Januar 2014: Winterliches Bonn 1939/40
Das Foto der bekannten Kölner Industriefotografin Ruth Hallensleben (1889-1977) stammt aus dem ersten Kriegswinter 1939/40 und wurde von der Straße In der Sürst in Richtung Gangolfstraße aufgenommen. Zu sehen ist der Martinsbrunnen, der vor dem Westportal des Bonner Münsters steht. Der Bildhauer Heinrich Götschmann nannte seinen 1902 errichteten Brunnen „Martinitreiben“ – wobei Kinder versuchen, Gänse für das Festessen am Martinstag einzufangen. Die Originalbronze wurde in der Gießerei von Walter Gladenbeck in Berlin-Friedrichshagen gegossen.
Gegen 1942 wurden die Bronzefiguren zu Rüstungszwecken eingeschmolzen und erst im Jahre 1958 nach alten Gipsformen neu gegossen. Ruth Hallenslebens Hauptarbeitsgebiet waren Industrieaufnahmen, die sie im Auftrag von Firmen und Verlagen machte; hierbei hat sie häufig die Verbindung Mensch – Maschine dargestellt. Ihre Bilder zeichnen sich durch hohe technische Qualität aus, wobei sie zumeist mit nur wenig Kunstlicht arbeitete. Darüber hinaus beschäftigte sie sich auch mit dem Porträt und eingehender mit der Landschafts- und Architekturfotografie, der sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg vermehrt gewidmet hat.
Ansprechpartnerin: Julia Zuber, julia.zuberbonnde
Februar 2014: „Finster in der Zigg“
De Fastelóvend es dó on et Stadtarchiv well üch en dämm Mónd jätt Passendes vürställe. Ehn ahl Aanssichskaat von de Bonne Stadtsoldate uss dämm Johr 1922. Di Pósskaat hätt der Jenre- on Porträtmöle Emil Krupa-Krupinki (1872-1924) jemaat, der sich och als Jebrauchsjrafike ehne Name jamaat hätt, dänn sing Bildche senn off für Posskaate jenómme woéde. Esu hätt datt Stadtarchiv öm de viézich Posskaate von dämm on och nóch allehand Farbdrucke on Lithos, di de Krupa-Krupinski jemólt hätt. Em Bonne Stadtmuseum hängk esuja sing Jemälde „Martinszug“ (1924). Krupa-Krupinski, der och de „lachende Maler-Philosoph“ jenannt wuéd, hätt en Düsseldorf an de Kunsakademi studiét on wor Metjlid en dämm renomiéte Künslerväein „Düsseldorfer Malkasten“.
En dämm hätt er de Bonner Möle Carl Nonn kännejeliét, der am Änd vóm Johrhondet en Bonn e Künslerattelje jemeet hatt. Em Johr 1905 hätt dämm Krupa-Krupinski sing iéschte Ausställung zesamme met dämm Walter Besig en de Kunshandlung Cohen statttjefunge. Zelätz, es er och nóch Jründungsmitjlid on iéschte Präses von dämm „Bonner Künstler-Bund“ jewoéde. Di met de Póss jescheckte schwatz-wiiße Posskaat es en Lithojrafi uss de zwanzije Johre, met dämm jewöhnlije Móß 9x14 cm. Dahjeställt es ehne jäcke Bleck op di Bonne Stadtsoldate. KrupaKrupinski, der och als Karikaturis jearbet hätt, schreff dózo:
„Die Mucker mit dem scheelen Blick
Die weisen wir am Thor zurück“
„Denn Stadtsoldatenfest ist heut
Parole ist Gemüthlichkeit“
Datt Bonne Stadtsoldate-Coreps es em Johr 1872 jejründ woéde, wobei sing Uniform der historische Uniform vón dämm fröhere Bonne Kurfürstliche Leib-Infanterie-Bataillon jlich kütt. „Prinz Karneval hat in dern Bonner Stadtsoldaten seit über hundert Jahren eine wirkungsvolle Streitmacht, die ihn im Kampfe gegen Griesgram und Muckertum tatkräftig unterstützt.“
(www.bonner-stadtsoldaten.de: Die Geschichte des Bonner Stadtsoldaten-Corps von 1872 e.V.)
Für die Übertragung ins Bönnsche bedanken wir uns ganz herzlich bei Herrn Herbert Weffer.
Die Bonner Stadtsoldaten im Karneval von 1922
Die närrische Zeit ist da und somit möchte das Stadtarchiv in diesem Monat eine alte Ansichtskarte der „Bonner Stadtsoldaten“ aus dem Jahre 1922 vorstellen. Diese Postkarte wurde von dem Genre- und Porträtmaler Emil Krupa-Krupinski (1872-1924) geschaffen, der sich auch als Gebrauchsgrafiker einen Namen machte. Seine Bilder fanden häufig als Postkartenmotive Verwendung. Das Stadtarchiv besitzt etwa vierzig Postkarten sowie auch verschiedene Farbdrucke und Lithografien, die Krupa-Krupinski fertigte. Im Bonner Stadtmuseum ist übrigens sein Gemälde „Martinszug“ (1924) zu sehen. Krupa-Krupinski, der sogenannte „lachende Maler-Philosoph“, studierte an der Kunstakademie in Düsseldorf und war unter anderem Mitglied des renommierten Künstlervereins „Düsseldorfer Malkasten“.
