In einer Zeit, in der Frauen nur als Dienende gesehen wurden, verdankt Berta Lungstras ihren Erfolg ihrer Einstellung, sich als Werkzeug Gottes zu sehen. So konnten auch Männer sie unterstützen ohne in den Verdacht zu geraten, einer Frau zu Diensten zu sein. Nichtsdestotrotz verstand sie, sich energisch und zielstrebig durchzusetzen, umso mehr, als sie selbst nur in „höherem“ Auftrag zu handeln glaubte. Daran hegte sie nie den geringsten Zweifel. Der Frauenemanzipation wandte sie sich nur in dem Rahmen zu, der ihren Zielen entsprach, nämlich zu Beginn ihrer Arbeit der Hebung der Moral und mit wachsenden Einsichten der Hebung des Ansehens der Frauen allgemein.
Es ging ihr jedoch nicht darum, den Kampf der Frauen um mehr politischen Einfluss zu unterstützen. Ihre bemerkenswerte geistige Entwicklung vollzog sich ausschließlich aus den Erfahrungen ihrer Arbeit, die sie in unbedingter Übereinstimmung mit dem Bibelwort wusste. Besondere Beachtung verdient die Tatsache, dass sie sich im Zuge dieser Entwicklung von allen bürgerlichen einschränkenden Vorgaben befreite.
Kindheit und Jugend in Wahlscheid
Berta Lungstras wurde in eine pietistische Familie geboren. Die Vorfahren ihrer Mutter hatten seit 350 Jahren das Amt des Pfarrers in Wahlscheid inne. Danach wurde ihr Vater Carl Lungstras Pfarrer in Wahlscheid. Sie sei ein echtes Kind des bergischen Landes gewesen, so ihre Biografin: „praktisch und nüchtern, beweglich mit dem frohen Unternehmenssinn des Rheinländers, gepaart mit dem starken Willen und der zähen Ausdauer der Westfalen“.
Sie soll ein aufmerksames Schulkind gewesen sein, das gerne lernte. 1848 mit zwölf Jahren schon, verlor sie ihren Vater, an dem sie sehr hing. Ihre geistliche Unterweisung wurde von dessen Nachfolger Pastor Korten fortgeführt. Besondere Verehrung brachte sie ihrem Lehrer Wellenbeck entgegen, der sie auch später bei ihrem „Werk“ tatkräftig und ideell unterstützte. Sie wurde besonders musisch gefördert. Konzert-, Theaterbesuche und Vorträge waren selbstverständlich.
Besonders die Musik machte großen Eindruck auf das empfindsame Mädchen. Sie ging zur Ausbildung ein Jahr in Reusrath in die Familienpension Reinold, in der ein ernst-christlicher Geist herrschte. Auch dort nahm sie jede Gelegenheit zum Lernen wahr, besonders Sprachen und Musik interessierten sie.
Armen- und Krankenpflege
1858 - zehn Jahre nach dem Tod des Vaters – ist ihr Bruder schon in Mülheim als Unternehmer tätig. Bertas ältere Schwester Emma heiratet ihren Cousin Wilhelm. Berta bleibt zeitlebens ihrem Cousin eng verbunden und erhält von ihm manchen juristischen Rat. Berta und ihre Mutter ziehen mit nach Bonn. Wie in christlich-bürgerlichen Kreisen üblich, engagieren sich die Familienmitglieder in sozialer Arbeit. Es ist selbstverständlich für sie, sich um Arme und Kranke in der Gemeinde zu kümmern.
Im Krieg 1870/71 hilft Berta im Spital. Das Elend der Soldaten hinterlässt einen tiefen Eindruck auf sie. Sie steuert auf eine persönliche Krise zu, denn nun empfindet sie ihr Leben als unausgefüllt angesichts des Elends in der Welt. Sie bezieht sich auf das Bibelwort: „Das tat ich für dich, was tust du für mich?“ Sie erlebt eine erste tiefe Freundschaft zu Schwester Auguste, einer Kaiserswerther Diakonisse, mit der sie eingehend ihre Probleme bespricht. Wie sie im Tagebuch schreibt, wollte sie ihren Weg ruhig weitergehen, unabhängiger sein von den Menschen, sich der häuslichen und gesellschaftlichen Pflichten mehr und mehr entziehen und nicht auf Verständnis von Seiten der Familie bauen, gemäß dem Bibelspruch: ‚Seid Täter des Worts und nicht Hörer allein’. Und sie fährt fort: „Wir verplauderten vergnügte Stunden, wenn mich auch bei solch müßigem Sitzen ein Gefühl des Unbehagens kaum verlässt, wenn ich denke, was ich in dieser Zeit tun könnte“. Sie erkennt jedoch, dass sie zur Gemeinde-Diakonissin nicht geeignet ist wegen ihres lebhaften Temperaments und selbstständigen Wesens.
