Geboren am 9. Mai 1941 Frauenrechtsaktivistin, Feministin, Wissenschaftlerin, Juristin, Schriftstellerin
Goldgefleckte Gedankenkatze
Die sorgsame Durchführung von Ausgrabungen, bei denen Dr. Barbara Degen in Löchern weitergräbt, in die andere nicht einmal hineinschauen würden, ist eine ihrer grundlegenden Eigenschaften ‒ „Charakterlich habe ich die Mentalität eines Trüffelschweins“. Die Vielfalt der Entdeckungen ist groß: Schönes, aber auch Hässliches kann zu Tage befördert werden. Als Juristin ein dankbares Talent, als Wissenschaftlerin ein notwendiges noch dazu − und zuweilen eine Last. Denn jene Konfrontationen mit Menschen, die diese Eigenschaft missverstehen, führten in Barbaras Leben zeitweise zu einem Gefühl der Isolation. Viele wissen darüber hinaus von Barbaras lebhafter, humorvoller und kommunikativer Aura. Eine Frau, die das Interesse anderer schnell für sich gewinnen kann, möglicherweise auch begründet durch ihre Zeit als Sprecherin bei diversen Demonstrationen Ende der 1960er Jahre.
Aufgewachsen ist sie zur Zeit des Schreckensregimes der Nationalsozialisten, zugleich in einem warmherzigen Elternhaus. Fotos von ihr im Kinderwagen mit strahlenden Augen, als würde das Leben nur auf sie warten, erinnern noch heute daran. Der Fotograf, ihr liebevoller Vater, ist teilweise auch auf jenen Bildern, den Kinderwagen zwischen Wiesen und Wäldern schiebend, zu sehen. Im Zuge ihrer Ausgrabungen muss Barbara eines Tages herausfinden, dass er − selbst mit jüdischen Wurzeln − während der NS-Zeit in Russland „bei der Bekämpfung von Juden und Partisanen“ eingesetzt gewesen war. Bis heute steht sie der Theorie nahe, dass er seinen Tod selbst mit verschuldet haben könnte.
Das ambivalente Gefühl in Bezug auf ihre Familie ist auch in der Beziehung zu ihrer Mutter zu finden und große Teile der Mutterliebe versteht sie erst in späteren Jahren. Die Mutter, Psychologin und Ärztin, nutzt ihr Wissen und Können, um Gutachten der eigenen, auch bereits erwachsenen, Kinder zu erstellen und diese auch just mit den erlangten Informationen zu konfrontieren. „Bärbel und ihre bizarre Art“ – so die Mutter über ihr Kind, die weiterhin festhält, dass sich Barbara zu sehr von ihrem Verstand leiten lässt. Von Kindestagen an wird Bärbel von dem Gefühl einer inneren Zerrissenheit und Spaltung begleitet und kann dieses erst hinter sich lassen, als sie Mitte 30 ihre zweite Tochter zur Welt bringt.
Barbara kommt 1941 als erstes von drei Kindern im „Reichsgau“ Posen, auch bekannt als „Wartheland“, zur Welt. Ihr Bruder Bernhard folgt ein Jahr später. 1939 hatte ihr Vater seine erste Stelle bei der Stadt bekommen, wo er zuständig für Planung von Außenanlagen gewesen war. Beide Elternteile stammten aus Schlesien und sind zur NS-Zeit wohl oder übel Teil des „Herrschaftsklügels von Posen“, doch mit mentalem Widerstand. Ihre Geburtsstadt ist in Barbaras Erinnerung auch heute noch der Ort, an dem trotz NS-Zeit irgendetwas Heiles war. Als Barbaras Vater 1943 in Russland fällt, zerbricht der Lebenstraum ihrer hochschwangere Mutter kurz vor Geburt des dritten Kindes Christof.
