„Wir sind Frauen, wir sind viele, wir sind die Hälfte der Menschheit, wir wollen die Hälfte der Macht. Wir müssen das Patriarchat beenden, bevor das Patriarchat die Welt zerstört.“ (1982)
Die „Fraueninitiative 6. Oktober“ (FI) gründete sich in der früheren Bundeshauptstadt Bonn als überparteiliches und überregionales Frauenbündnis nach der Bundestagswahl am 5. Oktober 1980. Wieder lag der Anteil an weiblichen Bundestagsabgeordneten unter 10 Prozent – heute immerhin 35 Prozent – und Frauenfragen spielten für alle Parteien nur eine untergeordnete bis keine Rolle. In dieser Lage galt es, eine mächtigere Frauenlobby zu schaffen. Margret Meyer, Gründungsmitglied der FI, schreibt dazu: „Die Frauen (mußten) erkennen, daß sie zum einen im neuen Parlament wieder einmal miserabel repräsentiert waren und daß zum anderen von den schönen Wahlversprechen der Männer an die Adresse der Frauen nichts übriggeblieben war. Die Wut im Bauch über diese Einsicht wollten die Frauen umsetzen in kreative Arbeit mit dem Ziel neuer Stärke und Macht zur politischen Veränderung.“
Die FI führte elf Bundeskongresse in Bonn durch, die jeweils von mehreren Hundert Frauen aus der ganzen Bundesrepublik besucht wurden. Von 1981 bis 2000 wurde der Informationsdienst IFPA (Initiative Frauen-Presse-Agentur) herausgegeben. So wurden jeden Monat über Tausend Multiplikatorinnen bundesweit mit Informationen aus dem Frauenbereich versorgt. Es war „der Versuch, ein Stück Gegenöffentlichkeit für Frauen herauszustellen“, diente aber auch als „Kommunikationsmittel für das Netzwerk, das die Fraueninitiative knüpfen wollte“, schreibt Margret Meyer, langjährige Redakteurin der IFPA.
(1982)Wir fragen nicht, ob etwas reformistisch, radikal, revolutionär ist, wir fragen, ist es gut für Frauen oder schlecht für Frauen.
Entstehung der Fraueninitiative 6. Oktober
Zur Entstehung der FI gehört die frauenbewegte Vorgeschichte. Die begann Anfang der 1970er Jahre mit dem „Frauenforum Bonn”, das sich als Teil der neu entstandenen Autonomen Frauenbewegung verstand. Immer mehr Frauen engagierten sich damals in kleinen Gruppen, kämpften lautstark gegen den § 218, trafen sich in Theorie- und Aktionsgruppen oder fanden sich in Beratungs- und Selbsterfahrungsgruppen. Anlaufstelle für die vielen Frauen – Alte, Junge, Studentinnen, Rentnerinnen, Singles, Geschiedene, Heteras und Lesben – war über Jahre das Zentrum in der Endenicher Straße. Das alles war neu und aufregend, für manch eine wie ein großes, politisches Erwachen. „Das Private ist politisch“ oder „Frauen gemeinsam sind stark“ waren Slogans aus dieser Zeit, und viele glaubten damals, eine feministische Revolution könne die Gesellschaft endlich frauenfreundlich machen.
Doch nach einem knappen Jahrzehnt des Kampfes zeigte sich, dass sich zwar das Bewusstsein vieler Frauen verändert hatte, dass aber der Widerstand der patriarchalen Strukturen, auch in der Politik, nach wie vor immens war. Die Frauen des „Bonner Frauenforums“ meinten, eine tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft könne nur gelingen, wenn “die Gesamtheit der Frauen zu einem größeren politischen Machtfaktor“ (Margret Meyer) werde. Dieser Zeitpunkt war 1980 gekommen.
