Juristin, erste Ministerin der Bundesrepublik, erste stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Vorkämpferin für Gleichberechtigung
„Ich habe von einer Zukunft geträumt, in der Frauen selbstverständlich als Menschen mit bestimmten Fähigkeiten und Kenntnissen neben Männern arbeiten und diskutieren könnten, ohne daß man von ihnen immer wieder eine besondere Stellungnahme in der Eigenschaft als Frau erwartete. Von dieser Selbstverständlichkeit träume ich noch.“ (1986)
1984Die Gesellschaft ändert sich – der Gesetzgeber reagiert – oft zu spät – als Mann.
Elisabeth Schwarzhaupt war von 1953 bis 1969 in Bonn als Bundestagsabgeordnete der CDU. 1961, zwölf Jahre nach Gründung der Bundesrepublik, wurde sie die erste Ministerin in einer deutschen Bundesregierung.
Als der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer seine Kabinettssitzungen wie bisher mit „Morjen, meine Herren“ eröffnete, wogegen Elisabeth Schwarzhaupt sich verwahrte, wies Adenauer sie mit den Worten zurecht: „In diesem Kreis sind auch Sie ein Herr.“ Trotz dieser Brüskierung setzte sie durch, als Dame angesprochen zu werden. Dass Adenauer oft wieder in seine alte Gewohnheit zurückfiel, ertrug sie ohne Emotionen.
Die streitbare Politikerin und Christin war eine Vorkämpferin für die Gleichberechtigung. Rita Süssmuth lobte sie 1987 als Vorbild „für Menschen, die politisch handeln“. Liselotte Funcke schätzte noch 2001 „ihren Mut, ihre Meinung auch gegen andere Vorstellungen ihrer Partei zu vertreten“ sowie ihre „Kraft zu unabhängigem Denken“.
Herkunft, Ausbildung und erste Berufserfahrung
Elisabeth Schwarzhaupt wurde 1901 in Frankfurt geboren, „also gerade rechtzeitig, um zwei Weltkriege, zwei Inflationen und die Bedrohung der Erde mit einem dritten, einem Atomkrieg, mitzuerleben“, schreibt sie in ihrem Lebensbericht. Sie wuchs in einem liberalen Elternhaus auf, in dem sich beide Eltern intensiv mit der Frauenbewegung, die von 1900 bis zum Ersten Weltkrieg eine Blütezeit erlebte, auseinandersetzten und eine gleichberechtigte Lebensweise praktizierten. Beide Eltern waren Lehrer. Während ihr Vater zum Oberschulrat und preußischen Landtagsabgeordneten aufstieg, wurde ihre Mutter wegen des geltenden „Lehrerinnenzölibats“ nach ihrer Heirat 1900 aus dem Schuldienst entlassen. Frauen hatten im Kaiserreich nur das Recht, sich entweder der Familie oder dem Beruf zu widmen. Bis 1908 durfte sich eine Frau zudem nicht politisch in Vereinen und Parteien betätigen.
Während des Ersten Weltkriegs verlor Elisabeth Schwarzhaupts Mutter alle Hausangestellten. „Sie opferte sich auf, um ihrer Familie einen Haushalt auf dem bürgerlichen Vorkriegsniveau in einer Zeit zu erhalten, in der es keine Waschmaschinen, keine Spülmaschinen und keine Zentralheizung gab“, schreibt ihre Tochter, die miterlebte, wie sehr ihre weltoffene und intelligente Mutter mit lebhaften künstlerischen Interessen darunter litt, auf die Hausfrauenrolle reduziert zu werden. „Ich selbst wollte diese Rolle, die meine Mutter vorlebte, nicht übernehmen. Zu einem Thema meines Lebens wurde die Frage, wie man die Rolle der Frau an neue Gesellschaftsformen so anpassen könnte, daß sie Kinder haben und doch mit gleichen Entwicklungschancen leben könnte wie der Mann.“
Elisabeth Schwarzhaupt besuchte ab 1913 die Schillerschule in Sachsenhausen, eine der zur damaligen Zeit führenden Mädchenschulen Deutschlands, die seit 1908 einen realgymnasialen Zug zum Abitur aufbaute. Dort hatte sie auch viele jüdische Freundinnen. Ab 1921 studierte sie Jura in Frankfurt und Berlin. Ihr zweites Staatsexamen legte sie 1930 ab nach Unterbrechungen durch lange Sanatoriumsaufenthalte im Schwarzwald und in der Schweiz wegen einer Lungenkrankheit.
