Dezember 2023: Einschränkung des Fahrradverkehrs
Seit einigen Jahren sind Politik und Kommunalverwaltung sehr darum bemüht, Fahrradfahren in Bonn attraktiver zu gestalten. Vor circa 120 Jahren ging der Trend eher in eine andere Richtung:
Das erste „Fahrrad“ wurde 1817 in Mannheim von Freiherr Carl von Drais öffentlich präsentiert. In den folgenden Jahrzehnten erschienen verschiedene Modelle auf dem Markt, von denen sich jedoch erst eine niedrigere und sichere Version am Ende des 19. Jahrhunderts in der breiten Bevölkerung durchsetzte. Daraufhin erarbeitete das Regierungspräsidium in Koblenz eine „Provinzial-Polizei-Verordnung über den Verkehr mit Fahrrädern“. Ähnlich wie bei einem KfZ-Führerschein durfte man sein Fahrrad nur nutzen, wenn man in Besitz einer „Radfahrkarte“ war.
Benutzung von Fahrrädern für Vergnügungsfahrten verboten
Diese erhielt man, selbstverständlich gegen Gebühr, beim Bürgermeister. Kinder unter 14 Jahren benötigten das Einverständnis ihres Vaters. Im Verlauf des Ersten Weltkrieges wurden Fahrradbereifungen beschlagnahmt, sodass man auf eine gummilose Ersatzbereifung zurückgreifen musste. Auf Antrag wurden bestimmte Personengruppen, wie beispielsweise Beamte im Dienst oder Schülerinnen und Schüler mit langen Schulwegen, von der Beschlagnahmung befreit, sodass ihre Radfahrkarte mit einem weiteren Stempel versehen wurde
Stadtarchiv: Fundament der Stadtgeschichte und Kuriositätensammlung in einem
November 2023: Notgeldschein mit romantischer Botschaft
Es ist eine wohl eher unerwartete Botschaft, die auf der Rückseite eines Hundertmilliarden-Mark-Scheines (Kreis Bingen am Rhein) aus der Notgeldsammlung des Stadtarchivs zu finden ist und die zunächst wenig an das Krisenjahr 1923, das Jahr der Hyperinflation, erinnert.
Es handelt sich um eine handschriftliche Botschaft an ein nicht näher bezeichnetes Fräulein, deren Bekanntschaft dem ebenfalls anonymen Schreiber offenbar in glücklicher Erinnerung geblieben war.
Ein Gentleman – oder auch: Not(geld) macht erfinderisch
AnonymLiebes Fräulein,
Ich war sehr glücklich Ihre Bekanntschaft zu machen.
Ich wäre noch glücklicher, wenn sie einmal mit mir spazieren gingen.
Bitte Antwort.
Der Wert der Nachricht scheint jedenfalls den des Notgeldscheines deutlich überwogen zu haben, sonst hätte sich der Schreiber wohl kaum dieses ausgefallenen Briefpapiers bedient – Not(geld) macht eben erfinderisch!
Ob die Botschaft jemals beantwortet wurde, lässt sich nicht sagen. Die weitere Bearbeitung der Notgeldsammlung lässt also noch auf eine Fortsetzung der Liebesgeschichte hoffen.
Oktober 2023: Buntes Zeitgeschehen in Vereinszeitschriften
Ob in einem Sportverein, Schützenverein oder einem anderen Verein, die meisten waren wahrscheinlich einmal Mitglied in einem Verein, entweder in der Jugend oder im Erwachsenenalter. Wir erinnern uns (hoffentlich) gerne an unsere Zeit im Verein zurück.
In den Vereins-Zeitschriften erfahren Sie Neues über (Ihren) Verein, was Sie vielleicht gar nicht wussten oder Sie entdecken bekannte Personen, Freunde oder Vorfahren wieder.
Bonn bietet eine große Vereinslandschaft von der Vergangenheit bis zur Gegenwart: von klassischen Turn- und Sportvereinen über Schützenvereine, Karnevalsvereine, Kunstvereinen bis hin zum „Verein der Naturisten“. Die Zeitschrift dieses Familien-Sport-Bund Bonn e.V. zeigt seine Mitglieder bei einer sportlichen Betätigung nackt. Laut Verein wird damit die Verbundenheit zur Natur zum Ausdruck gebracht.
In der Stadthistorischen Bibliothek sind viele Zeitschriften der Sportverbände zu finden – vom klassischen Fußballverein bis hin zum Segelflug-Verein „Aeroclub Bonn-Hangelar e. V.“ mit der Zeitschrift „Wingletter“.