Hier lernte er den Bonner Maler Carl Nonn kennen, der für ihn Ende des Jahrhunderts in Bonn ein Künstleratelier anmietete. Im Jahre 1905 fand Krupa-Krupinskis erste Ausstellung zusammen mit Walter Besig in der Kunsthandlung Cohen statt. Schließlich wurde er Gründungsmitglied und erster Vorsitzender des „Bonner Künstler-Bundes“. Die postalisch gelaufene schwarz-weiße Postkarte, eine Lithografie aus den zwanziger Jahren, mit den klassischen Maßen 9x14 cm, stellt in humoristischer Weise eine Szene der Bonner Stadtsoldaten dar. Krupa-Krupinski, der ja auch als Karikaturist tätig war, untermalt das Geschehen mit folgenden Worten:
„Die Mucker mit dem scheelen Blick
Die weisen wir am Thor zurück“
„Denn Stadtsoldatenfest ist heut
Parole ist: Gemüthlichkeit“
Das Bonner Stadtsoldaten-Corps wurde im Jahre 1872 gegründet, wobei die Uniform jener historischen Uniform der ehemaligen Bonner Kurfürstlichen-Leib-Infanterie-Bataillon entspricht. „Prinz Karneval hat in den Bonner Stadtsoldaten seit über hundert Jahren eine wirkungsvolle Streitmacht, die ihn im Kampfe gegen Griesgram und Muckertum tatkräftig unterstützt.“(www.bonner-stadtsoldaten.de: Die Geschichte des Bonner Stadtsoldaten-Corps von 1872 e.V.)
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an julia.zuberbonnde.
März 2014: Die Chronica des Caspar Hedio aus dem Jahr 1530 – unser ältestes Buch
Ein besonderer Schatz des Bonner Stadtarchivs ist die im Jahre 1530 in Straßburg erschienene Chronica von Caspar Hedio. Sie ist das älteste Buch der circa 150.000 Bände der Stadthistorischen Bibliothek. Hierbei handelt es sich um die erste Auflage des 752-seitigen Werkes des Verlegers Georg Ulricher von Andla. Der deutsche Historiker, Theologe und Reformator Caspar Hedio, auch Caspar Heyd genannt, war unter anderem Schüler von Matthäus Zell, Wolfgang Capito und Ulrich Zwingli.
Hedio wurde im Jahre 1494 in Ettlingen geboren und verstarb 1552 in Straßburg an der Pest. Er übersetzte zahlreiche Traktate der Kirchenväter, d.h. jener frühchristlichen Autoren, die die christliche Lehre begründeten. Sein hier vorgestelltes Werk Chronica und die 1539 erschienene Weltchronik zeichnen sich durch ausgeprägte reformatorische Tendenzen aus. Die beiden Schriften machten Hedio zum ersten protestantischen Kirchenhistoriker.
Bei der „Chronica der altenn christlichen Kirchen aus Eusebio / Ruffino / Sozomeno / Theodoreto / Tertulliano / Justino / Cypriano / und Plinio durch D. Caspar Hedio verteutscht“ handelt es sich um die Bearbeitung und Fortsetzung älterer Kirchengeschichten. Der Zustand des Buches ist seinem Alter entsprechend gut. Die Ecken sind stark bestoßen, und es gibt Fraßspuren von Holzwürmern. Der Holzdeckeleinband ist mit gepresstem Schweinsleder bezogen und wurde ehemals von zwei Messingschließen gehalten, die leider nur noch zum Teil erhalten sind.
Auf der Innenseite des Einbanddeckels steht der handschriftliche Besitzvermerk von Jos[eph] Kryph vom 17. März 1622. Inzwischen liegt Hedios Chronica auch schon online vor – aber es ist doch etwas ganz anderes, ein Buch im Original in den Händen zu halten, welches beinahe 500 Jahre alt ist. Interesse geweckt? Dann können wir Ihnen das Werk gerne zur Ansicht im Lesesaal präsentieren.
April 2014: Handgeschriebener Lebenslauf des Komponisten Walter Braunfels im Stadtarchiv
Handgeschriebener Lebenslauf von Walter Braunfels (1882-1954), Komponist und Pianist, aus dem Nachlass von Dr. Julius Hagemann (1863-1939), undatiert (Stadtarchiv Bonn SN 74 Nr. 2).
„… in den letzten Gymnasialjahren trat die Musik so sehr bei mir zurück, daß ich schließlich als Student der Jurisprudenz und Nationalöconomie nach München (u. später nach Kiel) ging. Bald schon wieder nahm mich aber die Musik so vollkommen ein, daß ich mich im Herbst 02 nach Wien zu [Theodor] Leschetitzky begab. [...] Herbst 1903 kehrte ich nach München zurück, wo ich zuerst bei Theville [Ludwig Thuille] und [Bernhard] Stavenhagen studierte...“. So beschreibt Walter Braunfels seine Hinwendung zur Musik und seinen Werdegang bis zum Jahr 1909. Als seine wichtigsten Arbeiten nennt er die Opern „Falada (04/05) [...] und Prinzessin Brambilla (06/08) die nahezu fertig ist ...“. Am 25. März 1909 – vor 105 Jahren – fand die Uraufführung seines Werkes „Prinzessin Brambilla“, ein Phantasiestück nach E.T.A. Hoffmann, am Staatstheater in Stuttgart statt.1933 wurde Braunfels von den Nazis als ein sogenannter „Halbjude“ als Direktor der Musikhochschule Köln entlassen. Zwischen 1933 und 1937 lebte er in Bad Godesberg, Kurfürstenstraße 10. In dieser Zeit entstand seine Oper „Der Traum ein Leben“. Diese wird zur Zeit an der Oper Bonn aufgeführt; die Premiere fand am 30. März 2014 statt.
Der Nachlassgeber Dr. Julius Hagemann war Arzt (u.a. als Chirurg im St. Franziskus-Hospital in Kessenich tätig) und Musikmäzen. Sein Wirken fand wegen seiner jüdischen Abstammung in der NSZeit 1938 ein Ende. Er emigrierte im hohen Alter nach Indien, wo er bald darauf (1939) verstarb.
