„Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen grundsätzlich gut sein können und sich ändern werden, wenn sie alle wichtigen Informationen erhalten und in eine Lage versetzt werden, die es ihnen erlaubt, Widerstand zu leisten. Dies muss auf persönlicher Ebene beginnen und sich auf die politische Ebene erstrecken.“
Ihr Leben: „Lebe, als müsstest du heute sterben“.
Petra Karin Lehmann wurde als Tochter deutscher Eltern in Günzburg zwischen Ulm und Augsburg am 29. November 1947 geboren.
Der Vater verließ die Familie, als sie sieben Jahre alt war. Die Mutter arbeitete als Übersetzerin auf einem amerikanischen Stützpunkt und lernte dort den Berufssoldaten John Kelly kennen, dessen Namen Petra später annahm. Petra wurde von ihrer Großmutter aufgezogen.
Als sie später als Erwachsene nach der Wurzel ihrer besonderen Fähigkeiten gefragt wurde, antwortete sie, als Kind sei sie ernst genommen worden und sie sei das Kind einer Großmutter. Sie beschreibt ihre starke Bindung zu ihrer „Oma Birle“ als die zu einer Freundin, einer Schwester, und doch zugleich als die einer Großmutter und Enkelin. Sie nennt sie ihre erste, wichtigste Leitfigur für ihr politisches und persönliches Engagement.
Ihre Großmutter unterstützte sie in ihrer politischen Arbeit als Vertraute, Freundin und unbezahlte Sekretärin. Ihre bedingungslose, selbstlose Arbeit für Petra prägte deren Verständnis von Liebe stark. Sie entwickelte die Tendenz, von ihren Lieben totale Aufopferung und Akzeptanz zu erwarten.
Nachdem 1958 die Halbschwester Grace zur Welt kam, ging die Familie 1959 in die Heimat des Stiefvaters, in die USA. Sie zogen in die Südstaaten, nach Columbus in West-Georgia. Petra lernte intensiv Englisch und schon nach einem Jahr war sie perfekt. Mit 18 Jahren ging Petra zum Studium der Politischen Wissenschaften nach Washington. Ihr Berufsziel: Diplomatin. Hier gingen 1966 die ersten Feministinnen auf die Straße: Women's lib (Frauenbefreiung) und diese Bewegung erreichte in den 70er Jahren die ganze westliche Welt.
Petra Kelly wurde von Women's lib geprägt, sie übernahm ihre Symbole und Attitüden, griff das Patriarchat an „ohne jedoch jemals feministische Inhalte und Analysen wirklich zu ihrem Denken, Reden oder gar Leben aufzunehmen.“ (so Alice Schwarzer). Aber in jedem Fall ist sie in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung politisch sozialisiert worden und hat ihren Sinn für symbolische Aktionen geschärft und das Konzept des „zivilen Ungehorsams“ gelernt.
Sie verkörpert zwar die Forderungen der Frauen und später dann der Grünen mit Worten, aber sie „unterwirft“ sich mit Gesten und ihrer ganz hilfsbedürftigen Erscheinung den mächtigen Männern und greift sie nicht wirklich an. So sieht Alice Schwarzer Kellys Engagement. Kelly glaubt an die Veränderbarkeit der Welt durch Gesten einzelner, lässt sich von nichts und niemanden einschüchtern und setzt gleichzeitig auf die Großen in dieser Welt.
Im Mai 1969 beendete sie ihr Studium und ging zurück nach Europa. In Amsterdam arbeitete sie am Europainstitut mit Erfolg zum Thema „Europäische Integration“. Sie zog nach Brüssel als sie das Europäische–Gemeinschaft-Stipendiat erhielt. Auch hier arbeitete sie hart, war aber an diesem kalten männlich geprägten Ort einsam und isoliert. Sie wurde EG–Verwaltungsrätin und 1975 begann sie ein Verhältnis mit John Carroll, einem irischen Gewerkschaftsführer und einem Idol der europäischen Protestbewegung. Sie begleitete ihn in den folgenden Jahren an alle Problemschauplätze der Welt.
Auf der Höhe der Friedensbewegung begegnete sie dem 24 Jahre älteren „Friedensgeneral“ Gert Bastian, der die Bundeswehr verlassen hatte. Sie unterzeichnete als erste seinen „Krefelder Appell“ gegen Nachrüstung und Atomwaffen. Mehr als zwei Millionen Unterschriften wurden unter diesen Appell gesetzt.