Am 8. September 1980, einen Monat vor der Bundestagswahl, fand in Bonn eine Diskussion mit Alice Schwarzer zum Thema „Wahlboykott“ statt. Während die meisten Frauen in der brechend vollen Godesberger Stadthalle sich ernsthaft fragten, ob „durch einen Wahlboykott oder eine Drohung damit die sozial-liberalen Regierenden endlich dazu gebracht werden könnten, Fraueninteressen in Zukunft besser zu vertreten“, warfen Frauen aus der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) Alice Schwarzer aufgebracht unpolitisches Verhalten vor, so berichtet Hannelore Fuchs, Gründungsmitglied der FI. Als einige Tage später ein Artikel im Pressedienst der SPD mit der Überschrift „Die Ziege als Gärtnerin“ mit wütenden Angriffen gegen Alice Schwarzer erschien, fanden politisch aktive Frauen in der Bundeshauptstadt, darunter auch engagierte SPD-Frauen, dass es nun reiche.
Es gab eine Reihe persönlicher Kontakte zwischen Feministinnen des „Bonner Frauenforums“ und SPD-Frauen, die etwas bewegen wollten. Sie fanden zusammen in der Idee, ein bundesweites Frauennetzwerk zu schaffen, und beschlossen, den Tag nach der Wahl, den 6. Oktober, zum Signal für den Kampf um Frauenmacht zu machen. Dazu luden sie zu einem Koordinierungstreffen in den „Kessenicher Hof“ ein. Neu war, dass Frauen der Autonomen Frauenbewegung des „Bonner Frauenforums“ und engagierte Gewerkschafts- und Parteifrauen ihre gegenseitigen Vorbehalte überwanden und sich zusammentaten. Hannelore Fuchs beschreibt die Stimmung so: „Daß Kampf und Feindschaft zwischen Parteifrauen und Feministinnen ebenso aufhören müssen, wie Berührungsängste zwischen ihnen. Viele von ihnen sitzen sowieso seit langem zwischen allen Stühlen: für die Parteigenossinnen sind sie bunte Hühner mit ihren abwegigen feministischen Ideen, für die Bewegungsfrauen sind sie als Parteifrauen immer verdächtig, das Geschäft der Männer mitzubetreiben.“
Manifest der freien Frau und Strategiefragen
Im Mai 1981 und Mai 1982 organisierte die FI zwei Bundeskongresse (1), (2) in der Godesberger Stadthalle. Diese Treffen von jeweils 400 bis 500 Frauen waren von Euphorie und Aufbruchsstimmung geprägt. Ziel war es, ein umfassendes gemeinsames „Manifest der freien Frau“ zu verabschieden. Im Laufe des Prozesses wurde allerdings deutlich, dass es kein endgültiges Produkt geben würde. Als die Anstrengungen schließlich in das „Werkstattpapier“ mündeten, heißt es dort: „Es ist noch nicht fertig und wird möglicherweise auch nie fertig werden. Viele der aufgestellten Forderungen finden bereits jetzt große Zustimmung, die umstrittenen Themen werden weiter diskutiert. Das Papier ist internes Arbeitsmaterial der Initiative, das allen Frauen zur Verfügung steht. Jede Frau ist aufgerufen, daran weiter zu arbeiten.“