Anschließend übernahm sie eine Tätigkeit bei einer Rechtsschutzstelle für Frauen in Frankfurt. Dazu bemerkt sie im Rückblick: „Ich hatte das Gefühl, daß ich vor Übernahme einer Aufgabe als Richter in einer sozialen Arbeit mehr über Leben und Probleme von Menschen aus anderen Lebensverhältnissen als denen, in denen ich aufgewachsen war, erfahren sollte. Was ich in den zwei Jahren gelernt habe, in denen ich täglich 20 bis 30 Frauen aus allen Schichten, meistens Frauen von Arbeitern und Arbeitslosen, in der Sprechstunde in ihren Familienangelegenheiten rechtlich zu beraten hatte, kam mir immer wieder […] zustatten.“ 1932 trat sie eine Stelle als Richterin in Dortmund an.
NS-Zeit: Beruflicher, politischer und privater Einschnitt
1928 hatte Elisabeth Schwarzhaupt Hitlers „Mein Kampf“ und Rosenbergs „Der Mythos des 20. Jahrhunderts“ gelesen und war entsetzt. 1983 schreibt sie dazu: „Ich stellte mir mit Schrecken vor, was aus Deutschland werden würde, wenn ein Mann von dem Niveau und der Engstirnigkeit Hitlers, von seiner Demagogie und seinem undifferenzierten Radikalismus die deutsche Politik bestimmen würde. Ebenso schlimm erschien es mir, wenn das politische Denken von der halbwissenschaftlichen Oberflächlichkeit bestimmt würde, die ich in dem Buch von Rosenberg vorfand.“
Elisabeth Schwarzhaupt war in ihren Arbeits- und Lebenszusammenhängen immer wieder mit der sozialen Bevormundung und rechtlichen Benachteiligung von Frauen konfrontiert worden. 1932 wurde sie selbst politisch aktiv, um der sich ausbreitenden nationalsozialistischen Ideologie entgegenzutreten. „Politische Ziele, wie die Vernichtung der Juden und die Eroberung der Ukraine, und auch das, was Hitler über die Frauen sagte, die nicht Staatsbürger, sondern nur Staatsangehörige werden sollten, regten mich auf und halfen mir, meine Scheu vor öffentlichem Auftreten zu überwinden.“
Sie befürchtete massive Rückschritte, was die seit der Jahrhundertwende für Frauen erreichten Rechte betraf, und eine Beschränkung der Frau auf ihre Rolle als Mutter und Kameradin des Ehemannes. Sie wollte über die Frauen betreffenden schwerwiegenden Folgen der Umsetzung des NS-Programms aufklären. 1932 hielt sie zahlreiche Vorträge und veröffentlichte die Wahlkampfbroschüre „Was hat die deutsche Frau vom Nationalsozialismus zu erwarten?“, in der sie nach ausführlicher Analyse von den vier für Frauen relevanten Bereichen zu dem Schluss kommt, „daß die nationalsozialistische Bewegung die Interessen der Frauen auf allen Gebieten, in der politischen und beruflichen Stellung, in der Mädchenbildung und in der Stellung als Frau und Mutter gefährdet“. Natürlich wurde sie in der NS-Presse übel beschimpft. Als sie einmal bei einer Nazi-Versammlung auftrat, zu der sie eingeladen worden war, wurde sie niedergeschrien.
Nach ihrer Machtübernahme ließen die Nazis der Aussage Hitlers, eine Frau dürfe nicht Staatsmann, Richter und Soldat sein, Taten folgen. Elisabeth Schwarzhaupt erhielt am 15. Mai 1933 ein Berufsverbot als Richterin.
Hinzu kam, dass auch ihr privates Glück durch die Nazis zerstört wurde. 1926 hatte sie bei ihren Kuraufenthalten einen jüdischen Arzt aus Gelsenkirchen kennengelernt, mit dem sie sich bald verlobte. 1933 entzogen die Nazis dem Mediziner, weil er Jude war, die Kassenzulassung, ohne die er seine Existenzgrundlage verlor und seine Arztpraxis aufgeben musste. Noch im selben Jahr floh er, weil er eine Zuspitzung der Lage fürchtete, in die Schweiz. Elisabeth Schwarzhaupt war nicht bereit, ihm ohne eigene berufliche Perspektive zu folgen. Da alle ihre Bemühungen um eine Stelle als Juristin in der Schweiz scheiterten, trennten sich beide 1936.