Weitere Informationen zu Leben und Werk finden sich unter: www.theater-bonn.de (Öffnet in einem neuen Tab) und www.walterbraunfels.de.
Mai 2014: „Hervorragende Leistungen auf der Weltausstellung in St. Louis im Jahre 1904“
Vor genau 110 Jahren, am 30. April 1904, wurde in St. Louis die 14. offizielle Weltausstellung unter dem Titel „World’s Fair – Louisiana Purchase Exposition“ eröffnet. Unter dem Dach der Deutschen Städteausstellung und unter Federführung des Reichskommissars für die Weltausstellung Theodor Lewald präsentierten sich bis zum 1. Dezember auf dem bis dahin größten Ausstellungsgelände im heutigen Forest Park und auf dem angrenzenden Campus der Washington University zahlreiche deutsche Städte im Rahmen einer Kollektivausstellung über das Städtewesen.
Auch Bonn beteiligte sich an dieser Ausstellung und stellte acht Übersichtspläne, die die städtebauliche Entwicklung der Stadt Bonn von der Römerzeit bis ins Jahr 1903 zeigten, zur Verfügung. Für ihre Mitwirkung und ihre „hervorragenden Leistungen auf der Weltausstellung in St. Louis 1904“ wurde die Stadtverwaltung mit einem Diplom und einer Silbermedaille geehrt.
Die Pläne wurden nach Ende der Weltausstellung dem Chicago Municipal Museum für eine Sonderausstellung überlassen und schließlich geschenkt, da ein Rücktransport vermutlich zu teuer gewesen wäre. Die Zweitexemplare der Pläne befinden sich noch heute in der Karten- und Plansammlung des Stadtarchivs (Signatur: SN 5 / Ba 10).
Juni 2014: Gaumenfreuden im Wirtschaftswunder
Zu den bedeutendsten Beständen der Fotografischen Sammlung des Bonner Stadtarchivs zählt der umfangreiche Werknachlass des Bonner Architekturfotografen und Fotografenobermeisters Gerhard Sachsse (1920-1998). Das Foto des Monats Juni von Gerhard Sachsse zeigt Jacob Diefenbachs Feinkostgeschäft, das seit Anfang der 1950er Jahre bis ins Jahr 1970 unter anderem an der Bonner Sterntorbrücke bestand. Dieses war so bekannt, dass es noch in einem Radiointerview von 2010 erwähnt wurde:
„Bonn war inzwischen Bundeshauptstadt geworden, und im Wirtschaftswunderland herrschte große Sehnsucht nach Hummer, Wild und Leberpastete. Ob Botschaftsempfang, Tennisturnier oder Gartenfest in Godesberg: Die feinsten kalten Platten kamen von Feinkost Diefenbach.“
(„Erlebte Geschichten“, WDR5, 24.12.2010)
In Gerhard Sachsses Fotografie präsentiert sich das üppig gefüllte Ladenlokal Diefenbach als Delikatessen-Tempel. Denn nach den mageren Jahren will man sich kulinarisch wieder verwöhnen lassen. Feinkost liegt voll im Trend, oder zumindest das, was man in den Wirtschaftswunderjahren darunter versteht. Da der Begriff nicht einheitlich geregelt ist, unterliegt er natürlich auch dem Zeitgeist. Als Feinkost oder Delikatessen bezeichnet man zumeist erlesene Lebensmittel von höchster Qualität, die so teuer sind, dass sie nicht zu den alltäglichen Grundnahrungsmitteln gehören.
Versteht man in der heutigen Zeit darunter Speisen und Getränke wie Beluga-Kaviar, Alba-Trüffel, Wagyu-Rindfleisch (Kobe), Kopi-Luwak-Kaffee, Blanc de Blanc Champagner, und Tieguanyin-Tee, so war dies in den Wirtschaftswunderjahren noch etwas zurückhaltender. Sekt der Marken Kupferberg Gold und Deinhard sowie Bohnenkaffee von Jacobs sind modern und versprühen einen Hauch von Luxus. Als frisches Obst und Gemüse werden unter anderem holländische Tomaten und Äpfel der Marke Goldparmäne angeboten, einer der besten Tafelobstsorten, die aufgrund ihrer Krankheitsanfälligkeit heute kaum noch angebaut wird. Das Highlight sind sorgfältig angeordneten Südfrüchte, Bananen, Orangen, Honigmelonen, Zitronen und Ananas, die für das Modegericht der Fünfziger Jahre, „Toast-Hawaii“, unabdingbar war.
Im Sinne des Wirtschaftswunders wird hier auch dem Glauben an den dauerhaften Erfolg industrieller Massenproduktion gehuldigt: Die seinerzeit beliebten Konserven werden als „feinste Konserven“ deklariert und dementsprechend in Szene gesetzt - regelrechte Konserventürme mit Leipziger Allerlei, Champignons, Bohnen, Tomaten und Spargel stapeln sich bis unter die Decke des Feinkostgeschäfts. Dank des abgebildeten Jacobs-Kaffee-Werbeschildes auf der Fotografie, das von dem bekannten Grafiker und Pressezeichner Kurt Glombig stammt, lässt sich das Foto in die Mitte der Fünfziger Jahre datieren.
Die hier gezeigte schwarz-weiß Fotografie von Gerhard Sachsse ist in Form einer Negativ-Glasplatte mit den Maßen 24x17,5 cm überliefert. Als „Glasplatte“ wird im Fotojargon eine mit einer Fotoemulsion beschichtete Glasscheibe bezeichnet, die bis in die 1960er Jahre durchaus gängig war. Die Erfindung des Zelluloids ermöglichte dann seit den 1930er Jahren die Herstellung von fotografischen Filmen. Nach und nach verdrängte der Klein- und Mittelformat-Film schließlich die bruchempfindliche und unhandliche Glasplatte.