Die Club-Zeitung vom Bonner Tennis- und Hockeyverein berichtet von mehreren Sportarten innerhalb des Vereins. Neben Tennis und Hockey gehören Rudern, Golf, Ski und Bridge dazu. Von Vorstands-News über Ergebnisse der Vereinsmitglieder und Aktuellem aus den jeweiligen Jahren wie zum Beispiel aus der Ausgabe 1999, in der es um den Berlin-Umzug und die Auswirkungen auf den Verein ging.
Eine andere Zeitschrift vom „Vaterstädtischen Verein“ gewährt in seinen Ausgaben einen Einblick auf den Bonner-Karneval. In der Ausgabe von 1978 gibt es eine Abbildung zum Rosenmontags-Programm von 1928. Alte Annoncen und Karikaturen befinden sich in den Zeitschriften sowie humoristische Blicke auf die Bundespolitik in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn.
(Sport)Veranstaltungen, Turniere, Trainingszeiten, Vereinstätigkeiten, Nachwuchsarbeit, Informationen vom Vorstand oder Mitgliedern, Mitgliedversammlungen, Sommerfeste, Schützenkönige, Jubiläen, Reiseerfahrungen und vieles mehr werden in den Zeitschriften beschrieben und abgebildet.
Vereinszeitschriften sind somit ein wichtiges Erbe unserer Zeit und erzählen Geschichten, Erlebnisse oder Ereignisse und sind Zeitfenster aus diversen Jahrzehnten, die uns Einblicke in vergessene und gegenwärtige Zeiten geben.
September 2023: Eine Giraffe als (vermeintliche) Augenzeugin
Am 1. September 1948 fand im Lichthof des Museums Koenig der Festakt des Parlamentarischen Rates statt, bevor die Abgeordneten in der ehemaligen Pädagogischen Hochschule mit der Arbeit am Grundgesetz begannen. Bis heute hält sich die Erzählung, dass neben den Gästen auch zwei Giraffen an diesem historischen Ereignis teilgenommen haben.
Das Museum Koenig wurde als Veranstaltungsort gewählt, da es eines der wenigen vom Krieg unversehrten Gebäude in Bonn war. Die normalerweise im Lichthof ausgestellten Tierpräparate wurden für den Festakt hinter Torbögen gestellt und diese anschließend mit Vorhängen geschlossen. Nur die Giraffen waren zu groß, um unter den Torbögen aus dem Lichtsaal entfernt zu werden. Um das Tierpaar dennoch vollständig zu verdecken, wurde um den Torbogen ein Gerüst gebaut und an diesem der Vorhang angebracht.
Erinnerungen von Zeitzeugen berichten, dass das Gerüst jedoch nicht ausreichte. Die größere Giraffe konnte über diesem hervorblicken und die Politiker beobachten. Andere erinnern sich, die Giraffen aus der oberen Etage hinter dem Vorhang gesehen zu haben.
Auf historischen Fotografien ist die Giraffe jedoch nicht zu entdecken. Lediglich ein etwas höherer Vorhang lässt erahnen, was sich dahinter verstecken könnte. Klar erkennbar und unverdeckt ist dagegen ein Skelett hinter den Treppenaufgängen und die Vitrinen mit Vögeln in den oberen Etagen.
Erst bei der 50-Jahr Feier der Eröffnung des Parlamentarischen Rates im Jahr 1998 durften die Tiere im Lichthof unverdeckt an der Veranstaltung teilnehmen. Auf den offiziellen Pressefotos sind sie klar zu sehen, die „parlamentarischen Giraffen“.
Sollte Ihnen ein Foto von 1948 bekannt sein, auf dem die Giraffe doch zu sehen ist, teilen Sie uns dies gerne mit!
August 2023: Adolf Busch (1891-1952)
Adolf Busch, einer der einflussreichsten und bekanntesten deutschen Violinisten und Komponisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, begann seine Karriere und Ausbildung schon sehr früh in Bonn und Umgebung.
Am 8. August 1891 wurde er in Siegen geboren, als zweiter Sohn des Instrumentenbauers Wilhelm Busch, der die musikalische Entwicklung seiner Kinder stark förderte. Schon bald fiel das ungewöhnliche Talent von Fritz und Adolf auf und sie erhielten das Angebot am Kölner Konservatorium aufgenommen zu werden.