Im Dienst der evangelischen Kirche
Die in ihr Elternhaus zurückgekehrte, arbeitslose Elisabeth Schwarzhaupt entschloss sich zu promovieren, um ihre Chancen, in der Wirtschaft eine Stelle zu finden, zu verbessern. Nach einer etwa einjährigen schlecht bezahlten und für sie unbefriedigenden Tätigkeit beim „Reichsbund der deutschen Kapital- und Kleinrentner“, der sie parallel zu ihrer Dissertation nachging, fand die gläubige Protestantin 1935 schließlich eine Stelle als Juristin in der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland in Berlin. 1939 wurde sie dort als erste Frau überhaupt zur Kirchenrätin und 1944 zur Oberkirchenrätin ernannt.
1945 kehrte Elisabeth Schwarzhaupt nach Frankfurt zurück, um dort die evangelische Frauenarbeit zu organisieren. Sie beteiligte sich gleichzeitig am Neuaufbau der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Deutsche Evangelische Kirche (DEK) befand sich am Ende des zweiten Weltkriegs in Auflösung wegen der Zusammenarbeit der Deutschen Christen mit dem NS-Regime, dem nur die Bekennende Kirche entgegengetreten war. 1948 wechselte Elisabeth Schwarzhaupt auf Wunsch von Martin Niemöller ins Kirchliche Außenamt der EKD.
Bundestagsabgeordnete der CDU
1946 war sie beteiligt an der Gründung eines überparteilichen und überkonfessionellen Frankfurter Frauenausschusses. 1953 trat sie in die CDU ein und kandidierte zum ersten Mal für den Bundestag. Die CDU hatte ihr wieder einen sicheren Listenplatz angeboten, den sie 1949 noch abgelehnt hatte. Sie selbst erklärt dazu 1983: „Hermann Ehlers – damals Präsident des Bundestages – […] redete mir sehr zu […]. Er meinte, gerade Frauen und besonders Juristinnen brauche man für die Rechtsreformen, die bevorstanden. Es sei auch für die CDU wichtig, daß wir den katholischen Parteifreunden nicht ganz das Feld überließen. Ich habe nach einem langen Gespräch mit ihm meine Bedenken gegen die „christliche Partei“ zurückgestellt.“ 1957 gelang es ihr, ihren Wiesbadener Wahlkreis direkt zu gewinnen. 1957 wurde sie als erste Frau stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Bis 1969 blieb sie Bundestagsabgeordnete.
Die Aufnahme des Gleichberechtigungsartikels ins Grundgesetz (Artikel 3, Absatz 2) machte die Anpassung der bis dahin gültigen frauenfeindlichen ehe- und familienrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) von 1900 erforderlich. Für die Überarbeitung des BGB wurde im Grundgesetz (Art. 117, Abs.1) eine Übergangsfrist bis 31. März 1953 eingeräumt. Am 18. Dezember 1953, die Frist war knapp neun Monate verstrichen, ohne dass das BGB reformiert worden war, verkündete das Bundesverfassungsgericht, unter maßgeblicher Beteiligung von Erna Scheffler, die unmittelbare Geltung des Gleichberechtigungsartikels. Damit war die Regierung Adenauer angehalten, die Überarbeitung des BGB endlich umzusetzen.
1954 hielt Elisabeth Schwarzhaupt ihre erste Rede im Bundestag, die Aufmerksamkeit erregte. Das Bundeskabinett hatte einen Gesetzentwurf vorgelegt, der sich sowohl für die Beibehaltung des „Letztentscheidungsrechts“ (§ 1628) des Vaters in der Kindererziehung als auch des sogenannten „Gehorsamsparagrafen“ (§ 1354) aussprach, der die Ehefrau verpflichtete, sich den Entscheidungen des Ehemannes in allen das Eheleben betreffenden Angelegenheiten zu unterwerfen. Schwarzhaupt plädierte für die Abschaffung beider Bestimmungen. Sie verbündete sich mit der DP-Abgeordneten Margot Kalinke.