Gerhard Sachsse wurde am 3. September 1920 in Lengerich-Westfalen geboren. Seine Lehre absolvierte er unter anderem bei der Bonner Fotografin Käthe Augenstein. Nach seiner Meisterprüfung 1950 eröffnete er 1952 sein eigenes Atelier in der Bonner Sternstraße. Gerhard Sachsse genoss über die Bonner Stadtgrenzen hinaus großes Ansehen als Architekturfotograf. Seine Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet. Er wurde in die Deutsche Gesellschaft für Photographie berufen. In der Bonner Fotografeninnung hatte er über viele Jahre das Amt des Obermeisters inne und war zudem als Landesinnungsmeister tätig. Gerhard Sachsse führte sein Atelier bis zum Jahr 1983. Er verstarb 1998 in Sankt Augustin bei Bonn.
Juli 2014: Jüngling in Damenkleidung
In diesem Monat jährt sich der Christopher Street Day zum 45. Mal. Da dieser Tag für Vielfalt und Toleranz in der Gesellschaft steht, möchte das Stadtarchiv zu diesem Anlass eine Neuerwerbung aus dem frühen 20. Jahrhundert vorstellen. Das Foto zeigt ein Beispiel für Crossdressing, das Tragen typischer Kleidung des anderen Geschlechts. Bereits frühe Daguerreotypien des 19. Jahrhunderts zeigen Männer in Frauenkleidern.
Die heute vorgestellte Fotografie wurde im Jahre 1910 im Bonner Fotoatelier der Gebrüder Gollas aufgenommen. Die Brüder Gollas - Fritz (1870), Carl (*1879) und Georg (1874-1915) - waren alle drei als Fotografen tätig: Carl und Fritz zunächst in Straßburg und Georg in Bregenz. Letzterer zog im Oktober 1900 nach Bonn, vermutlich um in der neuen Filiale des Bremer Fotofilialisten Jean Baptiste Feilner (Bahnhofstraße Nr. 13; ab 1910 Nr. 22) zu arbeiten, die Emil Koch bereits 1890 eröffnet hatte.
Im Jahre 1903 folgte Carl nach Bonn, verzog aber schon zwei Jahre später nach Koblenz, wo Feilner seit Ende 1904 eine weitere Filiale (Goebenplatz 12) betrieb. Im selben Jahr übernahmen die Brüder das Bonner Atelier von Feilner, das wohl hauptsächlich Georg betrieb. Dieser heiratete 1911 die Bonnerin Maria Luise geb. Zahn (1885-1980) und übernahm wahrscheinlich im Folgejahr das Koblenzer Atelier von Feilner. Das Bonner Atelier führte schließlich Albert Melzer weiter, das an gleicher Stelle, dann noch von verschiedenen Fotografen betrieben, bis ins Jahr 1938 bestand.
Das Schwarz-Weiß-Foto mit den Maßen 10,1x14,7 cm zeigt eine Person in Damenwäsche, die entspannt auf einem Zweisitzer posiert. Aufgrund der femininen Gesichtszüge, des welligen Haars, des zierlichen Ringschmucks und der Rose im Schoß ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen, dass es sich um einen jungen Mann handelt. Der Körperbau mit dem breiten Hals, seinen breiten Schultern, den kräftigen Gelenken und Muskeln weist eine starke maskuline Prägung auf. An der Stelle des Adamsapfels ist eine Negativretusche erkennbar.
Darüber hinaus fällt auf, dass keine Achselhaare erkennbar sind und die Augenbrauen gezupft erscheinen. Dies ist insofern bemerkenswert, als das in Europa Achselhaar allgemein erst nach 1945 entfernt wurde. So zeigen auf den ersten erotischen Fotografien aus dem 19. Jahrhundert die Modelle noch lasziv ihr Achselhaar und in Amerika praktizierten vor 1914 nur einige Frauen die im Theater und in Revues arbeiteten, die Methode der Körperenthaarung.
Die Deutung der Fotografie gibt nach wie vor Rätsel auf. Bei näherer Betrachtung ist es jedoch wenig wahrscheinlich, dass es sich bei der Darstellung um das Ergebnis einer studentischen Mutprobe, einen Jux oder aber um eine Kostümierung im Karneval handelt. Eine plausible Erklärung wäre die Darstellung eines Schauspielers, der sich in einer Frauenrolle ablichten ließ: Männer in Frauenrollen waren um die Jahrhundertwende beim Theaterpublikum sehr beliebt.
Leider haben die Recherchen bezüglich einer im Jahre 1910 in Bonn aufgeführten Theaterinszenierung, die solch eine Rolle besetzte, kein Ergebnis geliefert. Das Foto lässt eher an einen jugendlichen Liebhaber denken, der sich für seinen Geliebten ablichten ließ. Darauf deutet auch die helle Rose, die seit dem Altertum – vor allem die weiße – als Zeichen der Verschwiegenheit gilt. Die Pose des Jünglings erinnert an die „Nackte Maja“ (1795-1800) von Francisco de Goya, die auch in der Version einer „Bekleideten Maja“ (1800- 1807) existiert - ein erotisches Motiv liegt nahe.
Falls Sie, liebe Leser, noch weitere Hinweise oder eine andere plausible Erklärung haben sollten, lassen Sie es uns doch in einer kurzen Email wissen. Für Anregungen sind wir jederzeit sehr dankbar.
