogischen Hochschule Bonns, obwohl sie eigentlich nicht vorhatte, Lehrerin zu werden. Schon während ihres Studiums, das sie zum Teil selbst finanzierte, hatte sie berufliche Erfahrung sammeln können. So war sie u.a. als Bürokraft für die Fraueninitiative 6. Oktober tätig. Hier waren vor allem SPD-Frauen aktiv, die nach der Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 enttäuscht waren, dass kaum Frauen in die Regierung kamen. Auf den jährlichen Bundeskongressen der Fraueninitiative 6. Oktober präsentierte Nora regelmäßig ein ausgewähltes Büchersortiment, einen „Büchertisch“, wie bei vielen anderen in Bonn stattfindenden Frauen-Veranstaltungen.
Brigitta Lange brachte mehr als zehn Jahre ihre volle Power in die Buchladenarbeit ein. Sie übernahm auch unbeliebte Aufgaben wie z.B. die Umsatzsteuererklärung und die Buchhaltung. Schließlich fand sie so viel Interesse an diesen finanziellen Dingen, dass sie sich nach Abschluss ihres Studiums zur Steuerfachgehilfin in Köln ausbilden ließ. Danach war sie für anderthalb Jahre für eine Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungskanzlei tätig, bis es ihr zu bunt wurde, zwischen den sich gegenseitig bekämpfenden Chefs zerrieben zu werden. Nach einem Jahr in einer anderen Bonner Firma war sie einige Jahre bei der feministischen Zeitschrift Emma zuständig „für alles, was mit Zahlen, Statistiken und Buchhaltung zu tun hatte“.
Im Frauenbuchladen wurden nicht nur Bücher verkauft, sondern das „Nora-Kollektiv“, allen voran Brigitta Lange, organisierte auch zahlreiche Lesungen. Weil der Andrang manchmal so groß war, musste auf größere Räume ausgewiesen werden. Als z.B. die beiden bekannten feministischen Autorinnen Cheryl Benard und Edit Schlaffer zu einem Vortrag eingeladen waren, wurde die Veranstaltung kurzerhand in den Saal der „Harmonie“ in Endenich verlegt mit Platz für mehr als vierhundert Besucherinnen.
Im „Kollektiv“ wurde ausgiebig diskutiert. Oft kam es auch zu heftigen Auseinandersetzungen. Interne Streitigkeiten wurden – so Brigitta Lange – „durch eine jugendliche Borniertheit verschärft, die andere Meinungen nicht gelten ließ und keine Ahnung von Streitkultur hatte“. Konflikte waren an der Tagesordnung: Einige Frauen wollten, dass andere gehen, weil sie nicht feministisch genug seien. Lesbische und heterosexuelle Frauen fühlten sich gegenseitig nicht anerkannt. Die Noras hatten unterschiedliche Vorstellungen von ihrem Einsatz und ihrer Arbeitsweise im Frauenbuchladen: Die eine Fraktion wollte sich nur begrenzt bei Nora einbringen, solange es ihr Spaß machte. Die andere Fraktion, zu der Brigitta Lange gehörte, hatte den Ehrgeiz, mehr zu leisten, um Nora voranzubringen. Als dieser letzte Disput eskalierte, wurden andere Bonner Frauenprojekte einbezogen, um den Streit zu schlichten. Obwohl das „Nora-Kollektiv“ – so Brigitta Lange – „von einer Krise zur nächsten taumelte“ und es neben einigen langjährigen Mitarbeiterinnen eine beträchtliche Fluktuation gab, sicherten die Ehrenamtlichen die Existenz Noras dennoch für ein gutes Jahrzehnt.
Im Juni 1987 feierte der Nora-Frauenbuchladen sein zehnjähriges Bestehen mit einem rauschenden Fest in der Lila Backstube, die 1985 aus dem Hinterhaus der Wolfstraße 30 ins Frauenmuseum übergesiedelt war. Höhepunkt dieses Events war das vom „Kollektiv“ verfasste und von den Nora-Frauen aufgeführte Kabarett. Das Spektrum der einzelnen Szenen reichte von der Vision „Nora unlimited als weltweit agierender Konzern“ über die trübe Aussicht „Nora nur noch samstags geöffnet“ bis zu einer beispielhaften „Kollektivsitzung“, bei der die einzelnen Nora-Frauen sich gegenseitig ins Jenseits beförderten. Die Darbietung endete unter tosendem Applaus der vielen zum Jubiläum erschienenen Frauen.
Ein weiteres Highlight war im April 1988 eine Bonner Frauenkulturwoche in der „Brotfabrik“, die von den Frauenprojekten Nora, Lila Backstube, Lila Lotta und der Frauenbildungswerkstatt durchgeführt wurde. Brigitta Lange organisierte die Literaturveranstaltungen mit. Ingeborg Boxhammer kümmerte sich um die Filmvorführungen. Im Theaterprogramm trat u.a. der feministische Damenchor „Die Rheintöchter“ auf, dem Brigitta Lange später von 1991 bis 2018 angehörte.