Beide Frauen stimmten im Rechtsausschuss gegen ihre eigenen Fraktionen zusammen mit FDP und SPD für die Streichung des „Gehorsamsparagrafen“ in der Gesetzesvorlage und sorgten damit dafür, dass das „Gesetz über die Gleichstellung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts“ am 18. Juni 1957 ohne diese diskriminierende Klausel verabschiedet wurde. Das „Letztentscheidungsrecht“ des Vaters, das im „Gleichberechtigungsgesetz“ noch enthalten war, wurde 1959 vom Bundesverfassungsgericht, wieder unter Mitwirkung von Erna Scheffler, als Verstoß gegen den Gleichberechtigungsartikel im Grundgesetz gekippt.
In der Zeit von 1966 bis 1969 kämpfte Elisabeth Schwarzhaupt als Vorsitzende des Unterausschusses zur „Reform des Unehelichenrechts“ für eine Gleichstellung von nichtehelichen mir ehelichen Kindern. Ihre Vorstellungen prägen das am 19. August 1969 verabschiedete „Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder“, das die Rechtslage der nichtehelichen Kinder erheblich verbessert.
Eine Frau Minister?
1957 war die Forderung der Unions-Frauen auf eine weibliche Ministerin von Bundeskanzler Konrad Adenauer abgelehnt worden. Helene Weber, die sich persönlich an Adenauer gewandt hatte, um ihn an seine im Vorfeld der Wahl gegebene Zusage zu erinnern, erhielt ohne Begründung schriftlich vom ihm die Antwort, es sei zu seinem Bedauern nicht möglich „bei der Bildung der Bundesregierung eine Frau für ein Ministeramt vorzusehen“.
1961 sollte sich diese schmähliche Niederlage nicht wiederholen. Die Frauen der Unionsfraktion gingen unter der energischen Führung der 80-jährigen Helene Weber in die Offensive, die erfahren hatte, „daß Adenauer wiederum eine Kabinettsliste ohne ein weibliches Mitglied aufgestellt hatte, obgleich er ihr versprochen hatte, eine Frau zum Minister zu machen“, schreibt Elisabeth Schwarzhaupt in ihren Erinnerungen. Auf Telegramme von Helene Weber hin waren, von den 18 Frauen, die damals der Unionsfraktion von 251 Abgeordneten angehörten, einige am 10. November nach Bonn gekommen, Elisabeth Schwarzhaupt aber nicht. Sie war – vielleicht weil die CDU-Frauen es als unpassend empfanden, dass sie für ihren eigenen Ministerposten stritt – nicht nach Bonn gerufen worden.
Nachdem sich die angereisten Unionsfrauen ab 14 Uhr beraten hatten, gaben sie um 16 Uhr folgende Presseerklärung heraus: „Die weiblichen Abgeordneten der CDU/CSU sind übereinstimmend der Überzeugung, daß dem vierten Kabinett Adenauer eine Frau in einem Ministeramt angehören muß. Sie erwarten, daß der Kanzler seine den deutschen Wählerinnen gegebene entsprechende Zusage einhalten wird. In wiederholten Besprechungen haben die Frauen der CDU/CSU die Bundestagsabgeordnete Frau Dr. jur. Elisabeth Schwarzhaupt für ein Ministeramt vorgeschlagen.“
Heike Drummer und Jutta Zwilling schildern den genauen Ablauf des Nachmittags: „Am 10. November 1961 versammelte sich die Truppe zu einer Strategiesitzung im Damenruheraum des Bundestags. Nach Absprache ihrer Taktik zogen sie vor den Kabinettssaal im Bundeskanzleramt, in dem gerade die schwierigen Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP stattfanden. Nach dem Bericht von Elisabeth Pitz-Savelsberg […] orderte Helene Weber erst einmal Stühle, Getränke und eine Platte mit Schnittchen, um für dieses ‚Sit-in‘ hinreichend gewappnet zu sein: man stellte sich auf längere Wartezeiten ein. In gewissen Abständen ließ Weber durch einen Saaldiener Zettelchen an Adenauer überbringen. Erst nach dem dritten Botengang soll der Kanzler persönlich in der Tür erschienen sein, doch nur, um nach einem aufgeregten Vortrag der äußerlich etwas Derangierten zu spotten: ‚Frau Weber, wat haben Sie für ein schick‘ Hütchen auf!‘
Die eigentliche Frage, wie es um die Ministerin stünde, beantwortete er knapp: ‚Kein Kommentar.‘ Nach der Sitzung lag jedoch das bahnbrechende Ergebnis vor: Das Kabinett würde um das Ressort Gesundheitswesen erweitert, und die neue Leiterin hieße Elisabeth Schwarzhaupt.“ Ein neues Ministerium für Gesundheitswesen einzurichten, hatten die im Bundeskanzleramt zur Sitzblockade versammelten Unionsfrauen vorgeschlagen, da die Liste der Ministerposten bereits mit dem Koalitionspartner FDP abgesprochen war. Sie argumentierten, Gesundheits- und Umweltfragen gewännen in der Bevölkerung zunehmend an Bedeutung.