August 2014: 1. August 1914 – der Erste Weltkrieg beginnt
Am 1. August erscheint im Bonner „General-Anzeiger“ und in den beiden anderen Bonner Tageszeitungen, der „Neuen Bonner Zeitung“ und der „Deutschen Reichszeitung“, eine Nachricht, die die letzte Ungewissheit der Bonner Bevölkerung beseitigt: Am 31. Juli 1914 erklärt der deutsche Kaiser Wilhelm II. den Kriegszustand für das Deutsche Reich. Der „General-Anzeiger“ erfasst die politische Lage in einer ebenso kurzen wie prägnanten Schlagzeile: „Krieg.“ Noch am 1. August 1914 befiehlt Wilhelm II. die Mobilmachung und erklärt Russland den Krieg.
Die Leser des „General-Anzeigers“ müssen sich nun an eine völlig neue Zeitungsgestaltung und Berichterstattung gewöhnen. Am 31. Juli 1914 erscheint die Zeitung zum letzten Mal mit einer Titelseite, die lediglich aus Annoncen aller Art bestand. Seit der Erstausgabe vom 1. Dezember 1889 sind Nachrichten in den Innenseiten zwischen den zum Teil ganzseitigen Anzeigen eher klein gedruckt erschienen. Ab dem 1. August 1914 bis heute bestimmen Nachrichten aus Bonn und aller Welt das Erscheinungsbild des „General-Anzeigers“.
Ein Blick in die Bonner Zeitungslandschaft im Sommer 1914 zeigt, wie unterschiedlich die Tageszeitungen über den Kriegsbeginn berichten. So verwendet die „Deutsche Reichszeitung“ bereits seit der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo das Wort „Krieg“ in Überschriften auf der Titelseite. Die „Neue Bonner Zeitung“ und besonders der „General-Anzeiger“ sind hier viel zurückhaltender.
Außer den täglichen Zeitungen werden in den nächsten Tagen Sonderblätter gedruckt, die über die weiteren aktuellen Ereignisse informieren. Kurz nacheinander erscheinen Meldungen über die Anordnung der Mobilmachung (2. August 1914), über weitere Kriegserklärungen, so über den Kriegseintritt Großbritanniens (5. August 1914), und Kriegsberichte. Menschenmengen belagern in dieser Zeit die Geschäftsstellen der Zeitungen in Erwartung neuester Nachrichten.
Die Sonderblätter der „Bonner Zeitung“ liegen digitalisiert vor und können im Rahmen des Auftritts von Stadtarchiv und Stadthistorischer Bibliothek im Portal archiv.nrw.de eingesehen werden.
Insgesamt verfügt die Stadthistorische Bibliothek über 163 Zeitungstitel – darunter zahlreiche Tageszeitungen. Die ältesten Ausgaben stammen aus den 1770er Jahren. 25 Titel können auf Mikrofilm eingesehen werden. Alle Ausgaben des „General-Anzeigers“ seit 1889 werden bei uns in gedruckter Form und zusätzlich auf Mikrofilm aufbewahrt.
September 2014: 1. September 1939 – Ausbruch des Zweiten Weltkriegs
„Die Aufnahme des Unterrichtes am 24. August nach Ablauf der Sommerferien fand eine jähe Unterbrechung. Die seit Wochen bestehende Spannung zwischen Deutschland und Polen löste sich am letzten Augusttage zu einem blutigen Waffengang der beteiligten Mächte aus. Seit dem frühen Morgen des 1. September schießen deutsche Kanonen in Polen hinein. Im Interesse des zivilen Luftschutzes erließ der Oberkommandierende der Luftwaffe, Generalfeldmarschall Göring, durch Funkspruch folgenden Tagesbefehl:
„Im ganzen Reichgebiet fällt der Unterricht bis auf Widerruf aus. – “
Die deutsche Kriegserklärung an Polen und damit der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 brach unmittelbar in den Alltag der Bevölkerung ein – besonders deutlich spürbar waren die Auswirkungen im Schulalltag, wie aus den Aufzeichnungen der Schulchronik der katholischen Grundschule Lessenich (Laurentiusschule) hervorgeht. Insbesondere durch die Einziehung zahlreicher Lehrkräfte griff der Krieg sichtbar in Schulleben und Unterrichtsbetrieb ein. „Am 9.9.39 wurde unser Schulleiter, Hauptlehrer Masshöfer, zur Wehrmacht einberufen“ berichtet etwa die Schulchronik der katholischen Volksschule in Ippendorf. Noch am Tage des deutschen Einmarsches in Polen führte die Einquartierung einer Flakbatterie in der Ippendorfer Schule zu erheblichen Raumbelegungen:
„Die beiden Schulsäle des hinteren Gebäudes wurden von ihr in Anspruch genommen, der untere als Küche, der obere als Mannschaftsraum eingerichtet. Auf dem Schulplatz stehen zwei Feldküchen und eine Baracke, zeitweise auch Fahrzeuge.“
Bereits am 28. August 1939, vier Tage vor dem deutschen Überfall auf Polen, war die Bonner Bevölkerung mit einer Plakatbekanntmachung über den Ausnahmezustand im Operationsgebiet in Kenntnis gesetzt worden. Zu diesem „Operationsgebiet“ gehörte, wie aus dem angefügten Zusatz des Bonner Oberbürgermeisters Rickert hervorging, auch die Stadt Bonn, die damit noch vor Beginn des Polenfeldzugs in ein avisiertes rheinisches Aufmarschgebiet für die geplante Offensive gegen Frankreich, Belgien, Holland und Luxemburg einbezogen wurde.