Nora barg für Brigitta Lange die Chance, an der Verbreitung feministischer Ideen aktiv mitzuwirken. Ihr Ziel war es, „in den Köpfen der Frauen (und der Männer, die es vielleicht nötiger gehabt hätten) Dinge in Gang zu bringen“. Heute räumt sie selbstkritisch ein: „Frauen, die zu Nora kamen, waren wenigstens schon mal in den Bus eingestiegen, die vielen anderen, die man noch zur Bushaltestelle hätte tragen müssen, die haben wir wohl nie erreicht.“
Persönlich war für sie der Nora-Frauenbuchladen und sein Umfeld wie eine Familie. Hier fühlte sie sich heimisch. Dabei spielte eine große Rolle, dass sie sich hier offen als Lesbe zeigen konnte und auf andere Lesben traf.
Lesben engagierten sich überproportional in der Neuen Frauenbewegung – wie schon in der Ersten Frauenbewegung. Zum „Nora-Kollektiv“ gehörten meistens mehrheitlich lesbische Frauen. Lesben leisteten eine Unmenge an Arbeit in der Frauenbewegung. Da für sie die persönlichen Beziehungen untereinander existenziell wichtig waren, entstand ein enger Zusammenhalt in und zwischen den Frauenprojekten. Lesben solidarisierten sich regelmäßig beim für sie weniger brisanten Kampf gegen § 218 mit den Heteras. Umgekehrt dagegen wurden sie von den Heteras, wenn es um den Kampf gegen Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ging, häufig im Stich gelassen.
In den 1980er Jahren war der Nora-Frauenbuchladen eine Keimzelle für neue Initiativen. Die Entstehung der Frauenzeitschrift Lila Lotta verdankt sich u.a. dem von Brigitta Lange initiierten monatlichen Nora-Rundbrief mit Buchtipps, Hinweisen auf Neuerscheinungen und Veranstaltungen, der per Post über einen festen Verteiler verschickt wurde. Eine „Frauenfriedensgruppe“ in Bonn, an deren Entstehung auch Brigitta Lange beteiligt war, ging aus Aktivitäten rund um Nora hervor. Die von Marianne Krüll gegründete „AG Frauenforschung der Universität Bonn“ wurde von Nora-Frauen tatkräftig unterstützt. Brigitta Lange gründete dafür eigens den Nora-Frauenverlag, um die Vorträge zu veröffentlichen, die im Rahmen einer Vortragsreihe „Studium Feminale“ an der Bonner Universität gehalten wurden. Im Nora-Frauenverlag erschienen 1984 „Alma Mater & Konsortinnen“ und 1986 „Studium Feminale: Vorträge 1984/85“. Beide Bände zeugen von den Anfängen feministischer Forschung in verschiedensten Disziplinen. Brigitta Lange selbst referierte zum realitätsnahen Frauenbild in den Kriminalromanen von Dorothy Sayers. Der auf ihrer Examensarbeit basierende Vortrag ist im ersten Band abgedruckt.
Überhaupt Krimis! Brigitta Lange sagt derzeit über sich selbst: „Seit ich mit dreizehn Jahren in der Stadtbücherei Gummersbach Dorothy Sayers entdeckt habe, war ich für die ‚ernste‘ Literatur verloren. Krimis lese ich bis heute gerne und freue mich, wenn ich mal wieder eine neue Mordmethode kennenlerne.“ So lag es nicht allzu fern für sie, selbst einen Krimi zu schreiben. Damit gehörte sie zur feministischen Avantgarde. 1988 startete die von Frigga Haug ins Leben gerufene „Ariadne Krimireihe“, die sich vorgenommen hatte, Frauen- und Lesbenkrimis herauszugeben. Bis dahin dominierten im Krimigenre Männer – oft Machos – als Ermittler. Eine Krimihandlung wie die von Brigitta Lange entworfene war damals im Mainstream undenkbar.
Nora-Frauenbuchladen: Breite Straße 42
Die letzte Phase des Nora-Frauenbuchladens wurde 1991 mit dem Umzug in die Breite Straße in attraktivere Räume eingeläutet. In der Anfangszeit funktionierte das Betreiben des Frauenbuchladens durch das „Nora-Kollektiv“ noch halbwegs. Einmal im Monat wurden „Sonntags-Matinéen“ von den Noras selbst durchgeführt, auf denen Neuerscheinungen vorgestellt, aus feministischen Klassikern gelesen oder andere interessante Bücher des Sortiments präsentiert wurden.
