Ein bisschen französisch
Neandertaler, römisches Legionslager, mittelalterliches und frühneuzeitliches Cassiusstift und Münsterbasilika, kurfürstliche Residenz, königliche Universitätsstadt, demokratisches Zentrum der Bundesrepublik, UN-City – Bonns Weg durch die Jahrhunderte und Jahrtausende ist ein spannendes Buch. Beethovens Geburtsort, Napoleons Stadt, Preußens Gloria, Adenauers Wirkungsstätte. Umkämpft, geplündert, gebrandschatzt, zerbombt, wiederauferstanden. Fürstlicher Glanz und schwere Schicksalsschläge. Ereignisse, die bewegen und bewegten. Farbige Episoden und harte Fakten. Kurzum: Eine Stadt voller Geschichte und Geschichten.
Ohne Zweifel zählt Bonn zu den traditionsreichsten Städten am Rhein. Und die wechselvolle Vergangenheit hat die Menschen hier geprägt. Bonner*innen sind überzeugte Rheinländer, mit ein bisschen französischem Einschlag, aufgeschlossen für Neues, weltoffen. Sie mögen es gerne fröhlich-heiter. „Bonna solum felix“ hieß es schon im 16. Jahrhundert, „Bonn, Du glücklicher Boden.“
Die ersten Schriftquellen
Römischen Schriftstellern verdankt Bonn seine Erwähnungen vor nunmehr 2.000 Jahren. Zwischen 13 und 9 vor Christus (genauer lässt es sich leider nicht datieren), so hält der römische Geschichtsschreiber Florus fest, lässt der Feldherr Drusus, ein Stiefsohn des Kaisers Augustus, zwischen „Bonna“ links und „Gesonia“ rechts des Rheins eine Brücke über den Fluss schlagen. Der berühmte Publius Cornelius Tacitus berichtet 69 nach Christus in seiner Darstellung der Thronwirren nach dem Tode von Kaiser Nero dann von der Legionsfestung „Castra Bonnensia“.
Bonn war, das dürfen wir den Grabungen der Archäologen entnehmen, eine in der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts von den Ubiern angelegte Siedlung auf einem vor Hochwasser einigermaßen sicheren Gelände zwischen zwei Rheinarmen.
Menschen haben sich im Bonner Raum allerdings schon sehr viel früher aufgehalten. Dies beweisen Siedlungsspuren, die bis zu 70.000 Jahre alt sind und im Marienforster Tal in Bad Godesberg gefunden wurden: Handwerkzeuge, die dem Typus des Neandertalers zugerechnet werden.
Besonders bedeutend ist der Fund von Skelett-Teilen eines etwa 13.000 Jahre alten Menschenpaares im heutigen Stadtteil Oberkassel. Mit ihm begraben wurde ein Hund, er gilt heute als einer der ältesten Nachweise eines Haustieres. Vor gut 6.000 Jahren legen erste Bewohner eine befestigte Siedlung unweit der „Casselsruhe“ auf dem Venusberg an.
Der Name Bonn geht wohl auf uraltes keltisches Sprachgut zurück. Was er bedeutet, wissen wir nicht.
400 Jahre unter Römern
Umso mehr wissen wir aber von den Römern, die um 11 vor Christus ihr erstes Kastell in Bonn errichteten. Von ihnen reden die Steine, vor allem die Grab- und Weihesteine. So kennen wir gut 200 Soldaten der Bonner Legion Flavia Minervia mit Namen. Diese Legion trug den ehrenvollen Beinamen „pia fidelis“, die fromme und treue, weil sie sich von einer Verschwörung gegen Kaiser Domitian ferngehalten hatte. Am Rande des ständig wachsenden Militärlagers entsteht bald eine Handwerkersiedlung („canabae legionis“), die sich vor allem entlang der heutigen Adenauerallee bis zur Gronau (Nordende des Rheinauenparks) ausdehnt. Der Matronenkult, die Verehrung der so genannten aufanischen Muttergottheiten, blüht auf und hinterlässt „Matronensteine“.
Im Bereich des früheren Regierungsviertels wurden weitere Spuren römischer Besiedlung gefunden, darunter Wohn- und Geschäftshäuser, eine Tempelanlage sowie ein noch nicht identifizierter Repräsentationsbau. Um 450 geben die Römer ihre Garnison am Rhein auf. Reste der Anlagen werden immer wieder im Bonner Norden gefunden und kartiert.