Während die Bevölkerung schon eine Woche zuvor durch eine mehrtätige Verdunkelungsübung in Bonn und Beuel mit ersten mittelbaren Anzeichen der drohenden Kriegsgefahr konfrontiert worden war, äußerte sich die unmittelbare militärische Einbeziehung des Bonner Raumes in der Folgezeit vor allem durch die Einquartierung von Wehrmachtstruppen für die bevorstehende Westoffensive.
Für den 2. September 1939, einen Tag nach Kriegsausbruch, ist in den standesamtlichen Sterberegistern der erste gefallene Soldat aus Bonn vermerkt: Der erst 24 Jahre alte Student Heinrich Hagen, Schütze in der 6. Kompanie des Schützenregiments 4, war im polnischen Toporow „im Gefecht gefallen“. Bis zum Kriegsende im Mai 1945 sollte der Zweite Weltkrieg, der weltweit an die 60 Millionen Todesopfer forderte, über 4.000 Bonner Soldaten und Zivilisten das Leben kosten.
Oktober 2014: Elfriede Jelinek 1989 in Bonn
Passend zum Beginn der Frankfurter Buchmesse präsentiert die Abteilung Dokumentation im Stadtarchiv eine immer wieder für Kontroversen sorgende Schriftstellerin: Elfriede Jelinek. Das Foto aus dem Jahre 1989 stammt von dem bekannten Bonner Fotografen Franz Fischer und zeigt die inzwischen international anerkannte und vielfach preisgekrönte Autorin (u.a. 1998 Büchner-Preis, 2004 Literaturnobelpreis) in nachdenklicher Haltung in einem Zimmer des Hotels Beethoven in Bonn vor einem Interview anlässlich einer Tanztheateradaption ihres Romans „Die Klavierspielerin“.
Am Bonner Theater wurden vier ihrer Stücke zumeist unter dem Protest der Zuschauer und unter dem Boykott der Bonner Theatergemeinde uraufgeführt. Die skandalumwitterten Uraufführungen unter dem Intendanten Peter Eschberg sicherten dem Bonner Theater eine nie dagewesene bundesweite Aufmerksamkeit: 36 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von 8,9 Millionen Exemplaren berichteten allein über den „Theaterschock in Bonn“ (Express vom 27.9.1982), die Inszenierung von „Clara S.“ in der Inszenierung von Hans Hollmann. Dass die feministische Autorin ausgerechnet die in Bonn sakrosankte Clara Schumann zur Protagonistin ihres Stücks machte, das die Vernichtung der weiblichen Kreativität zeigen soll, wie Jelinek in einem Interview mit dem GA erläuterte, erboste das Bonner Publikum zutiefst.
Diese überaus heftigen Reaktionen hielten den Schauspielchef Peter Eschberg jedoch nicht davon ab, in den folgenden Jahren weitere Uraufführungen von Werken der auch in ihrer österreichischen Heimat stark kritisierten Schriftstellerin zu zeigen. Die Diskussionen um Themen und Qualität dieser Inszenierungen lassen sich detailliert in der öffentlich zugänglichen Zeitungsausschnittsammlung des Bonner Stadtarchivs nachlesen. Dort befindet sich auch die umfangreiche fotografische Sammlung, zu der auch der Bestand Franz Fischer gehört.
Den Bonnern ist er durch seine detaillierte Dokumentation der Kunstszene bestens vertraut.
Dass er neben der bildenden Kunst auch einen Focus auf die reiche Literaturszene der ehemaligen Bundeshauptstadt gerichtet hat, ist hingegen weniger bekannt.
November 2014: Die ehemalige Tauf- und Pfarrkirche Sankt Martin in Bonn
Der 11. November ist der Gedenktag des hl. Martin von Tours (316/317–397), der der Legende nach vor nunmehr über 1600 Jahren seinen Mantel mit einem Bettler geteilt hat und seitdem als Schutzheiliger der Reisenden, Reiter und Armen gilt. Er war in der lateinischen Kirche der erste, der den Grad der Heiligkeit nicht durch Märtyrertod, sondern durch seine heroischen Taten erreichte. Als einer der bekanntesten Heiligen des Abendlandes ist der hl. Martin Namenspatron vieler zumeist sehr alter Kirchen.
Die um das Cassius-Stift herum entstandene Kirche Sankt Martin wird erstmals 799 schriftlich erwähnt. Sie war anfänglich Eigenkirche und wurde im Jahre 804 durch einen Grundherrn namens Rungus dem Stift geschenkt. Sie ist eine der vier alten Bonner Pfarrkirchen.
Um das Jahr 1150 wurde unter Propst Gerhard von Are an der Stelle der Vorgängerbauten der kleine, kreisrunde Zentralbau mit doppelgeschossigem Umgang, einer Westvorhalle und kleiner halbrunder Ostapsis für den Altar errichtet. Eine mittelalterliche Pfarrkirche als Rundbau ist sehr ungewöhnlich und wohl dadurch zu erklären, dass von Are eine monumentale Bautengruppe in der Art zentraler Mausoleen bzw. Baptisterien schaffen wollte.
Durch eine Renovierung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde aufgrund der hinzugefügten enormen Stützpfeiler das Äußere der an und für sich eleganten, schön verzierten Rotunde stark verändert. Nach Einzug französischer Revolutionstruppen (1794) in Bonn wurde in der Martinskirche nur noch selten Gottesdienst gehalten, und sie geriet immer mehr in Verfall.