1902 erfolgte dafür der Umzug der Familie nach Siegburg, wo die Brüder neben ihrer Ausbildung im Konservatorium regelmäßig in Tanzkapellen und auf Unterhaltungsabenden spielten um die Familie finanziell zu unterstützen. Darüber hinaus lassen sich bereits in dieser Zeit erste Philharmonie-Konzerte nachweisen. Ergänzend zu seiner Ausbildung am Konservatorium nahm Adolf Busch Kompositionsunterricht bei Hugo Grüters, dem damaligen Bonner Musikdirektor, dessen Tochter Frieda er 1913 heiratete und mit dessen Söhnen Otto und Fritz ihn eine enge Freundschaft verband.
Weitere wichtige Stationen in seinem Leben waren die Begegnung mit Max Reger 1909, den er so beeindruckte, dass dieser ihn häufig als Solist in seinen Konzerten einsetzte, die Ernennung zum Konzertmeister in Wien 1912 und die Übernahme der Leitung einer Meisterklasse in Berlin 1918.
1919 gründete er das erste Busch-Quartett, 1920 lernte er den Pianisten Rudolf Serkin kennen, mit dem ihn für den Rest seines Lebens eine enge Freundschaft und musikalische Partnerschaft verband. In den zwanziger Jahren folgte eine Phase intensiver Konzerttätigkeit, sowohl in Deutschland als auch in Europa und der UdSSR.
Bereits 1927 siedelte Familie Busch gemeinsam mit Rudolf Serkin in die Schweiz um. Hier übernahm Adolf Busch ab 1928 Yehudi Menuhin als Schüler und gab ihm seine Form der gradlinigen, Partitur treuen Spielweise weiter. Menuhin äußerte dazu später: „Durch Adolf Busch habe ich das tiefe Erbe der deutschen Musik kennengelernt.“
Im April 1933 beschloss Adolf Busch sowohl wegen der Aktionen der Nationalsozialisten gegen seinen Bruder Fritz als auch der Boykottmaßnahmen gegen Rudolf Serkin, andere jüdische Künstler und jüdische Geschäfte, nicht mehr in Deutschland aufzutreten. 1935 wurde er Schweizer Staatsbürger und dehnte 1938, nach der Verabschiedung antisemitischer Gesetze durch die italienischen Faschisten, seinen Auftrittsboykott auch auf Italien aus.
1939 emigrierte er in die USA, seine Quartett-Kollegen folgten ein Jahr später. Nach Kriegsende gründete er an seinem neuen Wohnort in Vermont gemeinsam mit Rudolf Serkin die Marlboro School of Music.
Im Juni 1952 verstarbt Adolf Busch überraschend im Alter von 61 Jahren an Herzversagen.
Im Nachlass Hugo Grüters (SN 70) finden sich zahlreiche Briefe der Familie Grüters mit Bezug auf Adolf Busch.
Juli 2023: Mit der Bahn über den Rhein – Das Trajekt Bonn - Oberkassel
Am 11. Juli 1870 wurde die Linie Bonn Oberkassel, als Verbindung der links- und rechtsrheinischen Bahnstrecke, eröffnet. Fertiggestellt wurde eine Trajektbahn, die mit einem Fährbetrieb über den Rhein führte, da der Brückenbau für schiffbare Flüsse noch nicht genug erforscht war.
Die Genehmigung zum Bau wurde bereits am 24. Dezember 1866 erteilt, der Bau sollte jedoch erst im April 1869 beginnen. Denn ab 1867 begannen Enteignungsverfahren für die Grundstücke, auf denen die Strecke gebaut werden sollte. Durchgeführt wurde dies auf Grundlage des Eisenbahngesetzes vom November 1838 und Entschädigungen wurden nach den Code Civile vom März 1810 geregelt. Auch erstreckte sich die Linie teilweise über Hochwasser gefährdetes Gebiet, daher mussten zunächst neue Dämme gebaut werden.
Im Frühjahr 1870 begann abschließend der Bau eines dritten Gleises zum Bonner Hauptbahnhof, um diesen Streckenabschnitt zu entlasten. Das Gleis wurde am 12. September 1871 abgenommen und somit galt die Linie Bonn Oberkassel als vollkommen fertiggestellt.
An den Trajektbahnhöfen wurden die Wagons durch Lokomotiven auf die Fähre befördert und am anderen Rheinufer wieder durch eine dort bereitstehende Lokomotive abgeladen. Die Lokomotive konnte aufgrund ihres Gewichts nicht mit übergesetzt werden und bei der Verladung der Wagons wurden zusätzliche Wagen zwischen die Wagons und Lok gespannt, damit diese mit ihrem Gewicht nicht die Fährrampe belastete.