Restitutus, der Bärenfänger
Unter den Bonner Legionären treffen wir etwa Tarquitius Restitutus, den Bärenfänger. In sechs Monaten hatte er in der Eifel 50 Bären erlegt oder für Kampfspiele eingefangen.
Wohlbekannt ist auch jener Legionskommandeur Q. Venidius Rufus, der am Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts auf das heilsame Godesberger Wasser schwor: Er ließ dem göttlichen Paar Aesculap und Hygieia in der Nähe der Quelle einen Weihestein errichten, der dann im Mittelalter beim Bau der Godesburg Verwendung fand.
Die Stadtpatrone
Cassius und Florentius, die Blutzeugen
Ein Urnengrab aus dem 1. Jahrhindert nach Christus deutet darauf hin, dass sich bereits zu dieser Zeit an der Stelle der Münsterbasilika eine Begräbnisstätte befindet. Um 300 nach Christus entsteht eine „cella memoriae“, ein Platz innerhalb eines Gräberfeldes (Nekropole), auf dessen u-förmiger steinerner Bank man sich zum Totenmahl versammelt.
Hier, so wird vermutet, gedenken später frühe Christen auch jener römischen Legionäre Cassius und Florentius, die sich geweigert hatten, heidnischen Göttern zu huldigen und deshalb hingerichtet wurden. Legende ist, dass die beiden Märtyrer zu einer aus Ägyptern rekrutierten „Thebäischen Legion“ gehörten, deren 6.000 Soldaten sämtlich wegen ihres christlichen Bekenntnisses den Opfertod erlitten haben sollen. „Derart drakonische Kollektivstrafen“, so resümiert Stefan Bodemann im Führer „Das Bonner Münster“ neueste Forschungen, wurden „am Ende des 3. Jahrhunderts nicht mehr verhängt“. Cassius und Florentius werden später (1643) Bonner Stadtpatrone.
Die Gruft unter der Münsterkrypta mit den (legendären) Gebeinen der Märtyrer wird einmal im Jahr zum Fest der Stadtpatrone (10. Oktober) eine Woche lang geöffnet.
Barocke Reliquienbüsten der beiden Heiligen stehen heute im Hochchor des Münsters.
Stadtpatronin Adelheid von Vilich
Die Äbtissin Adelheid von Vilich (um 960 bis 1015) ist eine herausragende Frauengestalt der mittelalterlichen Bonner Glaubens- und Kirchengeschichte, deren Andenken in einer über 1000-jährigen Verehrung bewahrt wurde. 1966 wurde sie von Papst Paul VI. heilig gesprochen, 2008 stimmte der Vatikan zu, sie zur Bonner Stadtpatronin zu erheben.
Ausgestattet mit herausragenden geistigen und geistlichen Gaben, interessierte sie sich als junge Klosterfrau für die Fächer Philosophie, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik, später auch für die Theologie. Als Äbtissin zweier benediktisch geprägter Klöster in Vilich und in Köln konnte sie ihre organisatorischen, gestalterischen und Führungs-Fähigkeiten unter Beweis stellen und war eine Wohltäterin für die Armen und Notleidenden im Rheinland.
Die Überlieferung berichtet, wie sie zur Zeit einer furchtbaren Dürre das Dorf Vilich besuchte und ihre Gaben an die hungernden Menschen austeilte. Weil die Leute sie anflehten, sie von dem Unglück zu befreien, schickte sie Stoßgebete zum Himmel, und stieß ihren Äbtissinnen-Stab in die Erde, woraufhin an dieser Stelle Wasser aus dem Boden sprudelte. Der Ort, an dem dieses Wunder geschehen sein soll, ist heute als Adelheidisquelle in Pützchen gefasst. Von dem Wasser des Quells versprechen sich die Gläubigen bis heute Heilung.
Völlige Dunkelheit herrscht über den Verbleib der Gebeine und die Reliquien. Um 1640 erhielt der Historiker Johannes Bollandus die Auskunft, dass die ursprünglich in Vilich bestatteten Gebeine vor einigen hundert Jahren nach Gallien verbracht worden seien. Fehlender Inhalt war später auch die Feststellung nach der Öffnung des Sarkophages.
Im Liturgischen Kalender ist der 5. Februar als Festtag der heiligen Adelheid eingetragen. Nach altem Brauch entzündet an diesem Tag das Bonner Stadtoberhaupt in der Vilicher Stiftskirche eine Kerze zu Ehren der Bonner Stadtpatronin.