Als beurlaubte EG-Verwaltungsrätin pendelte sie nun mit ihm zwischen Aktionen in Wyhl, dem Erdinger Moos, Bonn und Brüssel. Am 1. November 1980 waren Bastian und sie Podiumsgäste zu den Themen „Frauen und Frieden“ und „Frauen und Bundeswehr“. Bastian war damals bekannt als Galionsfigur der Friedensbewegung und bekannter als sie. 1981 war sie mit ihm an der Demonstration der 400.000 gegen atomare Aufrüstung im Bonner Hofgarten beteiligt.
Eine romantische, manchmal überquellende Liebe verband sie bald, so sehr wie bedingungslose politische Leidenschaft. Sie wurden die Symbolfiguren und einflussreichen Wegbereiter der neuen grünen Partei und der bundesdeutschen Friedensbewegung.
Petra Kelly und die Geschichte von Bündnis 90/Die Grünen
Nicht zu unterschätzen war Ende der 70er Jahre der Einfluss enttäuschter Sozialdemokraten, die die SPD aus Protest gegen die Verteidigungs- und Atompolitik Helmut Schmidts verließen und sich in neuen Bündnissen formierten. Auch Petra Kelly trat 1979 aus der SPD aus und wandte sich dem „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz“ (BBU) zu. Sie kandidierte als Spitzenkandidatin für die Europawahl 1979 für die SPV (Sonstige Poli-tische Vereinigung). Anders als bei Bundestagswahlen war für die Europawahl keine formelle Parteigründung nötig.
Aber bereits seit 1978 setzte sich die Entwicklung zur Teilnahme an Landes-, Bundes – und Europawahlen fort, geprägt von Auseinandersetzungen der verschiedenen Gruppen, Wählergemeinschaften und Wahlbündnissen.
Petra Kelly war in all diesen Bewegungen zu Hause, sie knüpfte Netzwerke und führte zusammen.
In Westdeutschland und in West-Berlin entsprang die Grüne Partei der Umweltbewegung und den neuen sozialen Bewegungen der 70er Jahre und wurde als Partei im Januar 1980 gegründet. Auf der Bundesversammlung im März des gleichen Jahres wurde Petra Kelly als eine der drei Parteisprecher*nnen gewählt. Das verabschiedete Grundsatzprogramm enthielt die Forderungen nach Stilllegung aller Atomanlagen, einseitiger Abrüstung, Auflösung der Militärblöcke von Nato und Warschauer Pakt, 35-Stunden-Woche sowie die Abschaffung des § 218 StGB („Abtreibungsparagraph“).
Das Selbstverständnis war das einer „Anti-Parteien-Partei“ (Petra Kelly). Dieser Streit zwischen „Fundis“ (die Grünen als Bewegung) und den „Realos“ (die Grünen als Partei mit parlamentarischen Mandaten) sollte die parteiinterne Debatte der nächsten Jahre bestimmen. So war die Aufbau- und Etablierungsphase der neuen Partei stark von innerparteilichen Gegensätzen zwischen den radikalen sogenannten „Fundis“ und „Ökosozialisten“ auf der einen und den pragmatischen „Realos“ auf der anderen Seite geprägt.
Neben dem Thema Umweltschutz bestimmten Themen wie das Rotationsprinzip, die Trennung von Amt und Mandat sowie die Frauenquote das Bild dieser neuen Partei.
Schon früh setzte sich Petra Kelly für ein Bündnis mit den Friedens- und Menschenrechtsgruppen in Ostdeutschland ein. Die in Ostdeutschland entstandene Bürgerrechtsbewegung, das Bündnis 90, schloss sich im Dezember 1990 mit den westdeutschen GRÜNEN zu einer gesamtdeutschen Partei zusammen.
Ihre Politik-Karriere: „Mit dem Herzen denken.“
Petra Kelly war von 1980 bis 1990 im Bundesvorstand der Grünen in Bonn und zusammen mit Otto Schily und Marie-Luise Beck-Oberdorf im Sprecherrat der Fraktion.
1982 war sie Spitzenkandidatin bei den bayerischen Landtagswahlen. Dieser Wahlkampf machte sie bundesweit bekannt. Ihren erzwungenen Rücktritt aus dem Grünen-Vorstand aufgrund des Rotationsprinzips lehnte sie ab, denn nach ihrer Meinung machte dieses Prinzip kontinuierliche Sacharbeit im Parlament unmöglich. Auch wollte sie sich nicht der Regel beugen, dass jeder Bundestagsabgeordnete hohe Abgaben in den sogenannten Öko-Fond leisten sollte. Sie gab ihren Beitrag den Elterngruppen von Kinderkrebsstationen. Längst galt sie als nicht immer einfache Person in einer basisorientierten Partei, die so tat, als seien alle gleich. So war sie immer wieder auf Konfrontationskurs mit ihrer Partei.