Im Jahre 1804 wurde der Gottesdienst schließlich in die Kirche des aufgelösten Cassiusstiftes verlegt, die hierdurch das Martinspatrozinium und dann auch die Pfarrechte überwiesen bekam. Schließlich wurde der Abriss der Martinskirche beantragt, der jedoch vom kunstsinnigen französischen Präfekten mit der Begründung abgewiesen wurde, Sankt Martin hätte „als Wiege der Religion und ältestes Bauwerk der Stadt" große Bedeutung. Im Jahre 1812 stürzte die Kirche bei einem Sturm ein und wurde daraufhin abgerissen. Der Grundriss des Rundbaus, mit einem Durchmesser von 18 Metern, ist auch heute noch zu sehen: Er ist am Martinsplatz durch Porphyrquader im Asphalt eingelassen.
Die Pinselzeichnung der Kirche Sankt Martin wurde im Jahre 1809 mit den Maßen 28,3x32,4 cm von Johann Baptist Büttgenbach geschaffen. Die Martinskirche wird von Südwesten dargestellt, wobei auf der linken Bildseite noch die Ostapsis des Bonner Münsters zu sehen ist.
Büttgenbach wurde, wie aus der Magisterarbeit von Dieter Schaefer hervorgeht, um 1785 als
Sohn von Christian Budgenbach (Büttgenbach *Bonn 21. Oktober 1753) und Anna Maria Müllers
in Bonn geboren. In den Jahren 1813/14 war Johann Baptist Büttgenbach als Landmesser bzw.
Geometer tätig und heiratete am 14. April 1813 Maria Elisabeth Josephine Petronella Müller
dicta Dumoulin in Bonn mit der er einen Sohn Christian Friedrich Büttgenbach (*Bonn 16.
Februar 1814) hatte. Als Quelle lässt sich noch das handschriftliche Bonner Heiratsregister in französischer Sprache aus dem Jahre 1813 heranziehen; ansonsten ist leider nichts Weiteres über den Künstler bekannt.
Interessant ist noch die Tatsache, dass das Stadtarchiv eine Lithographie mit der Bonner
Martinskirche des Künstlers Joh. Gernau mit den Maßen 25,2x32,5 cm besitzt, die auf den
20. Mai 1813 datiert ist – also eine Zeit nach dem Abbruch der Kirche. Dieses Blatt macht deutlich, dass Gernau die Pinselzeichnung von Büttgenbach als Vorlage benutzte, da er selbst die Staffagefiguren von diesem übernommen hat. Hieraus lässt sich schließen, dass zumindest Johann Baptist Büttgenbachs Zeichnung nicht ganz unbekannt gewesen sein kann.¹
¹ Siehe: Dieter Schaefer: Verwaltungsbeamte in Bonn zwischen Ancien Régime und Preußischer
Herrschaft (1790-1815); Magisterarbeit Bonn 2004, S. 15.
Dezember 2014: Hochwasser in Bonn – Das „Weinen der Flüsse“ von Aaron Simeon ben Jakob Abraham
Hochwasser gab es schon immer am Rhein. Einige Überschwemmungen und Eisgänge haben bleibende Erinnerungen zurückgelassen, andere wiederum sind in Vergessenheit geraten. Mehr oder weniger schädlich, manchmal katastrophal, ist das immer wiederkehrende Hochwasser ein Bestandteil des Lebens auch in Bonn. Bereits im 14. Jahrhundert hat man die Pegelstände für die Stadt Köln dokumentiert. In Bonn sind diese seit 1784 erhalten, so dass es uns heute möglich ist, die Ausmaße der vergangenen Ereignisse nachzuvollziehen.
Im Bestand des Stadtarchivs und der Stadthistorischen Bibliothek Bonn befinden sich mehrere interessante Dokumente über das Hochwasser am Rhein und speziell in Bonn: Bilder, Briefe, Chroniken, handschriftliche und gedruckte, teilweise zeitgenössische Berichte und Abhandlungen. Eine dieser Quellen möchten wir im aktuellen Zeitfenster präsentieren.
„Weinen der Flüsse“
Als ein sehr seltenes und interessantes Dokument aus der Sammlung der Stadthistorischen Bibliothek stellen wir hier einen zeitgenössischen Bericht über das Hochwasser von 1784 vor. Der poetisch klingende hebräische Titel „Sipur Bekhi Neharot“ lautet auf Deutsch „Weinen der Flüsse“. Das kleinformatige (15 X 10 cm) Buch mit 44 Seiten wurde bereits 1784 in Amsterdam gedruckt (die Abbildungen zeigen die erste und die letzte Seite des Buches).
Der aus Kopenhagen stammende Autor Aaron Simeon ben Jakob Abraham (auch als Schimon Copenhagen bekannt) lebte in Bonn, starb 1786 und ist auf dem alten jüdischen Friedhof Bonn Schwarzrheindorf begraben. Er war Schreiber und Beglaubigter kurkölnischer Juden und Kenner der Halacha, des rechtlichen Teils der jüdischen Überlieferung. Er setzte sich für Witwen und Waisen ein und vertrat die Rechte geschiedener Jüdinnen. In seinem Buch, das mit Zitaten aus der heiligen Schrift und sonstiger Überlieferung, teilweise in aramäischer Sprache, reichlich geschmückt ist, geht es nicht nur um die Tatsachenschilderung der Hochwasserereignisse in Bonn und Umgebung und deren Auswirkung auf die jüdische Bevölkerung und die Schäden im Bonner Judenviertel.
Der Autor verfasst gleichzeitig einen religionsphilosophischen Beitrag für die Verteidigung der althergebrachten Traditionen gegen neuere liberale Tendenzen im Judentum. Trotzdem beinhaltet sein Bericht viele interessante Details über die Situation in Bonn während der Hochwassertage vom 25. bis 27. Februar 1784. So beschreibt er z.B. sehr lebendig Rettungsmaßnahmen und die gegenseitige Hilfe von Christen und Juden. Eine Übersetzung des Textes ist in Bearbeitung.