Grenzpaket auf dem Rhein
Die Römer gehen, die Franken kommen. Sie siedeln sich zunächst auch im alten Legionslager an und nennen es „Bonnburg“. Vor den Toren der Bonnburg gibt es in den folgenden Jahrhunderten einiges zu sehen. 753 geht König Pippin über den Rhein zu seinem Sachsenfeldzug. 921 trifft sich König Heinrich I. mit Karl III., den man den Einfältigen schimpft: Auf einem Schiff, das mitten im Rhein verankert ist, legen die beiden Herrscher die Grenzen des Ost- und Westfrankenreiches fest. In der Bonnburg ist auch eine königliche Münzstätte angesiedelt.
Um das Münster wächst die Stadt
Über den vermuteten Gräbern von Cassius und Florentius wird im 6. Jh. ein Saalbau errichtet, ihm folgt um 780 eine erste Kirche, dann um 1050 ein Neubau, aus dem der geniale Bonner Probst Gerhard von Are (gest. 1169) ab 1140 die Basilika mit dem herrlichen Kreuzgang in ihrer jetzigen Form entwickeln lässt. Zu ihr gehören auch die Gebäude des Cassiusstiftes, das unter Leitung Gerhards (Stammsitz Burg Are in Altenahr) zu einem bedeutenden Machtfaktor im Rheinland wird. Münster und Cassiusstift sind der Kern, um den nun die Stadt wächst, während das römische Erbe im Norden Bonns nach und nach verfällt.
Im Rechtsrheinischen spielt das Stift Vilich ab etwa dem ausgehenden 10. Jahrhundert eine wichtige Rolle. Bedeutend sind auch eine Reihe von Klöstern, die im Laufe der Jahrhunderte in und um Bonn entstehen, etwa auf dem Kreuzberg, im Marienforster Tal, in Schwarzrheindorf oder in Heisterbach im Siebengebirge.
Freobaldus, der Reiche
Geld verdient wird im „vicus bonnensis“, einer Händler- und Handwerkersiedlung im Zuge der heutigen Remigiusstraße, die sich nahe beim Cassiusstift kräftig entwickelt. Im „vicus“ sammelt sich eine bunte Gesellschaft von Fernhändlern, behaftet mit einem Hauch von Abenteuer. Einen von ihnen kennen wir. Er hieß Freobaldus, war wohl
Angelsachse und hat große Reichtümer verdient. So wenigstens berichtet uns Abt Markward von Prüm in einer Schriftquelle.
Mit Eifer beim Mauerbau
Die Bonner haben in der Folgezeit manches zu erleben und zu überstehen. 1198 steckt König Philipp von Schwaben Bonn in Brand. 1210 beginnt Erzbischof Dietrich I. (1208-16) mit dem Bau der Godesburg. 1239 kommt Herzog Heinrich von Brabant mit Feuer und Schwert. Die Einwohner sind froh, als 1244 Erzbischof Konrad von Hochstaden (1238-61) ihnen gestattet und befiehlt, die bisher ungeschützte Siedlung mit einer Stadtmauer zu befestigen. Die Bonner sollen „glühend vor Eifer“ Gräben und Mauern errichtet haben, wie ein Kölner Chronist berichtet.
Den Mauerbau veranlasst der Erzbischof nicht uneigennützig. Konrad von Hochstaden, ein keineswegs sanftmütiger Herr, war nämlich mit dem Patriziat seiner Domstadt Köln in Streit geraten. Die Geschichtsschreiber berichten, er sei bei Nacht und Nebel von Köln weggeritten und nie mehr wiedergekehrt. Er und seine Nachfolger halten nun häufig Hof zu Bonn, prägen hier ihre Münzen mit der Aufschrift: „Du seliges Verona wirst siegen“.
Verona ist ein zweiter für Bonn überlieferter Name. 1284 wird bereits die Existenz eines Stadtarchivs erwähnt. 1286 erhält Bonn das Privileg, sich einen bürgerlichen Rat von zwölf „Schöffen“ zu wählen, womit die rechtliche Stadtwerdung ihren Abschluss findet.