In der Präambel des „Werkstattpapiers“ werden die Ziele der FI hervorgehoben: „Es muß Schluß sein mit der rigiden Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen, [...] mit der Aufteilung der Aufgaben, nach der Männer draußen für den Beruf und Frauen für Haus und Kinder zuständig sind, und [...] mit der hieraus resultierenden Bewertung, das, was Männer machen, ist gesellschaftlich wertvoller und notwendiger, als das, was Frauen tun.“ Die Offenheit der FI zeigte sich darin, dass grundsätzlich jede Frau zum Mitmachen eingeladen wurde. „Wir wollen mit jeder Frau, die unzufrieden ist; die sich über die heutige Wirklichkeit kritische Gedanken macht; die Kraft in sich spürt, etwas verändern zu wollen; die sich Freundinnen wünscht, mit denen sie gemeinsam etwas verändern kann; die alternative Lebens- und Arbeitsformen entwickeln will; die in den Institutionen aus dem Takt tanzt; die verhindern will, dass unser Leben und unsere Freiheit immer mehr eingeschränkt werden; mit jeder Frau, die die Auswirkungen einer frauenfeindlichen Gesellschaft verspürt, wollen wir die Situation ändern.“
Auf den 32 Seiten des „Werkstattpapiers“ werden die Positionen in den einzelnen Kapiteln dargestellt: Diskriminierung in der Sprache; Rollenbild in Schulbüchern; Mädchen und Frauen im Bildungs- und Ausbildungsbereich; Frauen im Erwerbsleben; Frauen und moderne Technologien; Frauen und die Staatskasse; Frauen und Sexualität; Frauen und Wohnen; Lesben-Manifest; Entwicklung neuer Lebensformen als Alternative zur bisherigen Familiensituation; Wir brauchen nicht nur andere Rollenbilder, wir brauchen eine andere Bewertung; Frauengesundheitswesen und -medizin, Gewalt gegen Frauen; Medien sind immer noch Männersache; Ausländische Frauen in der BRD; Rentenreform 1984; Antidiskriminierungsgesetz; Frauen und Frieden. Mit dem „Werkstattpapier“ wurde der beeindruckende Versuch gemacht, das gesamte Spektrum der Forderungen der Neuen Frauenbewegung zu versammeln. Wenn keine Einigkeit bestand, wie z.B. beim sogenannten „Müttermanifest“ wurde der Dissens zum Ausdruck gebracht.
Am Anfang der FI standen strategische Fragen im Vordergrund, um zu erreichen, dass Frauen in der Bundesrepublik ein Machtfaktor werden, an dem niemand mehr vorbeikommt. Mit der FI sollte keine feministische Partei, kein Verein, kein Dachverband der Frauen ins Leben gerufen werden, und es sollte auch keine neue Frauengruppe entstehen, die sich von bereits existierenden Frauengruppen absetzt. Ziel der FI war die Koordinierung bestehender Frauengruppen. Durch Kontakt- und Informationsvernetzung sollte die Möglichkeit geschaffen werden, bundesweit schlagkräftige gemeinsame Aktionen durchzuführen. Ausführlich wurde auf dem 1. Kongress die Frage der Macht erörtert. Aber statt konkret über Strategien zur Erlangung von Macht zu diskutieren, wurde sofort die Gefahr des Machtmissbrauchs heraufbeschworen. Ergebnis dieser Debatten war, dass die FI auf eine straffe, hierarchische, parteiähnliche Struktur verzichtete und keinen Vorstand sowie keine Sprecherinnen wählte. Heidi Baumann, Gründungsmitglied der FI, beschreibt dies in einem anschaulichen Bild: „Wir wollten arbeiten wie Rhizome, nämlich als ‚Unkraut‘, dessen Wurzeln sich unter der Erde ausbreiten und immer weiter verzweigen, selbst wenn es an der Oberfläche ständig gerupft wird.“
Um die mannigfachen organisatorischen Aufgaben wahrnehmen zu können, wurde erst provisorisch im Frauenmuseum, dann in der Kirschallee 6 ein professionelles Büro aufgebaut. Alle Ausgaben wie auch das Gehalt der Geschäftsführerin Sylvia Fels wurden über Spenden bzw. Mitgliedsbeiträge des „Vereins zur Förderung von staatsbürgerlicher Bildung und Mitarbeit von Frauen“ finanziert.