Die Fähre war 70 Meter lang und 9,5 Meter breit und hatte eine Tragfähigkeit von 200 Tonnen. Sie wurde mit Seilen, die sicher auf dem Flussbett lagen und mit einer Dampfmaschine an Bord gezogen wurden, über den Rhein geführt. Bei Aufnahme des Betriebes 1870 wurden neben dem Güterverkehr auch sechs Personenfahrten pro Tag angeboten. Das Übersetzen mit Lokomotivwechsel dauerte etwa 15 bis 20 Minuten, davon betrug die Fahrzeit des Trajektes etwa 5 Minuten.
Das Bonner Trajekt erwies sich über die Jahre jedoch als nicht rentabel, wurde aber trotzdem erstmal nicht aufgegeben, um die Verbindungen auch zu strukturschwachen Gegenden zu sichern. Am 2. August 1914, zu Beginn des ersten Weltkrieges, wurde das Trajekt vorläufig eingestellt. Die endgültige Einstellung des Betriebes erfolgte am 1. Januar 1919.
Heute lassen sich nur bei Niedrigwasser Überreste des Trajektes erblicken. Auf der Beueler Rheinseite weist noch eine Hinweistafel auf den früheren Anleger hin. Überreste der Bahnhofsanlagen sind keine mehr erhalten.
Juni 2023: Der Deutsche Presseclub in Bonn
Der Deutsche Presseclub wurde von Journalisten am 7. Oktober 1952 in Bonn gegründet. Das Ziel des Clubs „ist die Pflege gesellschaftlicher Beziehungen zwischen deutschen und ausländischen Journalisten, Parlaments- und Regierungsmitgliedern, den diplomatischen Missionen und Vertretern der Wirtschaft.“ (S. 20). Der Club bietet die Möglichkeit zum Austausch von Informationen zwischen Politik und Presse.
Der Presseclub bestand in seiner Gründungsveranstaltung aus 23 Journalisten. Die Auswahl der Journalisten hing zum einen an der Bedeutung der Zeitung oder Rundfunkanstalt, zum anderen an der politischen Ausrichtung. Es sollte der Eindruck vermieden werden, der Deutsche Presseclub würde eine politische Richtung präferieren. Die Mitgliederzahl wurde auf 70 beschränkt. Mitglied konnte nur werden, wer über die Bundespolitik in Bonn für deutsche Medienblätter, Agenturen oder Rundfunkanstalten berichteten. Später wurden die Aufnahmekriterien teilweise geändert. Die Mitglieder selbst entschieden, wer in den Club eintreten durfte. Eine Mitgliedschaft kostete zu Beginn 20 Mark pro Monat.
Die Bundespressekonferenz und der Verband Ausländischer Presse (VPA) sahen im neugegründeten Club eine Gefahr für die Demokratie und zudem neue Konkurrenz. Beide befürchteten, dass der Club Informationen von der Regierung erhalten würden, die sie selbst nicht bekämen. Befeuert wurde dies durch den Besuch des ersten deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, der eine Rede zur außenpolitischen Lage vor den Clubmitgliedern am 12. Januar 1953 abhielt. Gerade die Presse der Siegermächte fürchteten um ihren Einfluss. Dies ging später als Bonner Pressekrieg in die Geschichte ein.
Am 5. Mai 1953 wurde das Clubgebäude offiziell eröffnet. Spitzenpolitiker von Bund und Stadt sowie Botschafter und Journalisten ausländischer Presse wurden eingeladen. Der Presseclub residierte zunächst in der Koblenzer Straße 95, die später Adenauerallee hieß, 20 Jahre später in der Heinrich-Brüning-Straße. Erster Vorsitzender war Robert Strobel.
1991 entschied der Bundestag von Bonn nach Berlin zu ziehen. Aufgrund der Umzugsentscheidung änderte der Presseclub 1993 seine Satzung. Korrespondenten konnten von nun an aus Bonn oder Berlin über die Bundespolitik berichten und bereiteten somit den Anfang des Umzugs auch für den Presseclub vor.
Das 1997 erschiene Buch, welches in der Stadthistorischen Bibliothek zu finden ist, erzählt die Hintergründe des Presseclubs, insbesondere die Schwierigkeiten bei der Gründung sowie dessen Bedeutung für das Zeitgeschehen, die Teegespräche mit Adenauer, der oben beschriebene „Pressekrieg“, der Streit um das Haus in der Koblenzer Straße und vielem mehr. Des Weiteren geben die Journalisten einen zukünftigen Ausblick, wie der Umzug nach Berlin von statten gehen und wie die künftige Ausrichtung in der neuen Hauptstadt sein sollte.
Im hinteren Teil befindet sich ein Anhang mit verschiedenen Dokumenten wie z. B. ein Kurzprotokoll über die Gründungsversammlung des Presseclubs, verschiedene Reden zur Clubgründung und diverse Satzungsänderungen.