„Dit geschah zu Bunne“
Wenn die Kölner Erzbischöfe, die als Kurfürsten zu den vornehmsten und mächtigsten Männern im Deutschen Reich zählen, hier Urkunden ausfertigen, schreiben sie: „Dit geschah zu Bunne“. Neben der Bonner Residenz zählt gerade auch die Godesburg zu den am meisten geschätzten Aufenthaltsorten der Kölner Kurfürsten und Erzbischöfe, die in der selbstbewussten Bürgerschaft der Domstadt immer weniger Rückhalt finden. So wird 1274 Siegfried von Westerburg bereits im Bonner Münster und nicht im Kölner Dom zum Erzbischof (bis 1297) gewählt.
Zwei Könige im Münster gekrönt
Im 14. Jahrhundert tritt das Bonner Münster zweimal in die deutsche Geschichte. 1314 krönt Erzbischof Heinrich von Virneburg Friedrich von Österreich („der Schöne“) zum deutschen König, 1346 trägt Karl IV. am gleichen Ort zum ersten Mal die Krone, die ihm Erzbischof Walram von Jülich aufsetzt.
Pulvermine zerstört Godesburg
1525 wird die erzbischöfliche Kanzlei von Brühl nach Bonn verlegt. Immer häufiger halten sich auch die Kurfürsten selbst in der Stadt auf. Das hat Folgen: Der Truchsessische oder auch Kölnische Krieg (1583-88) bringt den Bonnern wieder ungebetene Soldateska. Bayerische Truppen belagern die Residenzstadt des Kurfürsten Gebhard Truchseß von Waldburg (1577-84) und jagen am 17. Dezember 1583 mit 1.500 Pfund Pulver die Godesburg in die Luft. Über die Latrine, so wird überliefert, haben sie sich Zugang zur Burg verschafft. Auch die kurfürstliche Burg Poppelsdorf wird zur Ruine. Dreimal wechselt Bonn den Besitzer, dreimal wird die Stadt geplündert. Schließlich gibt der zum evangelischen Glauben übergetretene Gebhard auf.
Krieg um eine Liebelei
Schuld am Ausbruch des Krieges ist eine Liebelei des Kurfürsten Gebhard Truchseß von Waldburg mit der Stiftsdame Agnes von Mansfeld. Der Zauberer Hieronimo Scotto soll dem Kurfürsten die schöne Frau im Spiegel gezeigt haben. Ob er sie wirklich heiraten wollte, sei dahingestellt. Jedenfalls müssen die Brüder der Mansfelderin ihn ernstlich dazu ermahnen. Den mit einer Heirat wegen des Zölibats verbundenen Verzicht auf das geistliche Kurfürstentum Köln will Gebhard jedoch nicht hinnehmen. Lieber mag er um sein Territorium kämpfen. Am 19. Dezember 1582 erklärt Gebhard seinen Übertritt zum Protestantismus, am 2. Februar 1583 heiratet er Gräfin Agnes im Haus „Zum Rosenthal“ in der Acherstraße, und am folgenden Tag findet ein hastiges Hochzeitsmahl im Gasthaus „Zur Blomen“, heute „Em Höttche“, am Markt statt. Das Hochzeitspaar verlässt die Stadt, der Krieg bricht aus.
Erst Festung, dann Barock
Mit Ernst von Bayern beginnt die Folge der Kurfürsten aus dem Hause Wittelsbach, die nun auch offiziell in Bonn Hof halten. Der Tüchtigste unter ihnen ist, so scheint es, Ferdinand (1612-50). Er bringt die Stadt ohne größeren Schaden durch den Dreißigjährigen Krieg. Aber das Jahr 1689 wird zum Schreckensjahr. Fast drei Monate belagern und beschießen brandenburgische, münsterische und niederländische Soldaten die Hauptstadt des Kurstaates, dessen Koadjutor Egon von Fürstenberg sich im pfälzischen Erbfolgekrieg mit Frankreich unter Ludwig XIV. gegen Kaiser Leopold I. verbündet hat. Am Ende ist die gesamte Stadt praktisch zerstört, es herrschen Chaos und Elend. Von Fürstenberg muss die Regentschaft an den rechtmäßigen Nachfolger Joseph Clemens (1688-1723) von Bayern übergeben.