Die glücklichen Tage der Kindheit enden hier auch für Bärbel, für die der Vater „die Liebe [ihres] Lebens“ war. Ein Jahr nach dem schmerzhaften Verlust flieht die Familie nach Göttingen. Doch auch hier sind sie nicht geschützt vor der Zerstörungsgewalt des Krieges, auch hier fallen Bomben nieder. Und für Bärbel ist die Zeit von Angst bestimmt. Während sie den Alltag des Krieges miterlebt, versucht sie weiterhin, den traumatischen Verlust ihres Vaters zu bewältigen. Die vierköpfige Familie vergrößert sich, als sie gemeinsam mit Tanten und Großmüttern in eine Vierzimmerwohnung zieht. Auf engstem Raum leben hier die Frauen, die den Krieg überlebt und zugleich ihre Männer verloren haben. Bärbel zieht aus der Zeit in der Frauengemeinschaft Kraft und Halt. Sie entdeckt hier erstmals die (Überlebens-)Stärke von Frauen durch ihre eigene Familie: Großmütter, Tanten, eigene Mutter. Frauen waren somit schon in ihrer Kindheit ein wesentlich tragender Bestandteil der Erziehung und vor allem durch ihren Überlebensmut eine Vorbildfunktion.
Im Alter von sieben Jahren ändert sich für Bärbel alles. Unmittelbar nach Kriegsende hatte die Mutter ihr Medizinstudium wieder aufgenommen. Es lässt sich keine Betreuung für die Kinder finden − denn auch die Tanten sehen sich nicht in der Pflicht und wollen die durch den Krieg verlorenen Jahre aufholen. Bärbels Mutter sieht keine andere Wahl und bringt ihre drei Kinder 1948 in einem Waisenhaus unter. Fast vier Jahre ihres Lebens verbringen sie in einem Haus, in dem Bärbel und ihre Brüder Brutalität und Gewalt unter den Kindern erleben. Zugleich ist es „absolut die freieste Zeit“ in ihrem Leben, so Barbara heute. Weihnachtstage verbringen die Kinder zu Hause, Tanten und auch die Mutter kommen gelegentlich zu Besuch. Ansonsten müssen sie sich alleine zurechtfinden und „überleben“. Als sie 1952 zurück nach Hause kommen, haben alle drei Kinder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. „Wir sind durch irgendwas Destruktives in der Tiefe verunsichert, verstört worden“, erinnert sie sich. Später schreibt sie ihre Erinnerungen an die Waisenhauszeit in Lyrik-Form nieder, über „weggeworfene vergessene ‒ geprügelte vergewaltigte Kinder“ und zugleich „aber ihr lebt ‒ dankt eurem Schutzengel“. Ein widersprüchliches Gefühl, so widersprüchlich wie die Zeit selbst.
Als sie ihre Mutter Jahrzehnte später mit der Frage konfrontiert, wie sie ihren eigenen Kindern das hatte antun können, erfährt sie, dass ihre Mutter im Waisenhaus einen Schutzort vor dem alltäglichen Hunger gesehen hatte, der den Kindern zu ihrer Studienzeit gedroht hätte. Im Nachkriegsdeutschland Ende der 40er bzw. Anfang der 50er Jahre, ohne Vermögen, in der man „sich irgendwie durchschlagen“ musste, war kein Platz für ein Leben als alleinerziehende, studierende Mutter von drei Kindern. Barbara macht heute wie damals den Nationalsozialismus verantwortlich. Für all das, was ihr in der Kindheit widerfährt − Verlust des Vaters, Konflikte mit ihrer Mutter wegen des neuen Partners ebenso wie die traumatische Zeit im Waisenhaus.
1952 zieht die Familie ins noch immer in Schutt und Asche liegende Köln. Barbaras Mutter hatte dort eine Stelle für ein Praktikum erhalten. Bärbel besucht ein Gymnasium, das ihr erstmals ihre Talente bewusst werden lässt. Doch: kaum hat sie Wurzeln geschlagen, entreißt die Mutter sie vier Jahre später wieder ihrem Umfeld und bringt alle Kinder gemeinsam zu ihrem neuen Ziel nach Frankfurt. Dort lebt ihr neuer Partner und ein zweites Mal kann und will sie ihre Kinder nicht alleine lassen. Barbara ist mittlerweile 15 Jahre alt und befindet sich inmitten der Pubertät. Auf der ersten Schule bleibt sie nicht lange, der Eintrag auf dem Zeugnis ist eindeutig: „Bärbel fügt sich nicht in die Ordnung der Schule“. Doch auf dem zweiten Gymnasium vollendet sie später ihr Abitur. Mit Frankfurt verbindet sie die Zeit der ersten Rebellion, zugleich der ersten Liebe, dem Beginn des Studiums und vor allem einem richtungsweisendem Wendepunkt: dem Beginn ihres politischen Bewusstseins.
