Slogan von Femnet e.V.Starke Frauen, faire Arbeit
Zwei Ehrungen, ein Ziel
Zwei Frauen, zwei Auszeichnungen, ein gemeinsames Ziel: der Einsatz für menschenwürdigere Zustände in der Textilindustrie - vor allem für die besonders betroffenen Arbeiterinnen. Die Bonnerin Dr. Gisela Burckhardt wurde mit dem Bundesverdienstkreuz 2020 geehrt und Rukmini Puttaswamy aus Bangalore ist die Gewinnerin des 17. Bremer Solidaritätspreises.
Das Femnet-Team ist stolz darauf, die Frauenrechtlerin aus Indien für diesen Preis vorgeschlagen zu haben. Natürlich freut es sich auch über die Würdigung der Verdienste Gisela Burckhardts, der Gründerin und Vorstandsvorsitzenden von Femnet. Beide Frauen verstehen die Auszeichnungen als Würdigung und Auftrag zugleich, denn es gibt noch viel zu tun - auf beiden Seiten des Äquators.
Politisches Erwach(s)en
Gisela Burckhardt wird am 2. Februar 1951 in Aachen geboren. Von den insgesamt fünf Kindern der Familie Burckhardt ist sie, die Jüngste und das Nachkriegskind, wohl der am wenigsten angepasste Spross. Gisela hat großen Gesprächsbedarf, dem die Eltern und die wesentlich älteren Geschwister nicht gerecht werden können. Vom Vater, Präsident des Unternehmensverbands Ruhrbergbau und Vorsitzender des Aachener Steinkohlenbergbaus, fühlt sie sich oft „kleingemacht“. Sich Gehör verschaffen, das soll zu einem Lebensthema werden: in der bürgerlich-konservativen Herkunftsfamilie, an der Uni und später in der Entwicklungszusammenarbeit.
Mit fünfzehn Jahren verlässt Gisela das Rheinland und wird in der Elisabeth-von-Thadden-Schule in der Nähe von Heidelberg aufgenommen. „Deren Initiatorin war eine sozial engagierte und mutige Frau“, stellt Gisela Burckhardt anerkennend fest: Die Tochter einer pommerschen Gutsbesitzerfamilie, Elisabeth von Thadden (1890-1944), hatte 1927 ein Landerziehungsheim für Mädchen gegründet - mit klarer Orientierung am evangelischen Glauben und unter Einfluss der Reformpädagogik. 1941 wurde ihr von den Nationalsozialisten die Führung der Einrichtung verboten. Elisabeth von Thadden blieb ihren christlichen Werten treu und entwickelte sich zur Widerstandskämpferin. Sie wurde 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Zu den ehemaligen Schülerinnen des Mädcheninternats zählt übrigens auch Annette Kuhn, die Gründerin vom Haus der FrauenGeschichte in Bonn (s. Band 1 Bonner FrauenOrte). Sie wurde 1951 eingeschult, dem Geburtsjahr von Gisela Burckhardt.
Im Internat wird Gisela von der Geisteshaltung der Leiterin, Frau Eiermann, geprägt. Deren Ziel ist es, die Schülerinnen zu kritischem Denken anzuregen. Im Sonntagskreis stehen deshalb unter anderem Werke von Brecht, aber auch Der Stellvertreter: Ein christliches Trauerspiel von Rolf Hochhuth auf dem Leseprogramm: Eine Lektüre, die sich in Giselas Gedächtnis einbrennt und zu ihrer Politisierung beiträgt. „Wir waren alle noch so ungeformt“, beschreibt sie diese Zeit des Erwach(s)ens. Das soll anders werden, weshalb sie beginnt, Zeitung zu lesen - eine für ihr Alter ziemlich herausfordernde Lektüre und möglicherweise der Grund, weshalb ihre Mitschülerinnen diese Leidenschaft nicht teilen.
Nach dem Abitur 1969, das sie zusammen mit ihrer Schulfreundin Jutta Ditfurth absolviert, geht Gisela zum Studieren nach Freiburg. Sie möchte Lehrerin werden. Schwerpunktmäßig studiert sie Geschichte - in den Nebenfächern Französisch, Politikwissenschaften und Pädagogik. An der Universität findet sie endlich den Anschluss, den sie sich immer gewünscht hat. Hier wird auch außerhalb der Seminare sehr engagiert über Politik diskutiert und Gisela reiht sich in verschiedene Basisgruppen ein. Es folgen Semester in Aix-en-Provence und Hamburg, wo sie das Erste Staatsexamen für das Höhere Lehramt ablegt.