Joseph Clemens und seine Nachfolger rüsten die Stadt zur Barockresidenz auf, mit Prachtbauten wie Stadtschloss, Poppelsdorfer Schloss, Rathaus, Kreuzbergkirche mit Heiliger Stiege. Der beliebteste Kurfürst ist Clemens August (1723-61), ein ebenso charmanter wie leichtsinniger Herr, der prunkvoll baut, allzu gerne prasst und sich letzten Endes zu Tode tanzt. Er leistet sich den glänzendsten Hof im deutschen Westen und sieht viele berühmte Gäste. Den Wittelsbachern folgen Max Friedrich aus dem Hause Königsegg-Rothenfels (1761-84) und Max Franz von Habsburg-Lothringen (1784-94), ein Sohn der Kaiserin Maria Theresia. Der erhebt die von seinem Vorgänger gestiftete Max’sche Akademie zur ersten Bonner Universität und macht Godesberg zum Bad. Die Redoute ist sein bedeutendstes bauliches Erbe.
Der berühmteste Bonner
Am 17. Dezember 1770 lassen der kurfürstliche Musiker Johann van Beethoven und seine Frau Maria Magdalena in der St. Remigiuskirche ihren Sohn auf den Namen Ludwig taufen. Vermutlich einen Tag vorher (genau wissen wir das Datum nicht) wird Ludwig im Hinterhaus von Bonngasse 20 geboren. Mit Sieben hat er seinen ersten öffentlichen Auftritt am Klavier, mit Vierzehn wird er fest angestellter Organist am Hof des Kurfürsten Max Franz. 1792 zieht Beethoven an den Hof in Wien. Max Franz, der Habsburger, hat ihm den Weg dorthin geebnet, leider, sagen die Bonner.
Das Geburtshaus des Genius ist heute Museum, sein Denkmal schmückt den Münsterplatz.
Französisches Zwischenspiel
Die Königin Marie Antoinette stirbt in der Französischen Revolution auf dem Schafott. Ihren Bruder Max Franz vertreiben die Truppen eben derselben Revolution 1794 aus Bonn und aus seinem Kurfürstentum. Sie errichten auf dem Markt den „Freiheitsbaum“, schließen die Universität und lehren die Bonner Bürger das erste Papiergeld, die Assignaten, kennen. Vor allem jedoch bringen sie ihnen Gleichheit vor dem Gesetz, Religions- und Gewerbefreiheit. Bonn wird wie das ganze linke Rheinufer Französisch, übernimmt - nicht zu seinem Schaden - den Code civil (Code Napoleon), das fortschrittliche Zivilrecht der Eroberer, das im Rheinland erst 1900 durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) des Deutschen Reichs abgelöst wird.
Napoleon stürzt vom Pferd
1804 kommt Napoleon zum ersten Mal nach Bonn, logiert im Belderbuscher Hof, dort wo heute die Oper steht, und hat große Eile, die Mauern und Tore der Stadt in Augenschein zu nehmen, ob sie sich wohl zu neuer Befestigung eigneten. Er reitet zum Kreuzberg und dann in scharfem Trab um die Stadt. In der steil zum Rhein abfallenden Vogtsgasse ereilt ihn ein böses Missgeschick: Sein Schimmel strauchelt auf dem Kopfsteinpflaster und der Kaiser stürzt vornüber. Hätte nicht einer der Generäle mit schneller Hand zugegriffen, wäre ein Unglück geschehen. Kaum wieder im Sattel, wendet sich Napoleon, noch bleich, an den Retter: „Kann Bonn Festung werden?“ Der General kannte den Aberglauben des Korsen und antwortet: „Nein, Sire, es scheint nicht ratsam.“ 1811 ist Napoleon wieder in der Stadt und nimmt auf der Poppelsdorfer Allee eine Truppenparade ab.
Unter preußischer Herrschaft
Der Wiener Kongress schlägt das Rheinland zu Preußen, wobei England die Hand im Spiel hat, das die Franzosen durch einen starken Nachbarn im Zaum halten will. Die Rheinländer sind weniger begeistert. Der Kölner Bankier Abraham Schaaffhausen drückt ihre Gefühle mit den Worten aus: „Jesses, Maria, do hierode mer äwer en en ärm Familich.“ („Jesus, Maria, da heiraten wir aber in eine arme Familie.“) Gleichwohl: Die (evangelischen) Preußen überführen Bonn und das gesamte (katholische) Rheinland in eine mittlerweile aufgeklärte neue Zeit. Wiederbegründung der Universität, Ansiedlung des „Königlichen Museums vaterländischer Alterthümer“ (heute: Rheinisches Landesmuseum) und des Oberbergamtes, Anschluss an das Eisenbahnnetz, dazu Tugenden wie Disziplin und Sparsamkeit - die Preußen bringen nicht nur Schlechtes.