Frauen gegen Reaktion – Frauengegenreaktion
Am 1. Oktober 1982 endete die sozialliberale Koalition. In einem Misstrauensvotum gegen die bisherige Regierung wählte die FDP zusammen mit der CDU Helmut Kohl zum Bundeskanzler. Dieser plädierte für eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte und verstand den Regierungswechsel als „geistig-moralische Wende“. Die FI reagierte auf diese politische Entwicklung. Sie befürchtete massive Rückschritte für die Rechte der Frauen. Im November 1982 wurde kurzfristig ein Sondertreffen „Frauen gegen Reaktion – Frauengegenreaktion“ (3) im Frauenmuseum einberufen. Im Juni 1984 folgte der Bundeskongress “Entlarvt die Wendemänner!“ (4). In der Einladung heißt es: „Noch bei unserem letzten Kongreß im November 1982 konnten wir es uns nicht vorstellen, wie total eine schwarze Regierung die kleinen Erfolge des letzten Jahrzehnts einkassieren würde. Wir müssen es jetzt täglich erleben, wie durch viele Hintertürchen uns Frauen alles aus den Händen gerissen wird, was wir seit ein paar Jahren mühsam festhalten. Wir erleben aber auch, daß Hunderttausende von Frauen das nicht merken.“
Um gegen die konservative Frauenpolitik öffentlichkeitswirksam zu protestieren, hatten Vertreterinnen aus Frauenbewegung, Politik, Kultur und Gewerkschaften ein starkes Frauenbündnis geschmiedet und unter dem Motto „Nicht Blumen – Rechte fordern wir!“ bundesweit zur „Aktion Muttertag“ am 12. Mai 1984 aufgerufen. Die FI gehörte zu den Erstunterzeichnerinnen des Appells und zu den Organisatorinnen der Demonstration, zu der 15000 Frauen aus der ganzen Bundesrepublik nach Bonn kamen und auf der Hofgartenwiese ihre Forderungen vortrugen. Trotz solcher Erfolge bemerkt Heidi Baumann: „Dennoch wollte es auf unserem 4. Bundeskongreß nicht so recht gelingen, an unsere Gegenmacht zu glauben. Es ging alles noch viel langsamer, als wir dachten.“ Doch die Kraft der FI-Frauen reichte noch für weiteren Protest: Gegen den NATO-Doppelbeschluss wurden 108 selbstgebastelte, silberglänzende Pershings durch die Bundeshauptstadt getragen und vor dem Familienministerium als rosarote Penisse entblättert.
Einen breiten Raum nahm auf den beiden „Wendekongressen“ die Frage nach Bündnissen ein, die heftig und kontrovers diskutiert wurde. Für die Strategie neuer Bündnisse sprach aus Sicht der einen: Die Wirksamkeit begrenzter Bündnisse zu gemeinsamen Forderungen, die Definition über Gemeinsamkeiten, die Verhinderung der Abkapselung der Frauenbewegung, neue Erfahrungen im gemeinsamen Handeln. Die andere Seite argumentierte gegen Bündnisse mit etablierten politischen Gruppierungen: Verwässerung radikaler Frauenforderungen zu Kompromissen, Aufgabe der Autonomie der Frauenbewegung. Auch die Einrichtung eines „Weiberrates“ wurde in Erwägung gezogen. Dazu erklärt die FI: „Sollte ein Weiberrat entstehen, dann nur aus vielen Gruppen zusammengesetzt, gut organisiert und mit den Grundgedanken der FI 6. Oktober, obwohl die Initiative diese Funktion nicht übernehmen kann noch will!“
Und sie bewegt sich doch – Frauenbewegung in schwarzen Zeiten
Mitte der 1980er Jahre trug der Einsatz für Frauenrechte der FI endlich erste Früchte. Zwar manifestierten sich die Erfolge noch nicht in frauenfreundlicheren Gesetzen, aber die Frauenfrage rückte in den Köpfen – auch von Männern – an eine zentralere Stelle. Hannelore Fuchs schreibt 1986: „Eigentlich haben wir viel Grund, zufrieden zu sein. Die Situation für Frauen in der Bundesrepublik hat sich zwar erheblich verschlechtert, was die wirklichen Chancen angeht. [...] Dennoch ist nicht zu übersehen, daß die Männer die Brisanz der Frauenfrage zu begreifen beginnen“. Auch in der Einladung zum 5. Kongress der FI 1985 werden Fortschritte registriert: „Nicht nur wir Feministinnen, sondern auch Frauen in Parteien, Gewerkschaften und Verbänden sind aktiv wie nie zuvor und sind sich in vielen Punkten auf breiter Ebene einig.“ Für die Bundestagswahl 1987 startete die SPD die Kampagne „Jeder vierte Kandidat eine Kandidatin“. Die Grünen beschlossen 1986 Mindestparität für alle ihre Gremien und Wahllisten. Die CDU veranstaltete 1985 einen ganzen Parteitag zum Thema „Frauen“.