Die Flügelkämpfe bei den Grünen sah sie kritisch und konnte sie kaum aushalten. Und doch sah sie ihren Beitrag, eine grüne Partei ins Parlament zu bringen, als große ökologisch-politische Leistung an. Immer mehr distanzierte sie sich vom stärker werdenden realpolitischen Kurs ihrer Partei und forderte eine Rückbesinnung der Grünen zu ihren Ursprüngen als „Anti-Parteien-Partei“. Die grüne Wende zur „Realpolitik“, zu reformerischen Veränderungen und zum parlamentarischen Kompromiss sah sie folgendermaßen: „Wenn das Funktionale und das Pragmatische allein die Politik bestimmen, verfällt die Politik in bloßen Opportunismus“.
Im Dezember 1990, nach dem Zusammenschluss mit der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung Bündnis 90, wurden die Grünen zunächst nicht mehr in den Bundestag gewählt. Petra Kelly wäre aber in jedem Fall außen vor gewesen: ihre Partei hatte sie gar nicht mehr aufgestellt. Von der Partei kaltgestellt und von den Medien ignoriert, litt sie sehr darunter, ihre politischen Anliegen nicht mehr wirksam genug propagieren zu können.
Die Unermüdliche
Als Symbolfigur der Grünen war sie zwar bis 1990 nach außen der Star der Bewegung, nach innen aber war sie zermürbt und erschöpft. 1982/83, auf dem Höhepunkt ihrer Politik-Karriere, konnte Petra Kelly nicht mehr allein sein, nicht mehr alleine reisen. Sie litt unter Panikattacken, Platzangst und Verfolgungsängsten. So geriet Gert Bastian in ihrer Liebesbeziehung immer mehr in die Rolle des Beschützers, Begleiters und Managers ihres beruflichen und häuslichen Lebens.
Sie begann, viele Vorträge im Ausland zu halten und arbeitete an einem Buch über Guernica. Sie blieb bekennende Pazifistin, die Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Rosa Luxemburg zu ihren Vorbildern zählte. Bei der Polizei stand Petra Kelly auf der Liste gefährdeter Persönlichkeiten, sie wurde von Aktivisten der rechten Polit-Sekte EAP (Europäische Arbeiter Partei) bedroht. Personenschutz lehnte sie jedoch ab. Distanz zu halten fiel ihr schwer, in ihren privaten Beziehungen, bei den Grünen und gegenüber dem Leid und Elend dieser Welt.
Durch den frühen Krebstod ihrer Schwester Grace tief erschüttert, gründete sie eine Bürgerinitiative, die es sich zur Aufgabe macht, die psychosoziale Betreuung krebskranker Kinder zu verbessern. Daneben hatte sie viele ehrenamtliche Tätigkeiten in der europäischen Frauen-, Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung sowie beim Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz.
Raketen, Atomkraftwerke, Hunger, Kinderkrebs, Waldsterben sind ihre Themen. Sie schrieb, hielt Vorträge und beteiligte sich an unzähligen gewaltfreien Aktionen und Demonstrationen, agierte gegen das Militär, die Atomkraft, das Patriarchat. Sie war weltweit bekannt und erhielt 1982 den „Alternativen Nobelpreis“ und die US-Friedensorganisation „Women strike for peace“ verlieh ihr den Titel „Frau des Jahres“.
Sie arbeitete 12 bis 16 Stunden am Tag bis in die frühen Morgenstunden, sie kannte keine Grenzen.
Ihre Beziehung zu Gert Bastian
Im Regierungsviertel im Kleinen Haus Am Tulpenfeld arbeiten Petra Kelly und Gert Bastian Tür an Tür, auch als er die Fraktion der Grünen aus Protest verlassen hatte. Rund um die Uhr sollte er nun zur Verfügung stehen. Er half ihr bei der Bewältigung ihres täglichen Arbeitspensums, bei dem sie den Takt vorgab. Zusammen wohnten sie in einem Reihenhaus in Bonn Tannenbusch in der Swinemünder Straße 6.
Aber allmählich beherrschten ihre Ängste und Phobien sie immer mehr. Sie war krank, eine Therapie wäre nötig gewesen. Wollte Bastian zu seiner Familie nach München, bekam sie Herzjagen, Schweißausbrüche und Kreislaufprobleme.
Ihr Tod
Wenige Wochen vor ihrem Tod schrieb Petra Kelly ihren letzten veröffentlichten Text über „Frauenleben, Frauenpolitik“.