Der Leutnant und die Maus
Mit rheinischem Spott wehren sich die Bonner gegen allzu Preußisches. Von 1822 stammt die folgende Anekdote: Das Jahr hatte eine gute Weinernte und eine große Mäuseplage gebracht. Als die jährliche Prozession von St. Remigius in der Brüdergasse nach Kevelaer geht, stehen einige der Honoratioren am Fenster des Hotels „Zum Goldenen Stern“ am Markt und sehen dem Auszug der Pilger zu. Da kommt ein junger preußischer Leutnant herein und ruft:
„Seht euch dieses abergläubische Volk an. Sie tragen eine silberne Maus nach Kevelaer und glauben, damit die Plage loszuwerden.“ Ein älterer Bonner klopft ihm auf die Schulter und sagt bedächtig: „Leven Här Leutnant, wenn me dat glööven däte, hätte me at längs ne joldene Preuß no Kevelaer jebraat.“ („Lieber Herr Leutnant, wenn wir das glauben würden, hätten wir schon längst einen goldenen Preuß nach Kevelaer gebracht.“)
Von Argelander bis Welcker
Besonders dankbar ist man für die Gründung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität im Jahre 1818. Die Preußen sehen darin eine Art Ausgleichsleistung für den Verlust der Bonner Hauptstadtwürden. Schnell wird die Hochschule zu einer der bedeutendsten im Lande.
Berühmte Professoren lehren hier im 19. Jahrhundert, darunter:
- Friedrich Wilhelm August Argelander (1799-1875), Astronom, Sternenkatalog „Bonner Durchmusterung“
- Ernst Moritz Arndt (1769-1869), Historiker, Schriftsteller, Freiheitskämpfer, Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49
- Moritz August von Bethmann-Hollweg (1795-1877), Jurist, später preußischer Kultusminister
- Friedrich Christoph Dahlmann (1785-1860), Historiker und Staatsmann, Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49
- Georg August Goldfuß (1782-1848), Paläontologe und Zoologe
- Barthold Georg Niebuhr (1776-1831), Althistoriker
- Johann Jakob Noeggerath (1788-1877), Geologe und Mineraloge
- Julius Plücker (1801-68), Mathematiker und Physiker
- August Wilhelm Schlegel (1767-1845), Literaturhistoriker und Indologe
- Friedrich Gottlieb Welcker (1784-1868), klassischer Philologe, baut die Uni-Bibliothek auf
Schlegel und die Kerzen
August Wilhelm von Schlegel pflegt seine Vorlesungen mit Feierlichkeit einzuleiten. Zuerst erscheint sein Diener, stellt auf dem Pult Kerzen auf, daneben ein Glas Zuckerwasser, verschwindet, kehrt mit der Mappe des Gelehrten wieder und zündet die Lichter an. Nach wirkungsvoller Pause beginnt dann die Vorlesung.
Eines Tages findet Schlegel den Hörsaal noch leer nach dieser Zeremonie. Dann sieht er mit Erstaunen Dienstmänner eintreten, die ihrerseits auf den Plätzen der Studenten je eine Kerze entzünden und die Kolleghefte niederlegen. Der letzte hält die Tür ehrerbietig auf, und nun kommen die Herren Studenten. Eisiges Schweigen. Schlegel zieht die Augenbrauen bis zur Perücke hoch - und beginnt mit scharfem Stakkato seine Vorlesung. Kronzeuge dieser Geschichte ist Heinrich Heine, damals Bonner Student.
Das erste Beethovenfest
Die Enthüllungsfeier des Beethoven-Denkmals auf dem Münsterplatz wird 1845 gemeinsam mit einem ersten Beethovenfest vom Komponisten Franz Liszt organisiert. Die Zeremonie geht nicht ohne Peinlichkeit ab: Der bronzene Beethoven kehrt den höchsten Gästen, König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und Englands Königin Victoria, die auf dem Balkon des Fürstenbergischen Palais, der heutigen Hauptpost, Platz genommen haben, den Rücken. Alexander von Humboldt rettet die Situation mit dem Hinweis, Beethoven sei lebenslang ein grober Kerl gewesen. Obendrein brüskiert Liszt beim Toast zum Festessen im „Goldenen Stern“ die anwesenden Franzosen mit Berlioz an der Spitze verbal, so dass es zu Tumulten kommt. Auch die spanische Tänzerin Lola Montez, die berühmt-berüchtigte Geliebte König Ludwigs I. von Bayern, der später ihretwegen abdanken muss, gibt an diesem Tag eine skandalumwitterte Gastrolle, als sie wild über die Tische wirbelt.