Den Protokollen des 6. Kongresses ist zu entnehmen, dass die Öffentlichkeit mittlerweile nicht mehr an der FI vorbeikomme, Einladungen zu Anhörungen nähmen zu, Zeitungen kündigten die Kongresse an und berichteten später über sie. Zudem würden immer mehr Gleichstellungsstellen auf kommunaler Ebene eingerichtet.
Zahlreiche durch die FI initiierte witzige und phantasievolle Aktionen, die teils von breiteren Frauenbündnissen getragen wurden, waren vorausgegangen. Am 8. März 1985, dem Internationalen Frauentag, demonstrierten „Schwarze Bräute“ gegen die frauenfeindlichen Neuregelungen im Ehescheidungsrecht. 1985 und 1986 fanden die zweite und dritte bundesweite Frauendemonstration in Bonn zur „Aktion Muttertag“ statt. Die symbolische Besetzung der Hälfte der Ratssitze in der konstituierenden Sitzung des neugewählten Stadtrats im Oktober 1985 in Bonn bekräftigte die Forderung nach Quotierung.
1985 und 1986 organisierte die FI die beiden Bundeskongresse „Und sie bewegt sich doch – Frauenbewegung in schwarzen Zeiten“ (5) und „Regenbogen-Feminismus: schwarz, rot, grün, blau/gelb – Wer profitiert von der Frauenbewegung?“ (6) mit etwa jeweils 200 Teilnehmerinnen. Die Halbierung der Besucherinnenzahl auf den Kongressen gegenüber den Anfängen erklärten sich die FI-Frauen teils damit, dass es für Frauen inzwischen mehr Möglichkeiten gäbe, sich woanders als bei der FI feministisch zu engagieren. Nicht zu übersehen war, dass zu den tonangebenden Frauen der FI im mittleren Alter keine jungen Frauen nachrückten, was die Bonner Frauenzeitung Lila Lotta 12/1985 so kommentiert: „FI: Initiative des Mittelalters? Wo bleibt der Nachwuchs?“
Schwerpunkt des 5. Kongresses war die Bündnisfrage. Um zu klären, wie weit und mit wem Zusammenarbeit in Frauenfragen möglich sei, wurden Frauen unterschiedlichster Gruppierungen (Deutscher Frauenrat, DGB, Grüne, SPD, Frauen für den Frieden, Verein für politische Frauenbildung) eingeladen. In der Diskussion zeigte sich eine große Bereitschaft zur Kooperation, die seit dem Beginn der FI erheblich zugenommen hatte. Im Protokoll heißt es: „Grundsätzlich suchen wir die Zusammenarbeit mit allen Frauen. In Teilbereichen sind wir auch zu Bündnissen mit Nicht-Feministinnen bereit.“ „Die Erfahrung lehrt uns [...]: Auch Nicht-Feministinnen verändern sich im Laufe ihrer Arbeit.“
Die Vorbereitung des 6. Kongresses stand nach Heidi Baumann „unter dem Eindruck, daß die etablierten Parteien feministische Forderungen in ihre Parteiprogramme aufgenommen hatten.“ Die Frage war, wie das zu bewerten sei. Eröffnet wurde die Veranstaltung mit einer Debatte als „fish-pool“, an dem sich jede Frau beteiligen konnte, zur Frage „Mann gibt sich feministisch – Frau gibt sich zufrieden?“. Statt eines Podiums gab es am nächsten Tag ein Rundgespräch, bei dem alle Frauen im Kreis saßen und dazwischen die Fachfrauen. Die FI probierte mit diesem persönlicheren Austausch weniger hierarchische Formen der Kommunikation aus, was bei den Teilnehmerinnen gut ankam.
Am 21. November 1987 veranstaltete die FI den Sonderkongress „Frauen und Aids“ (7) in der Beethovenhalle mit ca. 600 Teilnehmer*innen.