Die Juristin Elisabeth Schwarzhaupt hätte viel lieber das Justiz- oder das Familien- und Jugendministerium übernommen, denn für beide Ressorts war sie hochqualifiziert, aber diese Posten waren für andere vorgesehen. Konrad Adenauer benutzte im persönlichen Gespräch mit Elisabeth Schwarzhaupt die Ausrede, der Justizminister müsse für ein strengeres Strafrecht eintreten, das „sei von einer Frau nicht zu erwarten“. Völlig abwegig erschien ihm die Übertragung des „katholischen“ Familien- und Jugendministeriums an eine liberale Protestantin, die als Ledige und Kinderlose keine praktischen Erfahrungen mitbrächte.
Bundesministerin für Gesundheitswesen
Elisabeth Schwarzhaupt willigte schließlich ein, Gesundheitsministerin zu werden. Aus ihrer Sicht hatte sie keine andere Wahl. „Wenn ich absagte, war es wieder mit einer Frau im Kabinett aus, und ich hätte dafür die Verantwortung getragen. Das konnte ich den Frauen nicht antun, diese Möglichkeit zu einem kleinen Schritt vorwärts in ihrer Beteiligung an führenden politischen Aufgaben auszuschlagen. Also übernahm ich ein Ministerium, das es noch gar nicht gab, in dem Bewußtsein, eine von meinen Kolleginnen schwer erkämpfte Alibifrau zu sein.“ Vereidigt wurde Schwarzhaupt noch als „Minister“. Später erreichte sie es aber, als „Ministerin“ angesprochen zu werden.
Adenauer hatte von der Aufnahme Schwarzhaupts in die Regierung nur Vorteile. Er kannte sie seit acht Jahren und wusste, dass sie seinen autoritären politischen Stil nicht in Frage stellte, sie redete im Bundestag kompetent, sachlich und niemals polemisch, und mit ihr als Frau und Protestantin hoffte er, sich neues Wählerpotential zu erschließen. Hinter ihrem Rücken betitelte er sie aber abfällig als „Kirchenfräulein“.
Die Herausforderungen, denen sich Elisabeth Schwarzhaupt gegenüber sah, waren gewaltig: Für das neue Ministerium gab es weder eine Aufgabenbeschreibung noch Personal und Räumlichkeiten. Sie musste mit den anderen Ministerien um Zuständigkeiten kämpfen, die diese an das Gesundheitsministerium abzugeben hatten. Ihr schlug Misstrauen aus allen Fraktionen entgegen, weil sie als Frau und Nichtmedizinerin angeblich nicht ausreichend qualifiziert sei. Sie musste Personalentscheidungen zum Teil gegen monatelangen Widerstand Adenauers durchsetzen. Zudem wurde sie wenige Tage nach ihrem Amtsantritt mit dem Contergan-Skandal konfrontiert.
Seit der Übernahme ihres Postens im Kabinett, so Elisabeth Schwarzhaupt, „hat sich die Presse vor allem damit beschäftigt, daß eine Frau Ministerin wurde. Was ich sachlich leistete und auf den Weg brachte, interessierte viel weniger.“ Von vielen Frauen und Frauenverbänden wurden sehr hohe Erwartungen an sie als Frau in der Regierung herangetragen. Sie erhofften sich von der Ministerin eine Vertretung ihrer Forderungen und eine Unterstützung ihrer Bemühungen auf allen Gebieten, wo Frauen benachteiligt waren. „Einzelbriefe und Eingaben machten mich zu einer Klagemauer für Frauen“, beschreibt Elisabeth Schwarzhaupt diese Situation. Dabei ging es um Wohnungsnot, Rentenprobleme, Diskriminierungen am Arbeitsplatz, familiäre Schwierigkeiten und vieles mehr. Um dieser Rolle als Ansprechpartnerin für Frauen wenigstens ansatzweise gerecht zu werden, beschäftigte Schwarzhaupt eine persönliche Referentin speziell für Frauenfragen im Gesundheitsministerium (!).