Robert Schumann, der begnadete Pianist und Komponist, kommt 1854 mit schwerer Krankheit nach Bonn, wo er zwei Jahre später in der damaligen „Heilanstalt“ in Endenich stirbt. Er wird - wie später seine Frau Clara - auf dem Alten Friedhof beerdigt.
Nikolaus Simrock und sein Sohn Karl schreiben als Verleger Geschichte. Nikolaus gründet 1794 seinen berühmten Musikverlag. Mit Karl Simrock sind die Übersetzung des Nibelungenliedes und die Herausgabe und Übertragung der Gedichte von Walther von der Vogelweide eng verbunden. Und seine Deutschen Volksbücher schaffen zwischen 1839 und 1867 sagenhafte 55 Auflagen.
Stolz auf Prinzen und Husaren
Das 19. Jahrhundert verläuft in Bonn friedlich. Die Stadt hat ihren „demokratischen Augenblick“, als Gottfried Kinkel 1848 auf der Freitreppe des Rathauses die schwarzrot- goldene Fahne schwingt und sieben Professoren der Alma Mater Bonnensis in das Frankfurter Paulskirchen- Parlament einziehen. Die Bürgerinnen und Bürger söhnen sich mit der preußischen Herrschaft aus, sind stolz auf ihre Königshusaren und auf die Berliner Prinzen, die hier am Rhein studieren. Godesberg wird zu einem viel besuchten Kur- und Badeort ausgebaut. Der Rheintourismus, von den Engländern entdeckt und romantisch verklärt, steht in hoher Blüte. Fahrten mit dem Dampfschiff zählen zu den großen Vergnügen.
Industrie und Gewerbe wachsen seit Beginn der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts auch in Bonn. Einige Branchen und Namen: Keramik (Wessel, Mehlem), Büroartikel (Soennecken), Chemie (Marquardt), Spinnerei (Jute), Tapeten (Strauven), Bonner Universitätsbuchdruckerei, Bonner Fahnenfabrik, Bonner Zeitungsdruckerei Neusser (General-Anzeiger). Zahlreiche begüterte Familien wohnen nun in Bonn und Godesberg. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Bonn die viertreichste Stadt in Preußen, um 1910 werden 200 Millionäre gezählt.
Die Quittung für die Beueler...
Ein herausragendes Ereignis ist der Bau der ersten Rheinbrücke, die 1898 eingeweiht wird. Die Beueler haben, verärgert, weil der Brückenschlag ihre Werft nicht berücksichtigte, keinen Pfennig zu dem Bauwerk gegeben. So zahlen die Bonner zähneknirschend allein die damals größte Bogenbrücke der Welt. Den Beuelern aber streckt zur Strafe ein „Bröckemännche“ am Ostpfeiler das blanke Hinterteil zu. Die Figur geht mit der Brücke im Zweiten Weltkrieg in den Fluten unter, wird geborgen, aber inzwischen durch eine Kopie ersetzt - ihre „Schlotterbotz“ zeigt nun aber rheinaufwärts in Richtung Frankfurt, das Bonn 1949 beim Kampf um die Würde der Bundeshauptstadt unterliegt.
Separatisten und Autobahn
Erster Weltkrieg 1914-18, Inflation und Weltwirtschaftskrise hinterlassen auch in Bonn tiefe Spuren. Vorbei der Aufschwung, Arbeitslosigkeit, Lebensmittelknappheit drücken. 1920 lösen Franzosen die britische Besatzung ab, bleiben bis 1926. Separatisten versuchen unter der Protektion Frankreichs, das Rheinland vom Deutschen Reich zu lösen, besetzen am 23. Oktober 1923 das Bonner Rathaus. Es kommt Mitte November zur „Separatistenschlacht im Siebengebirge“, dann ist der Spuk vorbei. Und im Mai 1926 feiert Bonn demonstrativ 1000 Jahre Zugehörigkeit der Rheinlande zum Deutschen Reich. Im August 1932 wird Deutschlands erste Autobahn zwischen Bonn und Köln eröffnet.