Das Jahrtausendhochwasser 1784
Das sogenannte „Jahrtausendhochwasser“, von dem Aaron Simeon ben Jakob Abraham berichtet, war ein verheerendes und einmaliges Ereignis, verursacht durch extrem wechselhafte Temperaturen im Winter. Über einen Kilometer vom Rheinufer entfernt hat der Wasserbauinspektor Velten im Jahre 1925 die damalige Grenzlinie des Wasserstandes dokumentiert. Das Wetter zu jener Zeit war außergewöhnlich, und der vorangegangene Sommer 1783 war sehr heiß und trocken.
Durch große Temperaturunterschiede im Winter desselben Jahres standen manche Dörfer und Städte bereits Anfang bis Mitte Dezember unter Wasser. Sie waren daher nur mit einem Kahn zu erreichen. Auf der zunächst geschlossenen Eisdecke wurden Feste gefeiert und Marktstände aufgebaut. Manche übten ihr Handwerk darauf aus, wie die Fassbinder und Schuster etwa, und verkauften ihre so geschaffenen Schuhe und Fässer als lustige Besonderheit.
Im Januar fror der Rhein zu, taute wieder auf und gefror von neuem. Dadurch stauten sich riesige Eisplattenberge an, an denen das Wasser vorbei zu kommen versuchte. In Beuel blieben keine Häuser stehen, alles wurde zerstört. Auf einer Höhe von über 13 bis 14 Metern bewegte sich der Rhein, überflutete viele Dörfer, Felder und Städte und brachte schließlich auch einigen Menschen den Tod.
Das Jahrhunderthochwasser 1882/83
Etwa 100 Jahre später zur gleichen Zeit im Winter fand erneut ein großes Hochwasser statt. Zwischendurch gab es immer wieder kleinere Überschwemmungen. Aber dieses war ein weiteres Hochwasser mit schwerwiegenden Folgen für die Menschen, die hier lebten. Große Niederschläge, gefolgt von eisiger Kälte mit darauffolgendem Tauwetter, führten zu dieser Katastrophe, die über das Rheinland und Bonn hereinbrach. Die letzten sieben Monate des Jahres 1882 gab es einen großen Niederschlag.
Durch die größeren Nebenflüsse, den Main und die Mosel, erhielt der Rhein zusätzliche Kraft. Binnen eines Monats (vom 11. November 1882 bis 9. Dezember 1882) stieg der Wasserpegel um vier Meter auf ca. 9,20 Meter an. Bis Ende des Monats fiel er wieder um drei Meter. Essensvorräte für den Winter versanken in den Fluten und verdarben in den Kellern und den Erdgeschossen der Häuser.
Kurzzeitig hatte man geglaubt, man hätte das Hochwasser ganz gut überstanden, weil der Pegel sank und auch die Nebenflüsse sich langsam zurückgezogen hatten. Doch bereits Ende Dezember stieg der Pegelstand wieder auf ca. 8,50 Meter an. Beuel stand ein weiteres Mal komplett unter Wasser. Anfang 1883 zog sich der Rhein endgültig zurück. Man begann mit den Wiederaufbaumaßnahmen und stellte die entstandenen Schäden fest.
Das Doppelhochwasser 1993/94
210 Jahre nach dem Jahrtausendhochwasser und 110 Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser ereignete sich im Rheinland ein weiteres Hochwasser von größerem Ausmaß. 1993 gab es große Mengen an Niederschlägen über Europa. Über das Doppelte des Mittelwertes an Niederschlag wurde für den Monat Dezember gemessen. Der Boden versiegelte sich durch diese hohen Niederschlagswerte und nahm kein Wasser mehr auf.
Am 20. Dezember war noch nicht mit einem Hochwasser zu rechnen, aber am darauffolgenden Tag stieg der Pegel auf 6,80 Meter an. Am 22. Dezember 1993 zeigte der Bonner Pegel bereits 9,17 Meter und einen Tag später war er wieder um einen Meter gestiegen. Bis Ende Dezember zog sich der erste Teil dieses Hochwassers hin. Man baute Wasserstege ab und das Technische Hilfswerk, das den betroffenen Gebieten während dieser Zeit um Weihnachten half, konnte seinen Dienst vorläufig einstellen.
10,13 Meter betrug der endgültige Höchststand des Rheins in Bonn - nur zwei Mal in den letzten zwei Jahrhunderten kam dies vor. Am 7. und 8. Januar stieg der Pegel wieder an, dieses Mal allerdings blieb er glücklicherweise bei 8,18 Meter stehen.
Weitere Informationen zum Thema Hochwasser:
Aaron Simeon ben Jacob Abraham: Sefer Bekhi neharot. 1784. (Signatur: 2008/52).
Schmitz, Gerhard: Hochwasser in Beuel und Bonn von 1784 bis 1995. 1995 (Studien zur Heimatgeschichte des Stadtbezirks Bonn-Beuel ; 30). (Signatur: II d 1404 -30-).
Das Rheinhochwasser von 1882/83 – Rekonstruktion einer Naturkatastrophe.
Seminararbeit zur Übung im Grundstudium A. Seminar für Historische Geographie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Vorgelegt von Hans A. Böhm, 1999. (Signatur: 99/110).
Das Hochwasser 1993/94 im Rheingebiet. Bundesanstalt für Gewässerkunde. (Signatur: 95/6).
Graw, Martina: Hochwasser - Naturereignis oder Menschenwerk? Hrsg.: Vereinigung Deutscher Gewässerschutz e.V.. - 2. Aufl. 2003. (Schriftenreihe der Vereinigung Deutscher Gewässerschutz ; 66).