Mit Hilfe des ASA-Programms (Arbeits- und Studienaufenthalte) reist Gisela nach Kolumbien und führt dort eine dreimonatige Studie durch. Und wenn sie schon einmal in Lateinamerika ist, will sie gleich mehrere Länder des Subkontinents bereisen. Zusammen mit ihrem damaligen Freund zieht sie los. In Argentinien gerät sie 1976 allerdings in die Wirren des Militärputschs. Gisela und ihr Begleiter besuchen gerade einen österreichischen Journalisten, der über die Folterung chilenischer Gefangener recherchiert, als die Geheimpolizei auftaucht und die drei Europäer verhaftet. Gisela kommt in ein Militärgefängnis, wird aber nach wenigen Tagen zusammen mit ihrem deutschen Freund freigelassen. Im Gefängnis spürt sie „die absolute Ohnmacht“ und hört die Schreie der Gefolterten in den Nachbarzellen. Diese Erfahrung führt ihr den Kontrast zu ihrem privilegierten Leben in Deutschland vor Augen: Unterdrückung, Gewalt, Rechtlosigkeit und Armut. Das sogenannte Nord-Süd-beziehungsweise Süd-Nord-Gefälle – je nach Perspektive! - lässt Gisela Burckhardt seither nicht mehr los.
Freelancerin
Zurück in Hamburg beginnt sie ihr Referendariat für Geschichte und Französisch an einem Gymnasium. Nach dem Zweiten Staatsexamen wird ihr endgültig klar, dass sie ihr Berufsleben nicht vor einer Schulklasse verbringen möchte. Sie arbeitet beim WDR-Fernsehen und der Neue-Rhein-Zeitung in Düsseldorf (1978). Doch Gisela genügt es nicht, Wissen oder Nachrichten zu vermitteln – sie will die Welt „erfahren“ und ein Stück besser machen. So bewirbt sie sich am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (damals noch in Berlin, heute in Bonn) und wird unter zahlreichen qualifizierten Bewerber*innen angenommen. Ihre nächste Station ist die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe in Bonn. Hier arbeitet sie ein gutes Jahr als Referentin und ist zuständig für Projektanträge aus Südamerika. Von dort aus geht es 1980 zunächst nach New York zum UN Development Programm, von wo aus sie ein Jahr später nach Nicaragua geschickt wird. Dem folgt der Einsatz für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in Pakistan als Leiterin eines Projekts für brennholzsparende Herde und Backöfen für afghanische Flüchtlinge in den Jahren 1984 bis 1986.
Mutter und Feministin
Ihre beiden Kinder bringt Gisela Burckhardt im Ausland zur Welt: der Sohn wird 1983 in Nicaragua geboren, die Tochter während ihrer Zeit in Pakistan im Jahr 1985. Nach ihrer dortigen Tätigkeit, begleitet von ihrem damaligen Mann, dem Vater ihrer Kinder, kehrt sie nach Deutschland zurück. Gisela Burckhardt legt besonderen Wert auf finanzielle Unabhängigkeit, weshalb sie immer berufstätig war. Gleichberechtigung gehört für sie zu einer guten Ehe. „Wenn erst einmal Kinder da sind, stecken Frauen oft gegenüber ihren Männern zurück, leider eben auch, was ihre Erwerbstätigkeit angeht“. Junge Frauen sollten das nicht tun, empfiehlt sie ihnen dringend: mit Blick auf ihre Unabhängigkeit, ihre Karriere und auf spätere Rentenansprüche.
Männliche Dominanz und die Notwendigkeit, sich dagegen wehren zu müssen: das erfährt Gisela Burckhardt zwar nicht in ihren Partnerschaften, dafür aber in anderen Zusammenhängen. Drängen sich in den Vorlesungen die Kommilitonen in den Vordergrund, versuchen die späteren Gutachter-Kollegen, ihr, der Frau, wie selbstverständlich die Zuständigkeit für das „weiche“ Genderthema zuzuschieben.