Den Vogel der Erkenntnis jagen
Während ihrer Pubertät fühlt sie sich wie „in einer Suchschleife“. Ihre Familie nährt sie nicht, und ihre Vergangenheit, Gedanken an die Zeit im Waisenhaus sowie die nicht aufgearbeitete Familiengeschichte, stellt die Frage der Identität immer weiter in den Vordergrund. Ein Jahr später kommt der Umbruch. In der Schule wird der Dokumentarfilm „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais gezeigt, ohne Vor- und Nachbereitung seitens der Lehrkräfte. Schockiert sieht Barbara mit ihren Mitschülerinnen Aufnahmen der Vernichtungslager, vor allem des Konzentrationslagers Auschwitz und die Opfer der Nationalsozialisten – dürre, leblose Körper mit aufgerissenen Augen. „Wir (...) mussten uns die ganzen Leichenberge angucken“ so Barbara.
Überwältigt und verstört von dem Gesehenen, beginnt Barbara zu Hause ihre Mutter mit Fragen zu löchern. Nachdem schon lange Stille im Hause bezüglich dieses Themas herrschte, kommt Barbara nicht mehr umhin, an ihrer Mutter zu rütteln und zu sagen „du musst doch jetzt mal reden!“ Unbequeme Fragen, auf die ihre Mutter keine Antworten geben kann. Keine Erklärungen zur Grausamkeit der Konzentrationslager, keine Erläuterung dazu, wie sich die politischen Ereignisse so hatten entwickeln können, wie Menschen das Grauen des Holocaust hatten verursachen und zulassen können; „Und meine Mutter hat eisern geschwiegen“. Auch die Tanten wollen nicht reden. Aus dieser Hilflosigkeit heraus beginnt für Barbara die bis heute andauernde Erforschung der NS-Zeit ‒ darüber hinaus auch die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte im Dritten Reich.
Die Mentalität des „Trüffelschweins“ bringt sie dazu, bei jedem Todesfall innerhalb der Familie den Nachlass nach Briefen zu durchsuchen, die ihr Antworten auf jene Fragen geben könnten und besucht darüber hinaus jedes zugängliche Konzentrationslager. Die Mauer des Schweigens durchbricht Barbara im Verlaufe des Lebens durch ihren immer wiederkehrenden Drang nach Aufklärungsarbeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Dieser Drang lässt sie bis heute nicht los und ist Teil ihrer Identität geblieben. Mehr noch: für Barbara ist es nicht nur wichtig, das Schweigen zu unterbinden, sondern ebenso „immer [zu] versuchen, klar und deutlich (...) die Wahrheit, soweit sie dir zugänglich ist, zu sagen“. Sie veröffentlicht unter anderem Werke über jene Frauen, die im Konzentrationslager Ravensbrück lebten und überlebten. Darüber hinaus forschte sie über die von Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel zur NS-Zeit und erhebt hier den Vorwurf der „Euthanasie“.
Ihre Mutter sieht sich dennoch verpflichtet, etwas zu unternehmen. Da sie selbst keine Antworten geben kann, stellt sie die Verbindung zu Ulla Illing her. Illing ist in dieser Zeit in Frankfurt bekannt für ihre moderne Bildungsarbeit und ein neues Verständnis von Politik. Im Seminar für Politik stellt Illing insbesondere zu Beginn ihrer Arbeit die NS-Zeit ins Zentrum. Das Kennenlernen und die Teilnahme an ihren Seminaren bezeichnet Barbara heute als ihre „politische Geburtsstunde“, ein „Prozess von politischem Bewusstsein und Einordnung“ beginnt.
In Frankfurt beginnt sie mit dem Jurastudium. Die Wahl des Studienfachs war dabei „purer Zufall“, sagt Barbara. Und obwohl sie „immer eine total unglückliche Juristin“ war, war sie „allerdings eine gute“ ‒ ihre Trüffelschweinmentalität macht sich bewährt.