Im Laufe der Zeit machten sich allerdings Auflösungserscheinungen bemerkbar. Einige Frauen schieden aus dem „Kollektiv“ aus, weil sie wegen ihrer Berufstätigkeit keine Zeit mehr hatten oder weil sie von Bonn wegzogen. Und es rückten keine neuen Frauen mehr an ihre Stelle. So kam als letzte Rettung die Idee auf, den Frauenbuchladen wieder zu privatisieren, d.h. ihn zwei bisher im „Nora-Kollektiv“ aktiven Frauen zu übergeben, die von den Einkünften leben wollten. Die finanzielle Ausgangsposition Noras war zwar etwas aussichtsreicher als früher, aber schon nach kurzer Zeit zeigte sich, dass der Frauenbuchladen nicht genug abwarf, um die Arbeitsplätze der beiden Frauen zu sichern. Sie mussten 1995 endgültig aufgeben.
Eigene Buchhandlung in Mülheim an der Ruhr
Anfang der 1990er Jahre beschlossen Brigitta Lange und Ursula Hilberath, die lange bei der Lila Lotta aktiv war, sich mit einer eigenen Buchhandlung selbstständig zu machen. Ursula Hilberath hatte ihre Dissertation in Kunstgeschichte abgeschlossen und Brigitta Lange war während ihrer Tätigkeit für Emma klar geworden, dass ihr zwar die Arbeit mit Büchern und Zeitschriften gefiel, ihr aber der Austausch mit den „Endverbraucher*innen“, den Kund*innen fehlte. Aus ihrer Erfahrung mit Nora wusste Brigitta Lange, dass die gezielte Auswahl eines geeigneten Standorts für das Gelingen des Projekts entscheidend war.
In Mülheim an der Ruhr, in dem wachsenden und aufblühenden Stadtteil Saarn, wurde schließlich am 1. September 1993 in einer ehemaligen Metzgerei die Buchhandlung Hilberath & Lange eröffnet. Die Gründung eines Frauenbuchladens war in diesem Umfeld undenkbar, aber auch in einer „Feld-, Wald- und Wiesenbuchhandlung“ ließ sich viel bewegen.
In den 29 Jahren ihres Bestehens trug Hilberath & Lange erheblich zur kulturellen Bereicherung der Stadt Mülheim bei. Für dieses Engagement wurden die beiden Gründerinnen 2015, 2018 und 2020 mit dem deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet. Auf ihrer Homepage schreiben sie: „Wir lieben es, kreative und innovative Ideen in die Tat umzusetzen. Der von uns initiierte und maßgeblich organisierte ‚Saarner Bücherfrühling‘ findet seit 1995 jährlich statt und auch unsere vielseitigen Veranstaltungen im Herbst erfreuen sich großer Publikumsresonanz.“
Nach zwei sehr herausfordernden Jahren mit Corona hat Hilberath & Lange nach eingehender Suche schließlich Nachfolgerinnen gefunden und die Buchhandlung verkauft. Die angestellten Mitarbeiterinnen werden übernommen. Die endgültige Übergabe hat am 1. September 2022 stattgefunden.
Brigitta Lange lebt heute mit ihrer Frau zusammen, die sie 1998 kennenlernte, mit der sie sich 2006 verpartnerte und die sie 2019 heiratete. Für den kommenden Ruhestand hat sie sich erst mal keine neuen Projekte vorgenommen. Sie freut sich, endlich Zeit zu haben, u.a. um neue Krimis zu lesen!
Ich kenne Brigitta Lange aus unserer gemeinsamen Zeit im Nora-Frauenbuchladen und habe sie erlebt als eine zielstrebige, tatkräftige und kreative Frau mit einer Vorliebe für britischen Humor. Bewundernswert finde ich, wie es ihr gelungen ist, im Laufe ihres Lebens ihre Leidenschaften, Stärken und Interessen in Einklang zu bringen: Ihren Feminismus, ihr Lesbischsein, ihre Begeisterung für Kultur und Literatur, ihr Faible für Bühne und Kabarett, ihren Hang zu Unabhängigkeit. Es gelang ihr, weil sie sich ausprobierte und unbeirrt mit einem gewissen Sinn für Realität, die Verwirklichung ihrer eigenen Vorstellungen verfolgte.
Text: Ulrike Klens
Quellenangaben
Die Rechte an dem oben stehenden Text liegen beim Haus der FrauenGeschichte Bonn e.V. (Öffnet in einem neuen Tab)
- Interview mit Brigitta Lange. 29.04.2022.
- Manuela Maaß: Die neue Frauenbewegung der 1970er Jahre in Deutschland. März 2011. https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/ nl-wissen/geschichte/70er/frauenbewegung.html (Abruf 25.05.2022).
- Rosemarie Nave-Herz: Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland. Bonn 1997. Online-Version (Abruf 30.05.2022).
- Chronik der neuen Frauenbewegung, 1975. FrauenMediaTurm – Feministisches Archiv und Bibliothek (Abruf 25.05.2022).
- Ingeborg Boxhammer: Chronik lesbischer Frauen und Aktivitäten in Bonn. https://www.lesbengeschichte.org/Pdfs/pdfs_material_deutsch/lesbisches_leben_in_bonn_boxhammer.pdf (Abruf 14.06.2022).