FI-Bundeskongresse – feministische Kraftquelle?
Es folgten vier weitere Bundeskongresse „Lila Lüste – feministische Illusionen und die Realität des privaten Glücks“ (8) 1988, „Eigenständig-Eigenwillig-Eigenartig – Suche nach weiblicher Identität als Herausforderung“ (9) 1989, „Einbruch-Umbruch-Aufbruch – Frauen-Generationen heute“ (10) 1990 und „Berührungsängste von Lesben und heterosexuellen Frauen in der Frauenbewegung“ (11) 1991. Politische Aktionen der FI fanden nicht mehr statt.
In den Archiv-Unterlagen findet sich ein Statement von Barbelies Wiegmann, FI-Gründungsmitglied. Sie erzählt, es sei ihr immer mehr bewusst geworden, „daß das Patriarchat sowohl in der Gesellschaft als auch in uns Frauen ist, und daß jede Frau erst einmal das Patriarchat in sich selbst überwinden muß.“ Hier deutete sich bereits die Richtung an, die die FI mit ihren letzten vier Bundeskongressen einschlagen würde, weg von Frauenpolitik hin zu einer intensiveren Reflektion der eigenen Identität als Frau und der Beziehungen von Frauen untereinander. Heide Baumann schreibt dazu: „Wir begreifen unsere Arbeit in der FI und für die FI als Quelle unserer Kraft, gegen das Patriarchat zu leben.“ Nicht alle FI-Frauen waren mit dieser Entwicklung glücklich. So äußerte die Schriftstellerin Herrad Schenk, FI-Gründungsmitglied, ihr sei der 10. Kongress „etwas zu sehr in die Psycho-Richtung gegangen“, sie hätte lieber über konkrete Gegenstrategien gesprochen, gegen die Bestrebungen einer „rechten satten Mehrheit“, frauenpolitische Fortschritte der letzten Jahre wieder rückgängig zu machen.
In der Einladung zum 8. Kongress gehen die FI-Frauen davon aus, feministische Utopien erschöpften sich nicht in der Einrichtung von Betriebskindergärten, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Frauenförderplänen und Gleichstellungsstellen. Stattdessen solle auf dem Kongress das Leben der einzelnen Frau, ihre Suche nach Kraftquellen und nach dem privaten Glück thematisiert werden.
Auch beim 9. Kongress auf der Suche nach weiblicher Identität stellte sich die Frage, wie das Private und das Politische zu verknüpfen seien. Es gab viele sehr positive Rückmeldungen: „Eine ganz tolle Atmosphäre des Sich-anvertrauen-dürfens, der selbstverständlichen Hilfsbereitschaft, Warmherzigkeit – des Angenommenseins. Ganz gewiß eine Kraftquelle auf dem Weg zum Erkennen der inneren Freiräume. Ich habe viel Anstoß zum Durchdenken der eigenen Vergangenheit und meiner Identität bekommen.“ Aber auch Kritik: „Liebe Frauen, der Satz: ‚Das Private ist politisch‘ war schön und wahr und hat vor 20 – 15 Jahren viel bewegt. Aber [...] wer diesen Satz jetzt nicht abheftet, benutzt ihn als Entschuldigung für träges Verharren in alten Frauenecken. Sexualität, Körper und Seele sind sicher für Frauen wesentlich, aber nicht in jedem historischen Augenblick politisch relevant. Wo bleibt der Mut zum Risiko im Denken und Handeln, zur Provokation, wo bleiben Begeisterung und Brillanz?“
Am 3. Oktober 1990 erfolgte die Wiedervereinigung Deutschlands. Schon vorher hatten sich auf einer Tagung „Deutschland – einig Mutterland – Aufbruch oder Rückschlag für Frauen?“ in Rösrath bei Köln Frauen der FI mit Frauen aus der DDR getroffen. Zum 10. Bundeskongress im November 1990, der sich mit typischen Brüchen in weiblichen Biografien beschäftigte, kamen daher auch einige Frauen aus den neuen Bundesländern. Sie beklagten, oft von westdeutschen Feministinnen bevormundet und in ihren Lebenserfahrungen nicht ernst genommen zu werden.