Am Schluss standen drei Wünsche, der dritte lautet:
„... ein langes, fruchtbares, schöpferisches Zusammenleben und Wirken mit meinem Lebens- und Seelengefährten Gert Bastian.“
Dieser Gefährte nahm ihr am 1. Oktober 1992 mit einem Kopfschuss aus seiner Pistole das Leben, anschließend erschoss er sich selbst. Erst 18 Tage nach dem tödlichen Schuss wurde sie in ihrem Bett in dem Haus in Bonn Tannenbusch tot aufgefunden. Gert Bastian lag im Hausflur. Die genauen Umstände ihres Todes sind bis heute nicht abschließend geklärt und so hat beider Tod Spekulationen und Legenden hervorgerufen.
48 Stunden nach Auffinden der Leichen sprachen Staatsanwaltschaft Bonn und Polizei von einem „Doppel-Suizid“. Diese Sicht entsprach damals auch der Meinung des politischen Bonn und der medialen Öffentlichkeit. Nur wenige waren einer anderen Auffassung und äußerten es. Bei dem Staatsakt für eine Totenfeier der beiden in der Beethovenhalle war Joan Baez geladen. Diese weigerte sich, „für einen Mörder und sein Opfer“ zu singen und sagte ihre Mitwirkung kurzfristig ab.
Für Alice Schwarzer wurde hier einer Frau das Leben genommen, „ohne dass dies (...in der Gesellschaft...) als Unrecht empfunden wurde.“ Es gab keinen Hinweis darauf, dass Petra Kelly sterben wollte. Sie hatte einen vollen Terminkalender bis 1993 und wollte 1994 ins Europa-Parlament.
Petra Kelly wurde auf dem Waldfriedhof in Würzburg beigesetzt. 2006 wurde ein im ehemaligen Regierungsviertel (heute Bundesviertel) liegendes Teilstück der Franz-Josef-Strauß-Allee in Petra-Kelly-Allee umbenannt.
In ihrer letzten Publikation äußerte sie als ihren ersten Wunsch:
Petra KellyIch wünsche mir eine kinder- und frauenfreundliche zivile Gesellschaft, wo die Menschen einander zutiefst respektieren und solidarisch zueinander sind.
Mehr als 25 Jahre später
Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Grünen-Politikerin, schreibt zum siebzigsten Geburtstag von Petra Kelly am 29. November 2017 eine differenzierte Sicht zu ihrem politischen Leben. In der Rückschau würdigt sie Kellys herausragendes politisches Engagement für die grüne Bewegung und der Partei Die Grünen:
„Petra Kelly hat Menschen begeistert und mitgerissen, sie hat Mut gemacht und mobilisiert.“
Sie habe stets an einen Dreiklang gedacht:
„Umwelt, Frieden, Europa. - Umwelt, denn sie wurde zur Symbolfigur der Anti-Atom-Bewegung, hatte entscheidenden Anteil, dass nach Jahrzehnten grenzenloser Ausbeutung plötzlich das Bewusstsein in Deutschland zumindest heranwuchs, dass der Raubbau an der Natur nicht länger verantwortbar war. - Frieden, denn Petra Kelly wurde zu einer Ikone der Friedensbewegung, (sie...), machte jedem klar, dass die Durchsetzung der Menschenrechte elementarer Bestandteil jeder – und erst recht grüner Politik - sein muss. - Europa, (...), sie dachte aus einem weltumspannenden Horizont heraus und handelte, und das zu einem Zeitpunkt, da Globalisierung noch längst nicht als die große ökologische, soziale, politische und ökonomische Herausforderung der Zeit galt.“
Daher ist Claudia Roth der Meinung, „Petra Kelly gehört zu den großen Frauen in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.“
Text: Sybille Düning-Sommer
Quellenangaben
Die Rechte an dem oben stehenden Text liegen beim Haus der FrauenGeschichte Bonn e.V. (Öffnet in einem neuen Tab)
- Presber, Gabriele: Frauenleben, Frauenpolitik. Konkursbuch Verl. C. Gehrke, Tübingen 1992
- DER SPIEGEL 44/1992
- Latka-Jöhring, Sigrid: Frauen in Bonn. Zwanzig Porträts aus der Bundeshauptstadt. Verl. Lattka, Bonn 1988
- Schwarzer, Alice: Eine tödliche Liebe. Petra Kelly, Gert Bastian. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 3. Aufl. 2005
- Lorenzo di, Giovanni: Vom Aufstieg und anderen Niederlagen. Gespräche. Kiepenheuer & Witsch, 4. Aufl. 2017
- Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Rede zum siebzigsten Geburtstag von Petra Kelly am 29. November 2017 in Freising. In: DIE GRÜNEN
- EMMA: 1. April 2010 von Mithu M. Sanyal (Joan Baez)