Gisela Burckhardt bezeichnet sich klar als Feministin, zu der sie spätestens in Pakistan wird: „Es war der orientalische Machismo mit seiner offenen Geringschätzung von Frauen, der mir dort Mitte der 80er Jahre entgegenschlug.“ Noch heute würden dort Frauen vorrangig als „Gebär-Mütter“ betrachtet, „die der Mann für den eigenen Nachwuchs braucht“. Tief verankerte Rollenbilder, kulturelle und religiöse Werte dienten der Rechtfertigung von Ausbeutung und Diskriminierung.
Letztlich gehe es um ungleiche Verteilung von Macht - im Privaten wie in der Gesellschaft. Diese ungleichen Machtverhältnisse hätten starke soziale Auswirkungen. „Ein besseres Leben lässt sich nur erreichen, wenn das Machtgefälle beseitigt wird: Das verstehe ich unter Feminismus“, so Gisela Burckhardt. Der Kampf für Frauenrechte und das Ringen um Menschenrechte gehören für sie untrennbar zusammen. Gisela Burckhardt begreift „Feminismus als eine Bewegung, um Geschlechterhierarchien aufzuheben und soziale Gerechtigkeit zu erreichen“.
In den nächsten 30 Jahren erlebt sie verschiedene Gesellschaften, denn die entwicklungspolitische Gutachterin ist viel unterwegs auf der südlichen Erdhalbkugel. So führt sie ihr Weg in mehr als 40 Länder Lateinamerikas, Asiens und Afrikas - meist als freie entwicklungspolitische Gutachterin und Trainerin. Immer wieder fällt Gisela Burckhardts Blick dabei besonders auf die Frauen, weshalb sie auch in dieser Zeit zum Thema „Kompetenzerwerb von Frauen im städtischen informellen Sektor in Ruanda“ promoviert (1995).
Weltweit stellt sie fest, dass frauenemanzipatorische Erfolge immer wieder neu verteidigt werden müssen, „wenn auch auf sehr unterschiedlichem Niveau“. Deshalb ist Gisela Burckhardt voller Bewunderung für ihre Kolleginnen aus Indien und Bangladesch: „Die Stärke dieser Frauen ist unglaublich! Dabei haben sie kaum Schulbildung, eignen sich Englisch durch Learning by Doing an und kämpfen auch im Privaten gegen Windmühlen.“
Als Beispiel nennt sie Rukmini Puttaswamy. Die indische Aktivistin setzt sich für die Rechte von Arbeiter*innen ein und kämpft dabei besonders gegen Gewalt an Mädchen und Frauen. Sie ist Leiterin der einzigen von Frauen geführten Gewerkschaft (Garment Labour Union, GLU) in Indien und hat die Frauenrechtsorganisation Munnade mitbegründet. Oder Kalpona Akter aus Bangladesch. Sie gründete die Arbeitsrechtsorganisation Bangladesh Center for Worker Solidarity und ist deren Geschäftsführerin. „Kalpona Akter ist eine international anerkannte Verfechterin der Rechte der Textilarbeiter*innen und sehr engagierte Gewerkschafterin“, schwärmt Gisela Burckhardt. Die indische Gewerkschaft und die Arbeitsrechtsorganisation aus Bangladesch gehören zu den engen Kooperationspartner*innen von Femnet.
Der Weg zur eigenen NGO
Für Terre des Femmes übernimmt Gisela Burckhardt 2001 die Vertretung in der Kampagne für Saubere Kleidung (CCC).
Das internationale Bündnis macht sich für Arbeitsrechte in der Bekleidungs- und Schuhindustrie stark und ist in siebzehn europäischen Ländern aktiv. Weltweit gehören der CCC über 200 Mitgliedsorganisationen an, insbesondere Gewerkschaften und NGOs im asiatischen Raum, aber auch in Mittelamerika, Osteuropa und Afrika. Vereint bündeln sie ihre Kräfte, prangern Arbeitsrechtsverletzungen bei den Zulieferern europäischer Bekleidungskonzerne an, führen Kampagnen zum Beispiel für existenzsichernde Löhne und machen sich stark für gesetzlich verbindliche Regelungen.
Gisela Burckhardts Kampf für verbesserte Arbeits- und Lebensbedingungen in der Textilindustrie beginnt. Sie will, dass dem Thema Frauenrechte in der Arbeit zentrale Bedeutung zukommt und beginnt darüber nachzudenken, zu diesem Zweck eine eigene Nichtregierungsorganisation (engl. Abkürzung NGO) zu gründen.