Bilanz des Schreckens
1933 übernehmen auch in Bonn die Nazis das Regime. Das dunkelste Kapitel Stadtgeschichte beginnt. Bücherverbrennung, Gleichschaltung, Pogromnacht, Deportationen. Bombennächte, am 18. Oktober 1944 der schwerste Angriff, über 300 Tote. Insgesamt 1.904 zivile Todesopfer und 3.662 Kriegsbeschädigte, 4.020 Gefallene, 3.686 Vermisste, das ist die furchtbare Bonner Bilanz. 1.150 Männer und Frauen aus Bonn, davon etwa 770 jüdischer Abstammung und 50 Sinti, wurden von den Nazis ermordet.
Ein Drittel von Bonn ist zerstört, Beuel und Bad Godesberg sind nicht so stark betroffen. Rathaus, Münster, Universität, Poppelsdorfer Schloss, Klinikum, Beethovenhalle, die gesamte Altstadt nur noch Ruinen. 2.647 Wohnhäuser sind total dem Erdboden gleichgemacht, 10.414 sind beschädigt, zum Teil schwer. 700.000 Kubikmeter Schutt hinterlässt der Krieg. Die Überlebenden krempeln die Ärmel hoch, machen sich an den Wiederaufbau. Trümmerbahnen, Hungersnot und Schwarzmarkt prägen die ersten Nachkriegsjahre unter zunächst amerikanischer, dann britischer Besatzung.
Bonn wird Bundeshauptstadt
Dennoch sagen die Stadtväter sofort Ja, als sie am 5. Juli 1948 gefragt werden, ob sie den Parlamentarischen Rat in Bonn unterbringen können. Das Gremium soll ein Grundgesetz für einen neuen deutschen Staat entwerfen. Die Eröffnungssitzung findet am 1. September im Museum Koenig statt, beraten wird in der schnell dafür hergerichteten Pädagogischen Akademie, dem späteren Bundeshaus. Den Vorsitz führt Konrad Adenauer, der von den Nazis abgesetzte Kölner Oberbürgermeister, der nun in Rhöndorf im Siebengebirge wohnt und später erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland und Bonner Abgeordneter wird. Am 23. Mai 1949 unterzeichnet Adenauer das Grundgesetz.
Am 3. November 1949 bestätigt der Deutsche Bundestag das Votum des Parlamentarischen Rates, Bonn zur vorläufigen Bundeshauptstadt zu machen. Mitbewerber Frankfurt unterliegt knapp. Das Bundeshaus wird Sitz von Bundestag und Bundesrat, der erste Bundespräsident Theodor Heuss zieht in die Villa Hammerschmidt, der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer in das Palais Schaumburg.
Fünf Jahrzehnte lang erweist sich die Stadt als oft gelobter Gastgeber von Parlament und Regierung eines Landes, das in dieser Zeit zu einer der führenden Wirtschaftsmächte der Welt wird. Als Bundeshauptstadt erlebt Bonn spannende Jahre. Besuche nahezu aller gekrönten Häupter und Staatsmänner der Welt bringen viel Glanz in die Stadt. Nach Jahren des Provisoriums setzt unter Kanzler Willy Brandt in den 1970er Jahren eine rege Bautätigkeit des Bundes ein.
Umzug nach Berlin
Nach dem Fall der Mauer 1989 beschließt der Bundestag am 20. Juni 1991 mit der knappen Mehrheit von 337 zu 320 Stimmen seinen Umzug an die Spree. Parlament und Teile der Regierung nehmen 1999 ihre Arbeit in Berlin auf. Bonn ist entsprechend dem Berlin-Bonn-Gesetz von 1994 zweites politisches Zentrum der Bundesrepublik („Bundesstadt“). Sechs der 15 Ministerien bleiben am Rhein. Bundespräsident und Bundeskanzler haben hier zweite Dienstsitze. Mehr als 20 Bundesbehörden, darunter das Bundeskartellamt und der Bundesrechnungshof, ziehen von Berlin und Frankfurt nach Bonn um, zahlreiche internationale Organisationen siedeln sich an, Bonn wird deutsche UNO-Stadt. Das ehemalige Abgeordnetenhochhaus „Langer Eugen“ und einige Nachbargebäude wurden zum UN-Campus umgestaltet, in dem inzwischen 19 Einrichtungen (2010) der Vereinten Nationen ihren Sitz haben; davon ist das Welt-Klimasekretariat (UNFCCC) die größte.