Quelle: Murmann, Heinz: Mit >>C<< ist es feiner. Der Deutsche Presseclub Bonn von 1952 bis heute.
Mai 2023: Milch statt Kartoffelschnaps - Eröffnung eines Milchhäuschens an der Poppelsdorfer Allee vor 110 Jahren
So der einer Konzessionsakte des Stadt-Ausschusses (Signatur: Pr 90/238) zu entnehmende Original-Wortlaut der im September 1913 von der „Gemeinnützigen Gesellschaft für Milchausschank in Rheinland und Westfalen GmbH“ bei der Stadt Bonn beantragten Ausschankkonzession für ein in der Nähe des Bahnübergangs an der Poppelsdorfer Allee geplantes Milchhäuschen. Genaugenommen handelte es sich lediglich um eine Standortänderung, denn bereits im Mai/August hatte man per Bauantrag die Verlegung des am damaligen Bahnübergang der Endenicher Straße gelegenen Milchhäuschens an den neuen (und vermutlich verkaufsattraktiveren) Standort beantragt. Zu diesem Zeitpunkt betrieb die durch den Bonner Sozialpolitiker Otto Kamp 1904 gründete GmbH bereits zahlreiche Milchhäuschen in Städten der Rheinprovinz und in Westfalen. Auch in Bonn verteilten sich ihre Milchhäuschen im ganzen Stadtgebiet.
Sogenannte Milchausschankhäuschen oder Milchkioske waren bereits vor dem ersten Weltkrieg in zunehmender Zahl in vielen deutschen Städten entstanden – oftmals an von Passanten stark frequentierten Stellen, so etwa an zentralen Plätzen, an Bahnhöfen oder eben an Bahnübergängen.
Wie auch in den „Seltersbuden“ sollte durch Ausschank von zu erschwinglichen Preisen verkauften alkoholfreien und gesunden Getränken wie Milch und Mineralwasser dem in der Bevölkerung Ende des 19. Jahrhunderts stark angestiegenen Alkoholkonsum entgegengewirkt und die allgemeine „Volksgesundheit“ gesteigert werden. Für den Verkauf wählte man kleine, schön und einheitlich gestaltete und vielfach in Serie gefertigte Häuschen, die oft durch Personen im Pensionsalter von morgens bis spät abends betrieben wurden.
Das ab 1913 an der Poppelsdorfer Allee gelegene Milchhäuschen wurde nach Liquidierung der Gesellschaft ab 1930 von dem ehemaligen Angestellten Jacob Schmidt übernommen. Nachdem das Milchhäuschen allerdings Umbaumaßnahmen der Reichsbahn weichen musste und anstelle des bisherigen Bahnübergangs die Fußgängerunterführung an der Poppelsdorfer Allee errichtet worden war, übernahm Schmidt 1936 einen der vier in der Unterführung als Ausgleich neugeschaffenen und heute noch bestehenden Verkaufsräume, wo er neben Milch auch „Back- und Zuckerwaren“ anbot. Die mehrmals beantragte Genehmigung zum Ausschank weiterer alkoholfreier Getränke wurde ihm seitens der Stadt mangels Bedarf jedoch versagt, da es neben zwei Verkaufsstätten für Obst und Zeitungen bereits eine entsprechende Konzession für einen der anderen Verkaufsräume gab.
April 2023: 80. Todestag des Bonner Fotografen Hermann Gross
Hermann Hubert Wilhelm Gross (* Bonn, 24. November 1853, † Bonn, 17. April 1943) war ein Bonner Kunst- und Landschaftsfotograf, von dem das Stadtarchiv mehr als einhundert Belege in Form von Fotos und Postkarten besitzt und auch das Fotoarchiv des LVR-Amts für Denkmalpflege im Rheinland in Brauweiler verwahrt circa 70 Fotografien von Gross. Seine Fotografien wurden häufig als Ansichtskarten verlegt – beispielsweise eine Serie mit zehn Postkarten, die Bonn und ihre Einwohner im 1. Weltkrieg zeigt. (Abb. 1)
Erst Schneidermeister, dann Fotograf
Trotz der qualitativ hochwertigen Arbeiten – wie unter anderem die Abbildungen in Eduard Spoelgens Buch „Bonn und seine nähere und weitere Umgebung“ (1926) und viele öffentliche Aufträge vom Städtischen Verkehrsamt Bonn oder Bad Godesberg belegen – gibt es so gut wie keine Literatur zu seiner Person und seinem Werk.