Der liberale Erziehungsstil ihrer Mutter bietet Barbara den Grundstein für ihre rebellische, pubertäre Phase. Als sie jedoch ungeplant schwanger wird, versucht die Mutter vergebens, den Kindesvater zu einer Heirat zu zwingen. Schließlich wird Barbara von ihrer Mutter nach Franken gebracht und entbindet 1963 in einem Arzthaushalt „für gefallene Mädchen“ ihre erste Tochter. Die Stunden der Geburt sind aufgrund unzureichender medizinischer Versorgung traumatisch ‒ doch beide überleben. Barbaras Mutter verspürt Reue und nimmt Tochter sowie Enkeltochter zu sich. Sie kümmert sich sogar um das Kind, wodurch Barbara in Göttingen ihr erstes Jura-Examen absolvieren kann. Doch als sie nach Frankfurt zurückkehrt, muss sie sich der Aufgabe stellen, eine alleinerziehende Mutter zu sein. Sie erhofft sich ein freieres Leben und stürzt sich Hals über Kopf in ihre erste Ehe, die jedoch nicht allzu lange halten soll.
Rotglühendes Feuerfauchen
Immer noch befindet sich Barbara auf der Suche nach ihrer Identität, stets kreist sie um die Frage „Was ist meine Rolle als Frau?“ Sie trägt große Hüte, raucht Pfeife und strickt in öffentlichen Veranstaltungen. Kurzum: sie fällt auf. 1967 tritt sie in die SPD ein und schließt sich der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen an. Die AsF startet mit diversen Aktionen wie dem Überkleben sexistischer Plakate. Die Debatte um den Paragraphen 218 führt zu Treffen aktiver Frauen. Das Wohnzimmer einer Aktivistin wird zentraler Treffpunkt der Frauengruppe. Nach kurzer Zeit steigt die Anzahl der Teilnehmerinnen von vier, fünf Frauen auf das Zehnfache an.
Die erste Demonstration zur ersatzlosen Streichung des Paragraphen findet 1970 inmitten von Frankfurt statt, wo Barbara als eine von drei Sprecherinnen auftritt. Aus der Diskussion heraus entsteht der Diskurs über die Stellung der Frau in der Gesellschaft im Allgemeinen, insbesondere mit Hinblick auf das Familienrecht. Die Zeit des politischen Aufbruchs führt zu Demonstrationen mit unterschiedlichen Hintergründen. „Wir haben andauernd demonstriert“, erinnert sich Barbara.
Doch von den gewalttätigen Ausschreitungen hält sie nichts – Aggressionen freien Lauf zu lassen oder gar Steine zu werfen kam für sie nie in Frage. An solchen „konkreten, kleinen Punkten“ entwickelt sich somit auch eine pazifistische Ideologie, die Barbara aus dieser Zeit mitnimmt. Mit Spannung beobachten die jungen Menschen der 68er Bewegung außerdem, wie die Generationen über ihnen reagiert. Barbara macht sich daraus einen Spaß und stellt jedem Ausbilder beim Kennenlernen die zwei folgenden Fragen: „Was haben Sie in der NS-Zeit gemacht?“ und „Wer wäscht bei Ihnen zu Hause ab?“ ‒ beschämtes Schweigen war zumeist die Reaktion auf das einschüchternde Verhalten der Studentin.
Ihre Grundposition vertretend, auch über die kommenden Jahre hinweg, spaltet sie ihr Umfeld. Eine Frau, die zugleich erlösende Worte findet für jene Frauen, die sich in der Öffentlichkeit nicht trauen, ihre Stimme zu erheben. Zugleich eine, die in Männern Angst auslöst, deren Ehefrauen könnten ebenso radikal für ihre Rechte eintreten; „So ist immer die Stimmung um mich herum gewesen (...) das war sozusagen meine Rolle.“ Die aktive Zeit innerhalb dieser Bewegung in Frankfurt bleibt für Barbara die intensivste und prägendste Zeit ihres Lebens.
Als sie erkennt, dass es sich bei ihrem Studienfach um ein „kapitalistisches Herrschaftsinstrument“ handelt, verliert sie trotz guter Examina den letzten Rest des Interesses an Jura. Noch während der Referendariatszeit wendet sie sich der Bildungsarbeit zu und leitet ab 1971 eine Kreisvolkshochschule in der Nähe von Frankfurt. Hier macht sie insbesondere Zielgruppenarbeit für Frauen. Die politische Gesinnung wächst zu dieser Zeit in eine ähnliche Richtung, sodass sie im „Übermut“ aus der SPD heraus- und in die DKP eintritt. Wenige Jahre später trifft sie das Berufsverbot. Trotz ihrer Versuche, dagegen anzukämpfen (die bis zum Bundesarbeitsgericht gehen), muss sie sich geschlagen geben.