In Berlin trifft Gisela Burckhardt auf den Verein mitgedacht - feministische Perspektiven auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, der 2010 vor der Auflösung steht. Durch Gisela Burckhardt erfährt dieser eine Wiederbelebung und die thematische Fokussierung auf die unhaltbaren Zustände und Arbeitsrechtsverletzungen in der Textilproduktion Asiens, von denen vor allem Frauen betroffen sind. Auf Gisela Burckhardts Antrag hin, wird der Verein in Femnet umbenannt.
Diese Schritte verkörpern den Neustart des Vereins als international tätige Frauenrechtsorganisation. 2012 wechselt der Vereinssitz von Berlin nach Bonn. Zunächst arbeitet Gisela Burckhardt weiterhin als Gutachterin und baut die Organisation nebenbei auf. 2014 reduziert sie ihre freiberufliche Arbeit massiv zugunsten ihrer Tätigkeit als politische Geschäftsführerin und ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende von Femnet.
Der Verein Femnet e.V.
„FEMNET hat sich von einem kleinen Bildungsverein mit einer halben hauptamtlichen Stelle zu einer anerkannten NGO mit zurzeit fünfzehn Mitarbeiter*innen entwickelt“, stellt Gisela Burckhardt zufrieden fest.
Die Organisation setzt sich für Sozialstandards in der Bekleidungsindustrie ein, besonders für einen existenzsichernden Lohn der Beschäftigten und das Recht der Näher*innen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Von großer Bedeutung ist der Kampf gegen die Diskriminierung der weiblichen Beschäftigten. Zudem engagiert sich der Verein für eine Regelung von Unternehmensverantwortung, z.B. durch ein Lieferkettengesetz.
Femnet agiert auf drei Ebenen: Mittels Kampagnen und politischer Mitsprache, im Rahmen von Bildung und Aufklärung und mit solidarischer Unterstützung der Frauen vor Ort.
Femnet ist Teil verschiedener Zusammenschlüsse und steht im engen Kontakt mit anderen NGOs, Gewerkschaften, Unternehmen, Verbänden und Inhaber*innen politischer Ämter. Wer die Arbeit von Femnet fördern möchte, kann selbst spenden oder Spendensammlungen organisieren. Der Verein lädt aber auch zur Teilnahme an Straßenaktionen, Petitionen oder den offenen Aktionstreffen ein.
Druck erzeugen
Mit Kampagnen und Protestaktionen trägt die Organisation ihre Themen an Politik und Wirtschaft heran - und macht breiten öffentlichen und gezielt politischen Druck.
Dank Gisela Burckhardts frühem und beharrlichem Einsatz „ist FEMNET eine treibende Kraft unter den 25 Trägerorganisationen der internationalen Kampagne für Saubere Kleidung, in Englisch: Clean Clothes Campaign oder kurz CCC.“
Engagiert bringt sich Femnet auch beim Bündnis für nachhaltige Textilien ein, kurz Textilbündnis. Es existiert seit Oktober 2014 und wurde von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller ins Leben gerufen - als Antwort auf den verhängnisvollen Fabrikeinsturz von Rana Plaza (Dhaka/Bangladesch 2013) und andere tödliche Unfälle in Textilfabriken in Bangladesch und Pakistan!
Ziel ist es, die sozialen, ökonomischen und ökologischen Bedingungen entlang der gesamten Lieferkette zu verbessern und damit Desastern jeder Art vorzubeugen.
Femnet ist mit Gisela Burckhardt von Anfang an dabei und vertritt 21 zivilgesellschaftliche Organisationen im obersten Gremium, dem Steuerungskreis. Im Textilbündnis diskutiert Gisela Burckhardt mit Konzernvertreter*innen namhafter Marken, darunter KiK, Otto oder Tchibo.