Hinweise zum Lebenslauf von Hermann Gross finden sich im Bonner Standesamtsregister, in der hiesigen Meldekartei und darüber hinaus in den Bonner Adressbüchern und Tageszeitungen, wie dem General-Anzeiger oder der (Neuen) Bonner Zeitung. Aus diesen Quellen wird deutlich, dass Gross seine fotografische Karriere erst relativ spät startete, da er bis ins Jahr 1906 als Schneidermeister mit eigenem Atelier tätig war. Ein Fotoatelier besaß er nicht. Um die Jahrhundertwende hatte er offenbar finanzielle Schwierigkeiten, da mehrfach die Zwangsversteigerung seines Hauses mit Schneideratelier angekündigt wurde.
Die frühesten bekannten Fotos von Gross stammen aus dem Jahre 1904 – damals war er bereits über 50 Jahre alt. Wie der General-Anzeiger berichtet, hält Gross mit der Kamera die Pflanzung der „Prinz-Friedrich-Eiche“ im Kottenforst fest und verweist darauf, dass die „drei wohlgelungene[n] photographische[n] Aufnahmen“ auch im Schaufenster des Geschäftslokals ausgestellt sind (GA, 20.07.1904, S. 6). Vier Jahre später berichtet der General-Anzeiger nochmals, dass Gross „mehrere wohlgelungene Gruppenbilder“ der Jagdgesellschaft um den Prinzen Oskar von Preußen im Kottenforst aufnahm, die ebenfalls in dessen Geschäftslokal ausgestellt waren (GA, 19.11.1908, S. 6).
Ab dem Jahre 1909 erscheint Gross in den Bonner Adressbüchern erstmals als Landschaftsfotograf und dann von 1913 bis in die dreißiger Jahre als Kunst- und Landschaftsfotograf. Und abermals erfahren wir aus dem General-Anzeiger, dass Hermann Gross im Jahre 1913 einen Geldpreis für seine „Sammlung von Bildern aus dem Rheingebiet“ erhielt und darüber hinaus mit einem „Ehrendiplom“ ausgezeichnet wurde (GA, 11.12.1913; S. 10). Leider ist über dieses „Ehrendiplom“ sowie auch über den Verbleib seines Nachlasses nichts Näheres bekannt.
Ein Zeitungsartikel zum Geburtstag
Am 22. November 1937 gratuliert der General-Anzeiger dem Bonner Fotografen zum anstehenden 85. Geburtstag. Dank dieser Anzeige ist uns auch eine Porträtaufnahme von Hermann Gross überliefert. Es sei darauf verwiesen, dass Gross – Jahrgang 1853 – in diesem Jahr jedoch erst seinen 84. Geburtstag feierte ...
März 2023: Ralph Giordano (1923 - 2014) zum 100.Geburtstag
Er mischte sich ein, war streitbar und unerschrocken, selbst gegenüber Morddrohungen. Am 20. März 1923 in Hamburg als Sohn einer jüdischen Klavierlehrerin und eines italienischen Pianisten geboren, wurde Ralph Giordano sich erst durch die nationalsozialistische Rassenpolitik seines Judentums bewusst. Verfolgung und Krieg überlebte er fast verhungert in einem Kellerversteck in seiner Heimatstadt mit Hilfe befreundeter Nachbarn. In seinem bewegenden und mit prominenter Besetzung verfilmten autobiografischen Roman „Die Bertinis“ schilderte er die Geschichte seiner Kindheit und Jugend; später in den „Erinnerungen eines Davongekommenen“ auch sein späteres Leben.
Als Journalist und Fernsehreporter verschrieb er sich der Verteidigung der Menschenrechte und setzte sich, aufbauend auf seinen Erfahrungen als Berichterstatter der Auschwitzprozesse, in seinen Büchern und Filmen mit Antisemitismus, Rassismus und den Nachwirkungen der NS-Herrschaft auseinander. In „Die 2. Schuld oder von der Last ein Deutscher zu sein“ hielt er den Deutschen der Nachkriegszeit den „großen Frieden mit den Tätern“ vor und beklagte den „Verlust der humanen Orientierung“.
Mit Israel, das er auf ausgedehnten beruflichen und privaten Reisen kennengelernt hatte, fühlte er sich zutiefst verbunden, ja er betrachtete den jüdischen Staat als seine Heimat. Das verstellte ihm jedoch nicht den Blick für Fehler der israelischen Regierung und die bedrängte Lage der Palästinenser, er hatte sogar ein palästinensisches Patenkind.