Elisabeth Schwarzhaupt blieb auch unter Bundeskanzler Ludwig Erhard bis 1966 Gesundheitsministerin. Sie führte einige wichtige Neuerungen ein, z.B. das Mindesthaltbarkeitsdatum und die Kennzeichnung von Fremdstoffen in Lebensmitteln und brachte die ersten Umweltschutzverordnungen zur Reinhaltung von Luft und Wasser auf den Weg. (Sie selbst ließ sich sofort nach Verabschiedung des Gesetzes in ihren Dienstwagen einen Katalysator einbauen.)
Auf den Contergan-Skandal reagierte sie u.a. mit einer Reform des Arzneimittelgesetzes, das vorsah, Medikamente, bevor sie auf den Markt kommen, auf Schädigungen an Embryos zu überprüfen.
Im Unruhestand
1969 kandidierte Elisabeth Schwarzhaupt auf eigenen Wunsch nicht mehr für den Bundestag. Sie schreibt 1984 über diese Phase ihres Lebens: „Seitdem genieße ich die Freiheit einer Ruheständlerin, die keine bestimmten Aufgaben in Beruf und Politik mehr erfüllen muß, aber noch einiges tun darf, was sie gern tut.“ Als Nachfolgerin von Erna Scheffler, der ersten Richterin am Bundesverfassungsgericht, war sie von 1970 bis 1974 erste Vorsitzende des Deutschen Akademikerinnenbundes und von 1970 bis 1972 Vorsitzende des Deutschen Frauenrats.
Sie beschäftigte sich nach wie vor mit allgemeinen politischen Fragen sowie mit vielem, was besonders Frauen anging. Dazu resümiert sie am Ende ihres Lebens: „Daß die Gesellschaft sich zugunsten der Frauen so ändert, daß sie weniger Anlaß zur Kritik gibt, habe ich leider noch nicht bemerkt.“
Fazit
Elisabeth Schwarzhaupt war als erste Ministerin im Bundeskabinett eine Pionierin, deren Wirken in die Öffentlichkeit ausstrahlte. Sie selbst schreibt 1983 im Rückblick auf ihren politischen Weg: „Ich glaube auch, daß ich mit meinem Eintritt in das Kabinett, wenn auch als Alibifrau, eine Tür für die Frauen geöffnet habe, die nicht mehr zugeschlagen werden konnte.“ Tatsächlich gab es seitdem keine Bundesregierung ohne Ministerinnen mehr. Es dauerte allerdings noch weitere 60 Jahre (!), nämlich bis 2021, dass zum ersten Mal ein paritätisch besetztes Bundeskabinett (8 Frauen und 8 Männer plus Bundeskanzler Olaf Scholz) gebildet wurde.