Der 11. und letzte Bundeskongress setzte sich mit dem unausgesprochen angespannten Verhältnis von Lesben und Heteras in der Frauenbewegung auseinander. Lesben, die einen großen Teil der aktiven Feministinnen ausmachten, betrachteten Heteras oft als „Halbfeministinnen“, weil sie von Männern abhängig seien, während Heteras Lesben häufig als „Exotinnen“ ansähen und sich von ihnen distanzierten, weil sie die vorherrschende gesellschaftliche Sichtweise auf Lesben verinnerlicht hätten, so geht es aus der Einladung zu diesem Kongress hervor. Die bisher tabuisierte Abgrenzung voneinander verhindere eine Annäherung auf persönlicher und politischer Ebene und müsse aufgebrochen werden.
Fazit
Die FI hat in den 1980er Jahren maßgeblich dazu beigetragen, die Scheu zwischen autonomen und Parteifrauen abzubauen, wodurch es der Frauenbewegung gelang, auf die Politik auch der etablierten Parteien einzuwirken und feministische Ideen und frauenpolitische Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Dass Frauen in diesem Jahrzehnt viel erreicht haben, ist nicht nur, aber auch der „Fraueninitiative 6. Oktober“ zu verdanken.
Die FI erntete aber nicht nur Anerkennung. Obwohl sie sich als Teil der Autonomen Frauenbewegung verstand, begegneten ihr radikale Feministinnen oft mit Misstrauen und Herablassung. Die FI hatte zwar dieselben Ziele wie die autonome Frauenbewegung, glaubte aber, diese nur durch breitere Bündnisse erreichen zu können.
Es ist eine beachtliche Leistung, dass es eine Kerngruppe von etwa zwölf Frauen in Bonn schaffte, bundesweit alle Frauen zu vernetzen, denen Frauenpolitik ein Anliegen war, und überfällige wichtige Diskussionen in Gang zu setzen. Bewundernswert ist auch, dass die Aktivistinnen ihr außerordentliches Engagement über Jahrzehnte durchhielten. Bestimmt schöpften sie Mut, Kraft und Ausdauer aus den engen freundschaftlichen Beziehungen untereinander. Bis heute – nach mehr als 50 Jahren – sind sie noch verbunden. Sie haben ihre erst 14-tägigen, dann monatlichen Treffen über die vielen Jahre beibehalten, auf denen sie sich persönlich und zu aktuellen politischen und feministischen Themen austauschen.
Text: Ulrike Klens
Quellenangaben
Die Rechte an dem oben stehenden Text liegen beim Haus der FrauenGeschichte Bonn e.V. (Öffnet in einem neuen Tab)
- Gespräch mit Margret Meyer am 27.07.2022.
- Heidi Baumann: Zum Jubiläum. Unsere Geschichte (1991), in: Die neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Ausgewählte Quellen. Ilse Lenz (Hg.). Wiesbaden 2008, S. 515-517.
- Margret Meyer: Frauenbewegung in Bonn. Lebendig und lästig. Vom Frauenforum bis zur „Fraueninitiative 6. Oktober“, in: Die Bonnerinnen. Szenarien aus Geschichte und zeitgenössischer Kunst. Frauenmuseum (Hg.). Bonn 1988, S. 182-186.
- Hannelore Fuchs: Fraueninitiative 6. Oktober, in: Feministische Studien. Politik der Autonomie. 5. Jahrgang. Stuttgart 1986. Heft 2, S. 121-123.
- Wie geht es nun weiter mit der SPD und den Frauen?, in: Emma 12/1980, S. 23 f.
- Die SPD und der Frauenverrat, in: Emma 11/1980, S. 15-21.
- Ein Dokument, in: Emma 10/1980, S. 32 f.
- Protokolle und Werkstattpapier der Bundeskongresse der Fraueninitiative 6. Oktober (1981-1991), in: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.