Den Sommer 1872 verbringt sie in Mühlheim. Sie bewegt ihre Schwägerin, einen Verein für Wöchnerinnen zu gründen. Zurück in Bonn ist sie tätig in der Hospital- und Gemeindearbeit, d.h. sie erhält Fürsorge-Aufträge von der Gemeinde, der Diakonie, über Prof. Nasse. Sie verkauft eigene Wertsachen für die Winterspende und organisiert mit großem Erfolg die Weihnachtsbescherung für die Armen.
Im November erhält sie zum ersten Mal über die Gattin des Univ. Professors Rühle von diesem die Erlaubnis zu Klinikbesuchen mit Billigung des Klinikleiters. Von diesem wird sie auch persönlich eingeführt, als sie im April 1873 ihren Erstbesuch in der Klinik macht. Eine weitere Unterstützerin war auch zu dieser Zeit schon Prinzessin Reuß XIII., die von ihrem Organisationstalent beeindruckt war.
Begegnung mit ungewollt schwangeren Mädchen
Im März 1873 kommt zum ersten Mal ein „gefallenes“ Mädchen auf sie zu und bittet um Hilfe. Diese ungewollt schwangeren Mädchen wurden damals zur Entbindung für zwölf Tage in die Klinik aufgenommen und dann ihrem Schicksal überlassen. Die Säuglingssterblichkeit war infolgedessen extrem hoch. Zwei Mal lehnt Berta so ein „unsittliches“ Ansinnen (sich mit einer solchen Sünderin zu beschäftigen) ab, aber beim dritten Mal kommen ihr Zweifel an der angeblichen „Verkommenheit“ dieser Mädchen. Über ihre Freundin und Beraterin, Schwester Auguste, wird den Mädchen geholfen.
Sie beginnt, sich um diese jungen Frauen zu kümmern und vermittelt sie nach Kaiserswerth (dem 1836 gegründeten Mutterhaus der Diakonissen) und zurück in ihre Familien. Die Kinder werden getrennt in Pflege gegeben. Aus diesen Erfahrungen lernt sie aber, dass es für alle gesünder ist, wenn die Kinder bei ihren Müttern bleiben. Sie sucht und findet Unterstützung bei Professoren und Geistlichen.
Gründung und Ausbau eines Versorgungshauses
Im Juli 1873 (sie ist schon fast 35 Jahre) bekennt sie sich öffentlich zu ihrer Idee eines Versorgungshauses, die sie mit Ihrer Freundin, Schwester Auguste, seit einigen Monaten entwickelt hat. Das ist ein Eklat in diesen gesellschaftlichen Kreisen! Später einmal sagte sie, dass sie der Überzeugung sei, dass ihr Leben erst begann, als sie ihre Arbeit gefunden hatte.
Schon im August unterschreibt sie den Mietkontrakt für ein einfaches Haus ohne Wasseranschluss und Kanalisation in der Maxstraße 1 in Bonn, gegen den Widerstand ihrer Mutter. Es ziehen zwei Frauen mit ihren Kindern und ein Waisenjunge ein. Aufgrund ihrer unermüdlichen Werbetätigkeit, worin sie große Unterstützung durch Prinzessin Reuß findet, gründet sich der Montagverein, der für das Versorgungshaus näht und flickt. Ihre Mutter ist jetzt dabei, sie hat ihre Meinung geändert. Berta selbst ist tatkräftig in jeder Richtung: Sie bezieht alte Möbel, streicht andere, zimmert, kümmert sich um die Sickergrube etc. Ab September gibt sie regelmäßige Jahresberichte heraus, die ein Vorbild werden für weitere achtzehn Versorgungshäuser im Deutschen Reich und angrenzenden Staaten. Der Zeitpunkt war klug gewählt, denn damit konnte sie für eine Winter- oder Weihnachtskollekte auf ihre geleistete Arbeit verweisen.