Nach einigen Monaten als Arbeitssuchende wird sie durch die Hilfe eines Freundes Lektorin beim Luchterhand-Verlag für Arbeits- und Sozialrecht in Neuwied. Die Arbeit dort erfüllt sie, auf der einen Seite kann sie selbst kreativ sein und Vorschläge unterbreiten, andererseits war der Luchterhand-Verlag seit jeher ein liberal orientiert Verlag gewesen, sodass sich Barbara dort wohl fühlt.
Ihr Interesse an der Gewerkschaftsfrage führt jedoch dazu, dass sie sich beim gewerkschaftseigenen Bundverlag in Köln bewirbt. Doch als ihr Arbeitgeber innerhalb der Probezeit herausfindet, dass sie DKP-Mitglied ist, wird sie fristlos entlassen und erhält das zweite Berufsverbot. Zu diesem Zeitpunkt ist Barbara mit ihrer zweiten Tochter schwanger, die 1976 zur Welt kommt. Mit ihrer kleinen Tochter zieht sie und ihr damaliger Partner in den Westerwald. Damit ergeben sich neue Freiheiten für Barbara und sie beginnt zu schreiben.
Unter den Schriftstücken sind Fachkommentare, ein Buch zum Arbeitsrecht, aber auch ein Kinderbuch. Die schriftstellerische Tätigkeit bleibt bis heute Teil ihrer Arbeit. Neben ihren Forschungswerken veröffentlicht sie Lyrik sowie den 2017 erschienen Roman Katharina und die Stimmen. Das Buch, das sie in ihrer Laufbahn als Autorin am meisten bewegt hat, ist ihr 2010 erschienenes Werk Das Herz schlägt in Ravensbrück ‒ die Gedenkkultur der Frauen. Die Stärke von Frauen spürt sie hier unmittelbar und übernimmt einen Teil dieser Stärke für sich. Vor allem die Balance „zwischen dieser Verletzlichkeit von Frauen und Stärke, das finde ich ein ganz wichtiges Element“, sagt sie und ihr Ravensbrück-Buch zeige „die Stärke der Frauen selbst in so einer extremen Situation wie im KZ“.
Sieben Leben
Barbara zieht 1978 nach Bonn, wo sie bis 1985 beim Mieterverein arbeitet. Nach ihrer dortigen Zeit beginnt sie ihre Dissertation zum Thema Gleichberechtigungsgrundsatz im Arbeitsrecht. Zum gleichen Zeitpunkt gründet sie gemeinsam mit einer weiteren Juristin eine Kanzlei am Bonner Münsterplatz. Hier arbeitet sie als Rechtsanwältin für Arbeitsrecht mit Schwerpunkt Betriebsverfassungsrecht und sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz. Barbara hat den Stadtteil Beuel als Wohnort gewählt und seitdem nicht mehr verlassen. Trotz der Tatsache, dass sie Bonn eigentlich immer als „zu brav“ empfand, haben sie hier viele Orte berührt, wie jene Orte, an denen die heilige Adelheid zu finden ist. Auch der Rhein mit seinem zuweilen silbrig schimmernden Wasser inspiriert sie mit Mitte 40 zum Verfassen erster Gedichte. Heute schätzt sie in Beuel insbesondere den intakten Stadtkern mit kulturellen Elementen. Vor allem Orte der Erinnerung, wie die Gedenktafel der Synagoge, die in der Pogromnacht 1938 zerstört worden war, lassen sie hier ihre Identität spüren.
In Bonn lernen sich Ende der 1980er Jahre Barbara und die Geschichtsprofessorin Annette Kuhn kennen. Als Mandantin sucht diese im Anwältinnenbüro nach Rechtsberatung, da sie kurz zuvor aus dem Prüfungsausschuss der Universität Bonn entlassen worden war. Über Annette entsteht der Kontakt zu Lilo Pfeffer an der Uni Bonn, die sie nun anregt, Seminare zu Themen wie Lohngleichheit oder Frauenförderung anzubieten. Hier treffen sich Annette und Barbara wieder und halten gemeinsam ein Seminar über Normierungsmacht von Frauen in der Geschichte. Und obwohl sie nun noch mehr Zeit damit verbringt, das Gebiet der Frauengeschichte zu erforschen, legt sie großen Wert auf Eigenständigkeit und grenzt sich damit auch von Annettes Arbeit ab. Bei Gründung und Eröffnung des Hauses der FrauenGeschichte viele Jahre später ist sie als Freundin an Annettes Seite und bleibt dort noch lange als wichtiger Teil des Hauses bestehen.