In Bonn und Umgebung hat er nicht nur seine Bücher vorgestellt, sondern sich in vielfältiger Weise engagiert und in politische Debatten eingemischt, dokumentiert in der Zeitungsausschnittsammlung des Stadtarchivs. So war er z.B. mehrfach im St. Adelheid-Gymnasium zu Lesungen, er verfilmte das Buch „Die Juden von Königswinter“ mit überlebenden Zeitzeugen und diskutierte darüber mit Teilnehmern der Begegnungswochen, er nahm an Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus teil und hielt 1988 die große Rede zum 50. Jahrestag des Judenpogroms 1938 in der Bonner Universität, am selben Tag wie der damalige Bundestagspräsident Philipp Jenniger, der wegen der heftigen Kritik an seiner Rede im Bundestag sein Amt niederlegen musste.
In seiner Bonner Rede „Es begann nicht am 9. November“ ging Giordano nicht nur auf die Vorgeschichte des Judenpogroms, Details des Verlaufs und seine Bedeutung („Vorhof der Vernichtung“) ein, sondern auch auf die Geschichte des Antisemitismus und die Verdrängung der NS-Verbrechen in der Nachkriegszeit, ein Verhalten, das er „den großen Frieden mit den Tätern“ nannte.
Deshalb sprach er sich auch vehement gegen die Ehrung zum 100. Geburtstag von Hermann Josef Abs durch die Stadt Bonn aus, der durch seine Führungsposition bei der Deutschen Bank während der NS-Zeit belastet war.
Giordanos Kritik an der Kölner Zentralmoschee und am aus seiner Sicht zu duldsamen und naiven Umgang mit dem Islam sowie sein Engagement für das Zentrum für Vertreibungen brachten ihm den Vorwurf ein, gemeinsame Sache mit Rechtsextremen zu machen, eine Klassifikation, die ihn als Überlebenden der NS-Diktatur zutiefst geschmerzt hat.
Die Liste seiner Auszeichnungen ist lang, die für ihn bedeutsamste war die Verleihung des Leo-Baeck-Preises 2003 in Berlin; seine Dankesrede war ein Bekenntnis zu allem, was ihn lebenslang umgetrieben hat.
Wer ihn persönlich kannte, erlebte einen charmanten, zugewandten und durchaus auch lebensfrohen Menschen gemäß dem Schluss seiner Bonner Gedenkrede: „Auschwitz und das Leben!“
Ralph Giordano verstarb am 10. Dezember 2014 in Köln.
Februar 2023: 80 Jahre Bonner Stadtbibliothek
Vor 80 Jahren, am 8. Februar 1943, eröffnete die Bonner Stadtbibliothek im Alten Rathaus ihre Tore. Die damals noch Stadtbücherei Bonn genannte Bibliothek bot einen Bestand von 9.000 Bänden zur Ausleihe an. Lediglich eine kleine Annonce in den zwei Bonner Tageszeitungen machte zuvor am 6. Februar auf die neue Einrichtung aufmerksam.
Ihren Ursprung hat die städtische Bibliothek jedoch schon deutlich früher, in der 1897 von einem Verein gegründeten Bonner Bücher- und Lesehalle. Die Ausleihstelle war anfangs in der Poppelsdorfer Allee 50 untergebracht und zog 1902 in die Quantiusstraße 5. Die Lesehalle existierte bis 1936 und vergrößerte ihr Angebot über die Jahre von anfänglichen 6.000 Bänden auf fast 15.000 bei der Auflösung des Vereins. Die Bücher sollten sowohl der Unterhaltung als auch Belehrung dienen und viele gingen nach der Schließung in den Bestand der geplanten Stadtbücherei über.
Die neu eröffnete Bonner Stadtbücherei blieb jedoch nicht lange an ihrem ursprünglichen Standort im Alten Rathaus. Durch die Dezentralisierung wurden Teile des Bestands schon bald in Ausgabestellen in Poppelsdorf und Grau-Rheindorf untergebracht und mit der Zerstörung des Alten Rathauses, infolge des Luftangriffes am 18. Oktober 1944, wurde auch die Bibliothek zerstört. Erst im August 1946 konnte in zwei Klassenräumen der evangelischen Schule Poppelsdorf der Betrieb mit etwas über 6.000 Bänden im Bestand wiederaufgenommen werden. Das große Angebot war dem Bonner Ortsbuchhandel zu verdanken, der den durch die Zerstörung 1944 und die Aussortierung von nationalsozialistischer Literatur im Jahr 1945 auf ca. 3.400 Bände geschrumpften Bestand verdoppelte. Ab September 1946 wurden wieder die ersten Bücher ausgeliehen.