Wegen Renovierung der elterlichen Wohnung zieht ihre Mutter zu ihrer ältesten Tochter in die Quantiusstraße und Berta kann im Mai 74 - ohne ihre Mutter zu kränken - selbst ins Versorgungshaus umziehen. „So hat der Herr mich freigemacht.“ Mittlerweile leben schon neunzehn Mädchen mit Kindern im Versorgungshaus. Ihre Arbeit wird anerkannt und der Bonner Oberbürgermeister Kaufmann dankt ihr persönlich.
Nach heftigem Ringen mit sich und im ungetrübten Vertrauen auf Gottes Hilfe kauft sie 1875 ein Haus in der Weberstr. 69, das wesentlich mehr Komfort und den Kindern einen kleinen Garten bietet. Im April findet der Umzug statt. Nun hat sie einen Berg Schulden und keine regelmäßigen Einkünfte. Sie muss sich auf Spenden verlassen, aber diese fließen, auch dank der Unterstützung aus besten Kreisen.
Oberste Priorität hat bei ihr die sittliche Festigung der „Mädchen“. Werden Mädchen rückfällig mit einem zweiten Kind, so betrachtet sie diese als resistent und verloren. Sie nimmt sie nicht mehr auf. In ihrem Tagebuch schreibt sie: „Für solche Mädchen aber, welche sich im Leichtsinn umhergetrieben, aus der Prostitution ein Gewerbe machten oder aus Gefängnissen kommen, ist unser Haus nicht. Die Evangelischen dieser Art gehören in Magdalenenasyle, die Katholischen in die Klöster vom Guten Hirten.“ Das Leben in ihrem Versorgungshaus trägt den Charakter einer großen Familie, keinerlei Zwang oder Strafe wird angewandt, die Haustür ist nicht verschlossen.
Selbstverständlich jedoch führt sie ihr Haus streng nach christlichen Regeln mit täglichen Gebeten und Andachtsstunden. Es wird auch viel gesungen zur psychischen Stabilisierung. Sie sucht professionelle Unterstützung für Bibelstunden, die ihr jedoch von den Pfarrern verweigert wird. Diese wollen ein solches „Haus der Sünde“ nicht betreten. Stattdessen erreicht sie, dass engagierte Professoren ins Haus kommen.
Die Mädchen werden je nach Anlage in allen häuslichen Arbeiten ausgebildet und finden später stets gute Stellungen in Bonner Familien.
Im März 1876 kann Berta Lungstras erstmals eine feste Gehilfin einstellen: Berta Bernhardt, genannt Berthel, auf die sie sich hundertprozentig verlassen kann, da sie ihre Aufgabe wie die Gründerin selbst voller Idealismus versieht.
1880 erbt Berta Lungstras von ihrer Base Caroline Lungstras (Gründerin des Carolinenstifts) Geld und Hausrat. Sie erweitert das Haus durch einen Aufbau und eine Baulückenschließung. Außerdem bekommt es einen Kanalanschluss.
1882 legt Berta erstmals einen (den neunten) Jahresbericht mit Statuten vor. Sie hatte sich dem bis dato entzogen mit der Begründung, dass jeder Einzelfall besonderer Beachtung bedürfe. Inzwischen hat sich jedoch herauskristallisiert, dass gewisse Grundpositionen der Arbeit gleichbleiben.
Entbindungsanstalt
1888 erhält Berta die Erlaubnis zur Privat-Entbindungsanstalt, nachdem sie einen Entbindungssaal eingerichtet, eine ständig im Haus wohnende Hebamme gefunden hat, die unentgeltlich arbeitet und von einem ebenso idealistischen Arzt unterstützt wird. Sie hatte, wie es ihre Art ist, dieses Projekt energisch vorangetrieben, nachdem es zu Unstimmigkeiten zwischen ihr und der Klinik gekommen war.
Bemerkenswert ist auch ihre eigenständige Art, die medizinische Betreuung der Mädchen und deren Kindern zu regeln. Lange Zeit ist Prof. Zuntz ihr vertrauter Arzt. Als sie aber herausfindet, dass die homöopathische Behandlung für die Kinder schonender und von gleichem Erfolg ist, wechselt sie einvernehmlich mit ihm den behandelnden Arzt. Die Sterblichkeit der Kinder kann weiter gesenkt werden.
Trotzdem wird sie auf dem Rathaus verleumdet.
Gemeinsam mit dem Oberbürgermeister handelt sie eine Regelung aus, die solchen Verleumdungen den Wind aus den Segeln nimmt. Alle Ärzte arbeiten für sie unentgeltlich. Ihr Erfolg hat auch hier viele Neider und so muss sie häufigere Kontrollen hinnehmen. Auch weiterer bürokratischen Ansinnen muss sie sich erwehren, z. B. ein Krankenhaus aus ihrem Versorgungshaus zu machen, oder die Mädchen in großen Schlafsälen unterzubringen statt in kleinen Zimmern zusammen mit ihren Kindern. In den letzten Jahren nimmt Berta auf besondere Empfehlung auch Frauen zur Ausbildung auf. Eine eigene Ausbildungsstätte einzurichten, lehnt sie ab. Ihr „Werk“, dem sie inzwischen ein Kinderhaus angeschlossen hat, ist nun im In- und Ausland bekannt und es kommen Interessierte von weit her, sogar aus Indien und Japan.
Erstaunlich ist, dass Berta Lungstras trotz dieser immensen organisatorischen Arbeit immer wieder Zeit findet, sich persönlich um „ihre“ Kinder zu kümmern. Sie spielt mit ihnen, macht auch größere Ausflüge, verteilt Überraschungen. Die Kinder lieben sie über alles und nennen sie „Tata“ nach der Anrede eines kleinen Zweijährigen. Sobald sie von einer ihrer Reisen wiederkommt, ist es das Schönste für sie, wenn die Kinder sie mit Liedern, Gedichten und Malereien begrüßen.
Kampf gegen Prostitution
Infolge dieser intensiven Arbeit mit den jungen Frauen öffnen sich ihr langsam die Augen für das gesellschaftliche Geschehen hinter den persönlichen Dramen. In ihrem sechsten Jahresbericht schreibt sie: „Das Herz empört sich, wenn man diesen Jammer sieht. Denn, wie es heute steht: der Verführer geht frei aus, die Verführte trägt die Schuld in den Augen der Welt allein. Vor Gottes Auge gilt freilich wohl ein ander Maß; vor ihm sind alle Menschen gleich. Da heißt es nicht: Weil du ein Mann bist, darfst du ungestraft dieselbe Sünde tun, für die ein Weib verachtet ist und büßen muss ihr Leben lang …..“
Sie schließt sich dem 1877 in Genf gegründeten internationalen Verein der Freunde junger Mädchen an, befreundet sich mit der Gründerin Aimée Humbert und wirbt tatkräftig in Deutschland dafür. Der Verein wird ein Zweig des Deutschen Nationalvereins. Durch diese Werbearbeit wird Berta Lungstras ermuntert, nicht mehr nur einzelnen Frauen zu helfen, sondern auch öffentlich gegen Laster und Unsittlichkeit aufzutreten. Sie nimmt den Kampf gegen die Prostitution auf. Das ist für sie ein großer Schritt, wenn frau bedenkt, dass sie lange Zeit ihres Lebens von solch einer Institution gar nicht wusste, geschweige denn öffentlich über solch ein „unschickliches“ Thema sich zu äußern getraut hätte. Nach vielen Kämpfen erfolgt der Zusammenschluss etlicher kleinerer Vereine zum „Rheinisch - Westfälischen Verein zur Hebung der öffentlichen Sittlichkeit“. Wichtig ist ihr, in ihrem fortdauernden Kampf gegen Prostitution und Mädchenhandel auch Männer einzubinden, weil sie erkannt hat, dass nur so ihre Bemühungen das nötige Gewicht erhalten.
Frau von Diergardt schenkt Berta Lungstras ihr großes Haus an der Poppelsdorfer Allee. Berta verkauft es und kauft dafür ein kleines Haus gegenüber dem Versorgungshaus als „Heimstätte für umherirrende Mädchen und Trinkerinnen“. Nach intensiverer Beschäftigung mit dieser Zielgruppe unterstützt sie die Bewegung für Gastwirtschaften ohne Alkohol. Bald gibt es in Köln die erste fahrbare GOA (Gastwirtschaft ohne Alkohol).
Forderung der sozialen Gleichberechtigung von Frauen
1891 veröffentlicht Berta Lungstras einen Appell für eine Gesetzesinitiative, nach der Väter unehelicher Kinder zu Unterhaltszahlungen verpflichtet werden sollen. Dieser Aufruf wird von 16.000 Bonner*innen unterschrieben und an die Kaiserin und den Berliner Reichstag gesandt. Doch das Parlament lehnt eine Debatte über dieses Thema ab. Die Eingabe landet unter „Petitionen, die sich nicht zur Verhandlung vor dem Plenum eignen“.
Leider hat sich im Grundsatz bis heute an der Haltung zu diesen Fragen in Deutschland nicht viel verändert. Männer müssen inzwischen zwar für ihre unehelichen Kinder Unterhalt zahlen, doch im allgemeinen Bewusstsein gilt immer noch die Frau in der Folge als minderwertig. „Alleinerziehende“ werden despektierlich angesehen und in keiner Weise ausreichend unterstützt. Besonders im Hinblick auf die Prostitution gehen Männer in Deutschland straffrei aus. In einigen Ländern, z.B. Schweden und Frankreich, gilt Prostitution als grobe Verletzung der Integrität einer Frau und bestraft wird, wer „eine zeitweilige sexuelle Beziehung gegen Zahlung unterhält“, denn Sex“arbeit“ ist eben keine Arbeit wie jede andere, sondern verstößt gegen die Menschenwürde.
Aus all ihren Erfahrungen schließt Berta Lungstras, dass es unabdingbar sei, Frauen den Männern in der Gesellschaft gleichzustellen. Dazu gehört eine umfassende Bildung bis hin zum Universitätsstudium oder einer Berufsausbildung, auch um ein selbständiges Einkommen zu haben. Empört ist sie über eine Predigt, in der das Lob der Jungfrau hinter dem Herd gesungen wurde. Sie lädt Helene Lange ein, bei ihr im Versorgungshaus über Frauenbildung zu sprechen. Sie wendet sich an Luise Otto Peters im Kampf für weibliche Medizinerinnen, weil sie fordert, dass Frauen die gynäkologischen Untersuchungen durchführen sollten. Emanzipationsbestrebungen, die auf politische Rechte zielen, lehnt Berta jedoch ab. Sie tritt dem neu gegründeten Deutsch-Evangelischen Frauenbund bei, übernimmt jedoch wg. Alter und Überlastung keine Vorstandsarbeit.
1893 hatte Berta Lungstras mit Freundinnen bereits das erste evangelische Hospiz als behagliches Gasthaus in der Poppelsdorfer Allee 27 eingerichtet. Auch das war möglich geworden mit der Schenkung der Freifrau von Diergardt. Darüber hinaus gründet sie die Arbeitsgemeinschaft „Evangelisches Hospiz“, einen Treffpunkt für fortschrittliche Männer und Frauen; internationale Kongresse werden dort abgehalten und Gemeindearbeit organisiert.
Infolge unermüdlicher Anstrengungen und permanenter Arbeitsüberlastung hat ihre Gesundheit sehr gelitten. Sie kann aber noch erleben, wie mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches am 1.1.1900 das Familienrecht in ihrem Sinne geändert wird. (nach dem bis dahin geltenden Code civil war es sogar strafbar, auch nur nach dem Vater zu suchen!) Nun ist es ihr auch endlich erlaubt, persönlich als Vormund vom Gericht verpflichtet zu werden.
Am 20. Juli 1904 entschläft sie friedlich, nachdem sie ihr „Werk“ getan hat. Hunderte folgen dem Trauerzug ihrer geliebten „Tata“ zum Familiengrab. Sie wird auf dem hinteren älteren Teil des Alten Friedhofs in Bonn beigesetzt.
Text: Clara Wittkoepper
Quellenangaben
Die Rechte an dem oben stehenden Text liegen beim Haus der FrauenGeschichte Bonn e.V. (Öffnet in einem neuen Tab)
- Schumm-Walter, Charlotte: Berta Lungstras - Ein rheinisches Frauenleben in christlicher Fürsorge (incl. Portraitfoto) (inkl. Tagebuchauszügen 1872 bis 1904), Neuwied 1932
- Wikipedia Berta Lungstras, Abruf 16. Juli 2020
- Hallet, Renate: Lungstras, Berta, in: Hugo Maier (Hg.) Who is Who der sozialen Arbeit, Freiburg 1998, S. 376f.
- Arbeitsgemeinschaft Frauengeschichte/Frauen-Museum (Hg.): Bonner Frauengeschichte - Ein Stadtrundgang, ca. 1987