Bildungs- und Aufklärungsarbeit
Ein Pullover ist nicht nur ein praktisches und schickes Outfit, sondern das Ergebnis eines Prozesses, an dem einerseits viele Menschen beteiligt sind und für den andererseits natürliche Ressourcen wie Wasser oder Baumwolle gebraucht werden. Das heißt, mit Kleidung verbinden sich ökologische und soziale Aspekte. Bildlich gesprochen, stecken in Kleidung viel mehr Menschen als nur die Trägerin oder der Träger selbst. Um das und mehr deutlich zu machen, wendet sich die Aufklärungsarbeit von FEMNET in Deutschland an alle Bürger*innen in deren Eigenschaft als mündige Konsument*innen. Durch Bildungsmaßnahmen an Schulen zielt Femnet darauf ab, dem Modebewusstsein der Schüler*innen eine verantwortungsvolle Haltung zur Seite zu stellen. Hochschulen spielen für Femnet eine besondere Rolle, weil hier die Entscheider*innen von morgen und die Einkäufer*innen der Bekleidungsunternehmen zu finden sind. Zudem berät der Verein Mitarbeitende öffentlicher Verwaltungen bei der Beschaffung fairer Berufsbekleidung.
Mit solidarischer Arbeit im Ausland unterstützt Femnet Frauen in Indien und Bangladesch direkt vor Ort, zum Beispiel beim Einsatz gegen geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz. In Kooperation mit ausgewählten Partnerorganisationen werden
Rechtsberatungen, Trainings und internationale Kooperationsprojekte realisiert, die der Verein in Deutschland mit Kampagnenarbeit begleitet.
Femnet ist sozusagen auch vor der Haustür, direkt in Bonn aktiv, wenn zum Beispiel eine Schule nach einem Vortrag anfragt, wenn es gilt, den Bürger*innen nützliche Infos in Form des Bonner Einkaufsführers Fair, fair, fair sind alle meine Kleider an die Hand zu geben oder es um Beratung beim verantwortungsbewussten Einkauf von Dienstkleidung für die Mitarbeiter*innen der Stadt Bonn geht.
Erfolge, Herausforderungen und Wünsche
Dabei ist die Bundesstadt nur ein Beispiel für viele Städte und Kommunen, die den Rat von Femnet suchen, was Gisela Burckhardt als Hoffnung machenden Erfolg verbucht.
Sie unterstreicht auch „das hohe Niveau der Bildungsarbeit von Femnet in Deutschland“. Der Einfluss des Vereins spiegele sich inzwischen in einigen Lehrplänen von Studien- und Ausbildungsgängen wider. Dafür werden Multiplikator*innen ausgebildet, die anhand von ausgearbeiteten Modulen Workshops an den Hochschulen durchführen. Optimistisch stimmt die Organisationsgründerin zudem die steigende Zahl der Spender*innen und tatkräftigen Unterstützer*innen von Femnet: „Das ist noch einmal ein ganz besonderer Ausdruck der Solidarität mit den Frauen in den Produktionsländern.“
Insgesamt habe sich einiges zum Besseren gewendet - im Laufe der Zeit, in der Gisela Burckhardt mit Femnet sowie dessen Kooperations- und Bündnispartner*innen aktiv ist. „Der Wille zum Dialog und öffentlicher Druck, das sind die Hebel, die wir wohl dosiert und an die jeweilige Situation angepasst einsetzen“, meint sie schmunzelnd.
Zusammen mit der CCC sei es beispielsweise gelungen, den Auftrag gebenden Unternehmen Entschädigungen an die Opfer und Hinterbliebenen der eingestürzten Textilfabrik von Rana Plaza abzuringen.
Ebenfalls im Rahmen der CCC und gemeinsam mit Kolleg*innen hat Gisela Burckhardt eine spezielle Kampagne zu Tchibo entwickelt: „Sie führte dazu, dass das Unternehmen seine Nachhaltigkeitsabteilung stark ausgebaut hat und das Thema Unternehmensverantwortung ernst zu nehmen begann“. Eine Kampagne zu Discountern (Lidl, KiK) lief ebenfalls über mehrere Jahre. „Dabei wurde Lidl wegen Verbrauchertäuschung angeklagt und das Unternehmen hat seine irreführende Werbung sofort zurückgezogen.“
Im Rahmen der CCC habe es noch viele weitere Kampagnen gegeben, die zum angestrebten Ziel geführt hätten. „Ich denke da auch gerne an die Aktionen vor der Aktionärsversammlung von Hugo Boss, die dazu führten, dass Hugo Boss seine Lieferkette offenlegte.“
Fortschritte erkennt Gisela Burckhardt tendenziell auch beim Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt in den südasiatischen Produktionsstätten. Innerhalb des Textilbündnisses hat sie sich immer wieder für dieses Thema stark gemacht. So freut es sie besonders, dass es zum Jahresthema 2020 des Bündnisses gekürt wurde. Zufrieden blickt Gisela Burckhardt daher auch auf eine spezielle Initiative des Textilbündnisses, wodurch den „unsäglichen Arbeitsbedingungen von Mädchen in südindischen Spinnereien und der oft damit verbundenen sexuellen Ausbeutung“ mehr Beachtung geschenkt werde.
Momentan habe die Corona-Pandemie diese positive Entwicklung allerdings erst einmal gestoppt, wie sie einräumt. Nicht nur, dass die Näherinnen wegen des Nachfrage-Einbruchs auf dem Textilmarkt um ihr Einkommen fürchten müssten, sie seien in dieser prekären Lage wieder angreifbarer und dem Machtmissbrauch der Männer stärker ausgesetzt. Gisela Burckhardt hofft auf die Wende zum Besseren, sobald die Pandemie unter Kontrolle ist.
Sorgen bereiten Gisela Burckhardt auch die Nachrichten aus Myanmar. Nach dem Putsch der Militärjunta komme es dort zu grausamen Übergriffen gegen die Bevölkerung. Das weiß sie aus erster Hand von Betroffenen im Land. Aktuell ruft Erfolge, Herausforderungen und Wünsche zu Spenden für die „mutigen Textilarbeiter*innen und Gewerkschafter*innen“ in Myanmar auf, wie Gisela Burckhardt sie mit Ausdruck größter Achtung nennt. „Wieder einmal sind Frauen der Gewalt ganz besonders ausgesetzt“, stellt sie beklommen fest. „Die einkaufenden europäischen Unternehmen müssen darauf dringen, dass die myanmarischen Lieferanten nicht ihre Beschäftigten entlassen, sobald diese drei Tage fehlen, um sich an den Demonstrationen zu beteiligen“, fordert die Frauen- und Menschenrechtlerin. Zusammen mit der CCC appelliert die Vorstandsvorsitzende von Femnet an offizielle Stellen, sich für die Inhaftierten einzusetzen.
Insgesamt beobachtet Gisela Burckhardt, „dass die Kritik an der Überproduktion von Kleidung wächst, genau wie die Bereitschaft, Kaufgewohnheiten zu überdenken.“ Es fehle aber das konsequente Handeln. „Wir müssen dahin kommen, weniger zu konsumieren, dafür aber mehr Geld für faire Kleidung auszugeben - denn für Billigware zahlen die Näherinnen mit ihrem Leib und oftmals sogar mit ihrem Leben“, weiß Gisela Burckhardt.
Sie nimmt aber nicht nur uns Verbraucher*innen in die Pflicht, sondern auch die Politik. „Diese muss endlich klare, einklagbare Regelungen schaffen und ein strenges Lieferkettengesetz verabschieden – auch gegen die mächtige Wirtschaftslobby“. Nur so sei es möglich, länderübergreifend und wirklich lückenlos in allen Phasen von Produktion und Handel gegen Menschenrechtsverletzungen, Umweltschäden sowie sicherheitstechnische und andere Versäumnisse vorzugehen und die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen.
Gisela Burckhardt ist Autorin des Buches „Todschick - Edle Labels, billige Mode - unmenschlich produziert“ (2014) und als Expertin eine gefragte Interviewpartnerin. Ihr Engagement wurde gewürdigt mit dem „Anne-Klein-Frauenpreis der Heinrich-Böll-Stiftung“, dem Gewinn des „Edition F-Awards 2016 `25 Frauen, die unsere Welt besser machen´“ und dem „Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“, 2020. Gerade 70 geworden, möchte sich die Bonnerin im Wesentlichen auf die politische Arbeit von Femnet konzentrieren. Ihre Vision ist „ein fairer Welthandel, eine existenzsichernde Entlohnung der Frauenarbeit und eine grundsätzlich wachsende Selbstbestimmung für Frauen und Mädchen“.
Text: Ute Fischer
Quellenangaben
Die Rechte an dem oben stehenden Text liegen beim Haus der FrauenGeschichte Bonn e.V. (Öffnet in einem neuen Tab)
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Interview mit Gisela Burckhardt, geführt von Ute Fischer per Videochat am 3. März 2021
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