Barbaras Arbeit zur Frauenforschung zeigt sich beispielsweise 2008 an ihrer Wanderausstellung Füllhorn, Waage, Schwert ‒ Justitia ist eine Frau in Kooperation mit dem Frauenministerium. Hier sucht Barbara mit der Hilfe engagierter Frauen Antwort auf die Frage, aus welchem Grund „die Allegorie der Gerechtigkeit in Frauengestalt dargestellt wird“ (Wortlaut des Katalogs zur Ausstellung). Ihr wissenschaftliches Interesse an der Symbolik der Justitia wurde jedoch schon zuvor durch ihre kreative Seite ausgedrückt. Dramaturgisch zeichnet sie gemeinsam mit drei weiteren Frauen zu Anfang/Mitte der 90er Jahre mit ihrem Kabarett „Justitia kotzt“ deren Biographie in humoristisch-ironischer Weise nach, zu dessen Ende die Gebärstunde des patriarchalen Rechts stattfindet.
Nach ihrem Austritt aus der DKP im Jahr 1987 wird ihre neue politische Heimat die Feministische Rechtsbewegung. So gründet Barbara Degen 1990 mit Gleichgesinnten in Bonn das Feministische Rechtsinstitut e.V., das sie zehn Jahre lang betreut.
Und die nachfolgenden Generationen? Barbara blickt positiv und voller Freude auf die aktuelle Frauenbewegung. Sie sieht die jungen Frauen, Feministinnen und Frauenrechtlerinnen, die durch Debatten wie #MeToo das Thema weiter präsent halten. Für Barbara ist es weiterhin ein Zeichen für den Mut der Frauen: „Es stärkt mich einfach, was Frauen für eine Kraft haben“. Den Optimismus, mit dem sie auf die Welt kam, hat sie bis heute gewahrt und „dieses Grundgefühl scheint trotz aller Schicksalsschläge (...) sich irgendwie durchgesetzt zu haben“. Dass sie all die Wendungen in ihrem Leben als ständige Rückkehr zum Leben selbst empfindet, beschreibt sie in ihrem Gedicht Die Gedankenkatze, die sich, auf den Dächern der Welt spazierend, nicht von der Suche nach der Wahrheit abbringen lässt.
Die Gedankenkatze - Barbara Degen
Die goldgefleckte Gedankenkatze
spaziert
auf den Dächern der Welt
jagt den Vogel der Erkenntnis
bis zum zweiten Ast
des Maulbeerbaumes
ist stur
und fällt vom siebten
in die süßschwarzen Früchte
sie leckt die Märchen aus dem Seidenfell
genußvoll
was gäb sie für die Zunge des Chamäleons
erschreckt den Nachbarhund den braven
rotglühend ist ihr Feuerfauchen
bis Haus Hof Kirche brennt
auf der Versammlung der Katzen
soll sie Antwort Rede stehen
für so ein ungebührliches Benehmen
sie lacht und spricht
wie immer uneinsichtig
ich habe sieben Leben
Text: Jennifer Trierscheidt
Quellenangaben
Die Rechte an dem oben stehenden Text liegen beim Haus der FrauenGeschichte Bonn e.V. (Öffnet in einem neuen Tab)
- Degen, Barbara: Das Herz schlägt in Ravensbrück. Die Gedenkkultur der Frauen. Opladen & Farmington Hills 2010.
- Degen, Barbara: Die Brennesselzukunft. Oldenburg 2003.
- Degen, Barbara: Justitia ist eine Frau. Geschichte und Symbolik der Gerechtigkeit. Opladen & Farmington Hills 2008.
- Degen, Barbara (2018). Persönliches Interview, geführt von Jennifer Trierscheidt. Bonn, 21. November 2018.
- Degen, Barbara (2019). Persönliches Interview, geführt von Jennifer Trierscheidt und begleitet von Gera Kessler. Bonn, 23. Januar 2019.