Wie schwierig ihr Amt als einzige Ministerin im Männerkabinett war, zeigt ihre folgende Äußerung als über 80-jährige: „Eine Alibifrau in einem Kabinett von etwa zwanzig Männern hat es insofern gut, als die Kollegen nett und höflich mit ihr umgehen. Sie hat es schwer, sobald es sich um den Kampf um Zuständigkeiten und noch schwerer, wenn es sich um Geld handelt, das dem Finanzminister abzuringen ist“. Ihre politische Arbeit, der sie mit außerordentlichem Einsatz und voller Hingabe nachging, ist ihr bestimmt auch deshalb besonders schwer gefallen, weil sie sich unter den Männern fremd fühlte. „Ich hatte außerdem zeit meines Lebens, wenn ich als einzige Frau in einem Männergremium saß, das Gefühl, eine fremde Sprache zu sprechen. Es ist mir nicht möglich, das genauer zu definieren. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß bei mir die Selbstverständlichkeit eines Kampfes um die Macht nicht so eingewurzelt ist wie bei den Männern, denen ich in der Politik begegnet bin. Ich kann nur sagen, daß ich mich in einem vergleichbaren Gremium von Frauen, etwa im Vorstand des Deutschen Akademikerinnenbundes, im Vorstand des Deutschen Frauenrates oder in der CDU-Frauenvereinigung mehr zu Hause gefühlt habe.“
Außerdem sah sich Elisabeth Schwarzhaupt auch mit folgendem Problem konfrontiert: „Eine Benachteiligung der weiblichen Minderheit ergibt sich […] daraus, daß Frauen nur selten an den Männerrunden abends beim Skat und am Biertisch teilnehmen, in denen nebenbei Personalprobleme gelöst und Stellen verteilt wurden. Abwesende werden leicht vergessen.“
Heike Drummer und Jutta Zwilling bilanzieren Elisabeth Schwarzhaupts Eintreten für Frauenrechte: „Als ‚höhere‘ Tochter, die ihre Sozialisation im bildungsbürgerlichen Milieu erfahren hatte, stellte sie […] die patriarchalischen Strukturen nie grundsätzlich in Frage. Mochte die Protestantin mit ihrem für die Verhältnisse der 50er und 60er Jahre fortschrittlichem Denken ihre eigene Partei, die eher katholisch geprägte CDU, bisweilen auch provoziert haben, so gab es doch selten Kontroversen mit Fraktionskollegen. […]
Zu Konflikten führte ihr insgesamt eher traditionelles Verständnis von Gleichberechtigung später aber mit der selbstbewusster auftretenden Neuen Frauenbewegung, die genau jenen von ihr akzeptierten Strukturen radikal den Kampf angesagt hatte. Den Vorbildcharakter ihres Engagements als ‚Türöffnerin‘ für die Tochter- und Enkelgeneration wird Elisabeth Schwarzhaupt dennoch niemand absprechen können.“
In Bonn wurde Elisabeth Schwarzhaupt 1965 als erster Frau das Großkreuz des Bundesverdienstkreuzes verliehen. Die Deutsche Bundespost verewigte sie 1997 auf einer Briefmarke. Ihr zu Ehren wurde im Stadtteil Bonn-Röttgen 2013 eine Straße benannt, die Elisabeth-Schwarzhaupt-Straße.
Text: Ulrike Klens
Quellenangaben
Die Rechte an dem oben stehenden Text liegen beim Haus der FrauenGeschichte Bonn e.V. (Öffnet in einem neuen Tab)
- Ruth Fühner: Vorkämpferin für die Gleichberechtigung. 14. November 2011. Deutschlandfunk Kultur. https://www.deutschlandfunkkultur.de/vorkaempferin-fuer-die-gleichberechtigung-100.html (Abruf 3. Januar 2023)
- Virtuelle Ausstellung. Elisabeth Schwarzhaupt – eine streitbare Politikerin. Bundesarchiv. https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Virtuelle-Ausstellungen/ Elisabeth-Schwarzhaupt-Eine-Streitbare-Politikerin/elisabeth-schwarzhaupt-eine-streitbare-politikerin.html (Abruf 3. Januar 2023)
- Die Hessische Landesregierung (Hg.): Elisabeth Schwarzhaupt. Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin (1901-1986). (Mit Beiträgen von Heike Drummer, Jutta Zwilling u.a.). Freiburg i.Br. 2001.
- Ursula Salentin: Elisabeth Schwarzhaupt – erste Ministerin der Bundesrepublik. Ein demokratischer Lebensweg. Freiburg i.Br. 1986.
- Elisabeth Schwarzhaupt: Jahrgang 1901 – als Frau in Beruf und Politik, in: Renate Hellwig (Hg.): Die Christdemokratinnen. Unterwegs zur Partnerschaft. Stuttgart u.a. 1984, S. 225-242.
- Elisabeth Schwarzhaupt, in: Deutscher Bundestag (Hg.): Abgeordnete des Deutschen Bundestags. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Bd.2. Boppard am Rhein 1983, S.241-283.
- Dorothea Oelze: Elisabeth Schwarzhaupt. Juristin, Oberkirchenrätin, Bundesministerin, Dr. jur., * 7. Januar 1901, Frankfurt/Main, † 29. Oktober 1986, Frankfurt/Main. Konrad-Adenauer-Stiftung. https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/elisabeth-schwarzhaupt (Abruf 3. Januar 2023)