Ab Oktober 1949 bezog die Stadtbücherei, nun wieder als zentrale Hauptbücherei, ein Gebäude im Zentrum der Stadt. Das „Haus der Erwachsenenbildung“ in der Wilhelmstraße 34. Auch wenn sich das Gebäude schnell als zu klein erwies, wuchs der Bestand bis 1952 auf 21.000 Bände und man zählte 60.000 Jahresentleihen.
Um dem wachsenden Interesse gerecht zu werden und die Hauptbücherei zu entlasten, wurden ab 1952 Zweigstellen und auch Jugend- und Spezialbüchereien eingerichtet. 1962/63 wurde nach Umbaumaßnahmen das bis heute bekannte Freihandprinzip eingeführt.
Mit der Raumneuordnung 1969 wurden die Stadtbüchereien der neuen Stadtbezirke in die Bonner Stadtbücherei mit integriert. Die heutige Bezirksbibliothek Bad Godesberg wurde bereits 1938, die Beueler 1949 und deren eigene Zweigstelle in Pützchen 1967 gegründet. Heute zählt die Stadtbibliothek u.a. die zwei Bezirksbibliotheken und fünf Stadtteilbibliotheken und die 1963 gegründete Musikbibliothek im Schumannhaus zu ihren Standorten.
Seit dem 4. Oktober 1980 befindet sich die Zentralbibliothek an ihrem heutigen Standort im alten Stadthaus. Der Eingang lag damals am Bottlerplatz 1, heute befindet sich dieser am Mülheimer Platz 1. Der Anbau des neuen Eingangsbereiches begann 2011 und endete im August 2015 mit der Eröffnung vom „Haus der Bildung“. Die Umbenennung von Stadtbücherei zu Stadtbibliothek Bonn erfolgte bereits 1997, um den gewachsenen Anspruch in der kulturellen Grundversorgung widerzuspiegeln.
Januar 2023: Bonner Wintersport um die Jahrhundertwende
Das braungetonte schwarz-weiß Foto des Bonner Fotografen Carl Rumpff (1860-1904) aus dem Jahre 1903 zeigt Schlittschuhläufer*innen auf dem Sportplatz des Bonner Eisklubs in Kessenich.
Auf der künstlichen Eisbahn sind viele Personen mit Schlittschuhen zu sehen und im Hintergrund die noch spärliche Bebauung der Reuterstraße. Das drei Jahre später errichtete Clubhaus, in Bonn als „Haus der Jugend“ bekannt, beherbergt seit 1972 bis zum heutigen Tage eine beliebte Jugendbegegnungsstätte im Reuterpark. Das hier vorgestellte Foto ist im Übrigen auch das „Januarbild“ des Bonner Stadtarchivkalenders „Bonn in alten Ansichten 2023“ aus der Edition Lempertz.
Der Bonner Eisclub, im Jahre 1879 gegründet, nutzte zum Schlittschuhlaufen anfangs den Poppelsdorfer Mühlenweiher und danach den Teich am Baumschulwäldchen. Gut zehn Jahre später erwarb der Verein dann das circa 30.000 Quadratmeter große Grundstück im Kessenicher Feld und baute den Sportplatz. Hier konnte man im Winter Eislaufen und Eishockey spielen, während der Platz im Sommer für Croquet und Tennis genutzt wurde. Bonn war damit eine der ersten deutschen Städte, in denen man Tennis spielen konnte, das gerade erst in Mode kam. Selbst nach der Auflösung des bekannten Bonner Eisclubs im Jahre 1912 – der immerhin bis zu 2000 Mitgliedere zählte – wurde die Eisbahn auch noch während des Ersten Weltkriegs betrieben.
Das Bonner Stadtarchiv besitzt circa 100 Fotografien des aus Thale (Kreis Aachen) stammenden Carl Rumpff, der von 1893 bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1904 in Bonn als renommierter Fotograf tätig war. Seit 1895 führte er sein Atelier am Kaiserplatz, das er am 22. Januar 1900 in der „Deutschen Reichs-Zeitung“ als überaus „modern“ bewarb:
Die von Rumpff angestrebte hohe Qualität, als auch der Bekanntheitsgrad seines Ateliers verdeutlicht ein Artikel aus dem Bonner General-Anzeiger vom 26. Februar 1903. Hierin wird dem preußischen Kronprinzen anlässlich seiner Exmatrikulation ein „Lederalbum als Ehrengabe der Stadt Bonn mit 29 Photographien“ überreicht. Dieser Bericht verweist darauf, dass insgesamt 27 der 29 Fotografien vom Atelier Rumpff stammen: